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Gesundheit: Der Charakter entscheidet stärker als die Sozialschicht im Umgang mit dem Stimmzettel

"Sage mir, wen du wählst, und ich sage dir, wer du bist!" Seit mehreren Jahrzehnten geht die Disziplin der "Politischen Psychologie" der Frage nach, ob die politische Orientierung eines Menschen durch die Merkmale seiner Persönlichkeit beeinflusst wird.

"Sage mir, wen du wählst, und ich sage dir, wer du bist!" Seit mehreren Jahrzehnten geht die Disziplin der "Politischen Psychologie" der Frage nach, ob die politische Orientierung eines Menschen durch die Merkmale seiner Persönlichkeit beeinflusst wird. Jetzt zeigt eine großangelegte Untersuchung mit einem neuen Psycho-Raster, dass Linke und Rechte in manchen Punkten wirklich aus einem anderen charakterlichen Holz geschnitzt sind.

Den ersten bedeutenden Versuch, Beziehungen zwischen politischer Orientierung und Persönlichkeit aufzudecken, hatte Theodor W. Adorno in den Vierzigern mit seinen berühmten Studien zur "autoritären Persönlichkeit" vorgelegt. Darin wird die Neigung zu faschistischen Haltungen mit frühkindlich erworbenen Wesenszügen erklärt. Die unflexiblen und "eindimensionalen" Anhänger der (extremen) Rechten haben demnach mit zwiespältigen Gefühlen für Autoritäten zu kämpfen. Ihre verschluckte Wut laden sie blindlings auf irgendwelche von der Politik präsentierten Feindbilder ab, an die sie sich dogmatisch klammern.

Doch die empirische Prüfung brachte die These vom höheren Autoritarismus und Dogmatismus der Rechten bald ins Wanken. Die ersten Dogmatismus-Skalen waren anscheinend so tautologisch formuliert, dass Erzkonservative per Definition höhere Werte untergejubelt bekamen. Außerdem waren die Fragen so durchsichtig, dass Gebildete im Sinne der sozialen Erwünschtheit "humanistischere" Antworten gaben, um eine gute Figur zu machen. In den darauffolgenden Jahren wurde dann immer wieder einmal sporadisch getestet, ob Linke und Rechte sich in dem einen oder anderen Persönlichkeitsmerkmal unterscheiden. Doch das Dilemma bei diesen Studien war, dass es bis vor kurzem kein verbindliches wissenschaftliches Raster für Charakterunterschiede gab. Doch dieses Manko hat sich geändert, seit der "psycholexikalische Ansatz" seinen Siegeszug antrat. Der Ansatz verfolgt das Ziel, die Menschenkenntnis auszubeuten, die in geronnener Form in den Sprachen der Völker existiert.

Dazu pickten Forscherteams alle im weitesten Sinne "persönlichkeitsrelevanten" Begriffe aus dem gültigen Wortschatz einer Sprache heraus. Die Ergebnisse werden einer "Faktorenanalyse" unterzogen. Das ist ein statistisches Verfahren, mit der man die einer Vielfalt von Eigenschaften zugrundeliegenden Grundtrends aussiebt.

Auf diese Weise hat man nun in den letzten Jahren fünf "große" Faktoren freigelegt, um Menschen in Schubladen einzuteilen. Die Dimensionen werden von den Wissenschaftlern "Extraversion", "Offenheit für Erfahrung", "Verträglichkeit", "Gewissenhaftigkeit" und "Neurotizismus", bezeichnet. Alle psychologisch relevanten Wörter der Sprache lassen sich letztlich auf diese "big five" zurückführen.

Zu jeder Dimension gehört ein entgegengesetzter Pol, und das Merkmal kann entweder stark oder schwach ausgeprägt sein. Der renommierte Stanford-Psychologe Philip G. Zimbardo, Autor einschlägiger Lehrbücher, hat nun mit einer Gruppe von Seelenforschern der Universität Rom diesen "Goldstandard" an eine Stichprobe von 2000 italienischen Wählern angelegt, die zur Hälfte nach Mitte links, zur Hälfte nach Mitte rechts tendierten (Political Psychology, Bd. 20, S. 175 ff). Die Probanden, die im Schnitt etwa 40 Jahre alt waren, bezogen schriftlich zu einer Serie von Fragen Stellung. Wie die Ergebnisse nun beweisen, rekrutieren sich die beiden politischen Pole tatsächlich von einem etwas anderen Menschenschlag.

Die Konservativen ragten bei den Faktoren Gewissenhaftigkeit und Extraversion heraus. Hoch gewissenhaft zu sein bedeutet, gut organisieren zu können, sein Leben in fester Ordnung zu halten, sowie sich pflichtbewusst, bedächtig und selbstdiszipliniert zu zeigen. Hoch Extravertierte - nach außen gerichtete - Menschen gelten als aktiv-gesellig. Sie fühlen sich in Gruppen, sei es am Stammtisch oder beim Kaffeekränzchen am Wohlsten.

Die gemäßigten Linken konnten dagegen erhöhte Werte bei den Eigenschaften Verträglichkeit und Offenheit für Erfahrung erzielen. Der Bereich Offenheit für Erfahrung umfasst kreative Menschen mit breiten Interessen, die gern ihren Erfahrungsschatz erweitern. Sie sind neugierig gegenüber neuen Phantasien, ästhetischen Eindrücken und Gefühlen. Unter hohe Verträglichkeit ordnen Persönlichkeitsforscher bescheidene und altruistische Menschen ein, die sehr auf Harmonie und Kooperation bedacht sind, die gern helfen und deren wichtigste Triebfeder Mitleid ist.

Beim fünften und letzten Merkmal, dem Neurotizismus, gab es keine Unterschiede zwischen rechts und links. Die emotionale Labilität, die Neigung, von einem gefühlsmäßigen Extrem ins andere zu fallen, ist also in beiden Lagern gleich verbreitet.

Es ist schon sehr bemerkenswert, betonen die Forscher zum Schluss, dass die Persönlichkeitsmerkmale einen sehr viel stärkeren Einfluss auf die politische Orientierung und die Wahlentscheidung haben als die klassischen soziodemographischen Kategorien wie Alter, Sozialschicht, Geschlecht oder Bildung. Die Wahlforschung könnte erheblich davon profitieren, wenn sie diese bisher ignorierten Aspekte berücksichtigen würde.

Rolf Degen

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