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Gesundheit: Das Heimweh der Seele

Migranten sind besonders gefährdet, psychisch zu erkranken – und finden dann nur schwer Hilfe. Damit hat sich jetzt ein Symposium in Berlin befasst.

Als in der Teambesprechung im Krankenhaus nur flapsig von der „Türkin, die gestern aufgenommen wurde“, die Rede war, beschwerte sich eine Mitarbeiterin: „Erstens hat die Frau einen Namen, und zweitens ist sie Araberin!“ Dass sie bei ihren Kollegen auf Korrektheit pochte, könnte auch mit der Herkunft ihrer eigenen Familie zu tun haben. „Wir brauchen mehr Menschen mit Migrationshintergrund als Mitarbeiter“, fordert Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie der Charité Mitte, der die Anekdote am vergangenen Mittwoch bei einem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin erzählt hat. Das Thema: „Psychisch krank durch Migration? Perspektiven der Migrationspsychiatrie in Deutschland“. Dazu hat die Fachgesellschaft gerade ein Positionspapier verfasst. „Migration ist per se ein Risikofaktor für die psychische Gesundheit“, sagt der Bonner Psychiatrieprofessor Wolfgang Maier, Mitverfasser des Papiers. Zur Entwurzelung und anfänglichen kulturellen Desorientierung komme meist die neue Erfahrung, einer Minderheit anzugehören, in manchen Fällen auch traumatische Erlebnisse von Vertreibung und Flucht.

Die politisch korrekte Vokabel „Migrationshintergrund“ gibt nichts davon wirklich wieder. Immerhin liegt dem Begriff eine klare Definition zugrunde: Gemeint sind alle Menschen, die nach 1949 in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik zugezogen sind, dazu deren Kinder, Enkel und Urenkel, ob sie nun einen deutschen Pass haben oder nicht. Diese ausgesprochen bunt zusammengewürfelte Gruppe umfasst derzeit 15,7 Millionen Menschen, fast 20 Prozent der Bevölkerung. Jeder vierte Berliner gehört dazu, die Hälfte besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft.

Ein Problem der Studien zum Thema Gesundheit und Migration ist, dass sie oft nur Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft erfassen. In einer solchen Untersuchung hat Oliver Razum von der Uni Bielefeld 2004 festgestellt, dass junge Türkinnen, die in Deutschland leben, sich nicht nur deutlich öfter das Leben nehmen als junge Frauen in der Türkei, sondern auch als gleichaltrige deutsche Mädchen und als türkische Männer. Ein Alarmzeichen. Die Psychiaterin und Charité-Oberärztin Meryam Schouler-Ocak hat daraufhin 2010 in Berlin das Forschungsprojekt „Suizidraten und Suizidprävention bei Berliner Frauen mit türkischem Migrationshintergrund“ ins Leben gerufen.

Noch sind Menschen mit Migrationshintergrund statistisch gesehen in einigen Bereichen des Gesundheitssystems, in denen es um die Heilung psychischer Leiden geht, deutlich unterrepräsentiert, wie eine Erhebung in psychiatrischen Kliniken von 2008 zeigt. Um die Situation zu verbessern, sollten Kliniken nach Ansicht der Fachgesellschaft Integrationsbeauftragte haben. Schouler-Ocak warnt zudem vor den „Tücken des gedolmetschten Gesprächs“. Dafür sollten auf keinen Fall nur Angehörige eingesetzt werden, sondern Dolmetscherdienste oder geschultes Klinikpersonal – Kosten, die die Krankenkassen tragen sollten.

Eine Psychotherapie ist sicher die Behandlungsform, in der die Kultur des Herkunftslandes die größte Rolle spielt. Der psychologische Psychotherapeut Ali Kemal Gün von der LVR-Klinik in Köln legte aber Wert auf die Feststellung, dass jeder Therapeut dafür die nötige Sensibilität entwickeln kann. „Interkulturelle Kompetenz ist eine Grundhaltung. Man braucht dafür keinen Migrationshintergrund, man kann sie erlernen.“ Nach seiner Erfahrung erliegen Psychotherapeuten sowohl der Gefahr, kulturelle Unterschiede zu unterschätzen, als auch der, sie überzubewerten. „Migration ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher Vorgang, der aber schiefgehen kann“, ergänzte die Psychiaterin Iris Tatjana Calliess von der Medizinischen Hochschule Hannover. Noch unveröffentlichte Daten ihrer Arbeitsgruppe legen nahe, dass es für die Seele am bekömmlichsten ist, wenn sie für beides Platz hat, für die „alte“ und die „neue“ Kultur. Dass das nicht immer problemlos möglich ist, beweist indes das Beispiel der jungen Frauen, die immer noch schweigend ihr Leben beenden.

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