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Gesundheit: Der Krieg in den Hörsälen

Die einen fühlen sich indoktriniert. Andere fürchten um die Freiheit. Amerika ist gespalten – auch an seinen Unis

Freiheit gilt als hohes Gut, ja Schmuckstück der US-Demokratie. Auch George W. Bush, der den Demokratieexport zum Mantra seiner Außenpolitik erklärt hat, bedient sich im Herbst seiner Amtszeit weiter munter der freiheitsgetränkten Rhetorik der amerikanischen Gründungsväter. Gleichzeitig ist in den USA eine hitzige Debatte über die Frage entbrannt, wie Freiheit im universitären Kontext zu verstehen ist.

Denn in Krisenzeiten, gerade dann also, wenn sie für alternative Perspektiven und Problemlösungen besonders gebraucht wird, gerät die Meinungsfreiheit am meisten unter Druck. Dass das auch die Universitäten betrifft, bekam jüngst der Historiker Juan Cole von der University of Michigan zu spüren. Cole, Präsident der Middle East Studies Association, gilt vielen Kollegen als „Wunderkind“ seiner Disziplin. Aber er ist auch ein profilierter Kritiker der Bushregierung und schaltet sich mit seinem Blog „Informed Comment“ regelmäßig in aktuelle Debatten über den „Krieg gegen den Terror“ ein.

Als bekannt wurde, dass er an der renommierten Yale University für einen Lehrstuhl im Rennen war, wurden ihm seine Aktivitäten jenseits des wissenschaftlichen Elfenbeinturms zum Verhängnis. Unterstützer der Bushregierung, konservative Lobbygruppen und Medien wie das Wall Street Journal behaupteten, Cole mangele es an der für die Eliteuni erforderlichen Qualifikation, bezichtigten ihn der Parteinahme und warfen ihm vor, sich antisemitischer Rhetorik zu bedienen. Nachdem sich bereits drei Kommissionen dafür ausgesprochen hatten, lehnte das entscheidende Gremium die Berufung Coles Anfang Juli ab.

Wie ein üblicherweise hinter verschlossenen Universitätstüren stattfindendes Verfahren hier politisiert wurde, ist beispielhaft für eine seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vehement ausgetragene Kontroverse über die Freiheit von Wissenschaft und Forschung in den USA, die in vielerlei Hinsicht die politische und gesellschaftliche Spaltung des Landes zu spiegeln scheint.

Seit Jahren kämpft ein bestens organisiertes Meinungsnetzwerk aus Initiativen wie „Campus Watch“ oder „Students for Academic Freedom“ und konservativen Medien gegen „linke“ Tendenzen in den Hörsälen. Besonders betroffen sind die ihren Gegnern als antiamerikanisch und antiisraelisch geltenden Lehrstühle für Arabistik und Nahoststudien. Im vergangenen Jahr protestierten Studenten des Instituts für nahöstliche Sprachen und Kulturen der Columbia University gegen die angeblich antiisraelische Haltung ihrer Professoren. Eine interne Kommission erklärte diese Vorwürfe später für haltlos. Doch die betroffenen Wissenschaftler sind verunsichert, zumal Studenten gezielt zur Denunziation aufgefordert werden. So rief Sean Hannity, Kommentator des stramm-konservativen Nachrichtensenders Fox News, Anfang des Jahres Studenten dazu auf, „linke Propaganda“ ihrer Professoren aufzuzeichnen, um sie in seiner Show zu zeigen. Auch die Internet-Datenbank „DiscoverTheNetworks.com“, die sich als eine Art Organigramm der „linksliberalen Verschwörung“ in den USA versteht, hat es sich zur Aufgabe gemacht, „radikale“ Professoren zu entlarven. Hier findet sich wieder, wer wie Paul Gilroy, Professor an der London School of Economics, auf den radikalen Gedanken kommt, die USA hätten „die von Saddam Hussein ausgehende Bedrohung fabriziert“.

Für Anhänger klassischer Medien hat der Initiator der Internetseite, der ehemalige Marxist David Horowitz, auch eine schwarze Liste auf Papier herausgegeben. In dem Buch „Die Professoren: die 101 gefährlichsten Akademiker in Amerika“ porträtiert er eine Auswahl von Wissenschaftlern, die „Antisemitismus predigen und das Töten amerikanischer Soldaten und Zivilisten bejubeln“, während sie „Steuergelder und Studiengebühren einsacken, um unsere Kinder zu indoktrinieren“.

Horowitz ist auch einer der Vorkämpfer für einen so genannten akademischen Grundrechtekatalog. An Unis, in Bundesstaatsparlamenten und selbst im Kongress diskutiert, tritt dieser Katalog vordergründig dafür ein, die politische „Vielfalt“ an Amerikas Hochschulen zu sichern. Würde er jedoch umgesetzt, würde damit de facto massiv in die Autonomie der Universität eingegriffen werden, über Inhalte, Berufungen und Benotung der Studenten unabhängig zu entscheiden, sagen Kritiker wie der Dekan der Geschichtsfakultät in Berkeley, David A. Hollinger.

Dass die meisten US-Akademiker, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, den Demokraten zuneigen, ist nicht von der Hand zu weisen. Einer 2004 veröffentlichten Studie der Ökonomen Daniel Klein und Charlotta Stern zufolge, kommen auf jeden republikanisch wählenden Soziologen 28 Demokraten. Auch bezweifelt niemand, dass einige Wissenschaftler ihre Vorlesung gelegentlich mit einem Teach-In verwechseln.

Doch können Horowitz und seine Mitstreiter nur in Ausnahmefällen beweisen, dass sich die politische Orientierung der angegriffenen Wissenschaftler einseitig in deren Lehre widerspiegele, dass diese also konservative Positionen ignorieren oder der Lächerlichkeit preisgeben würden. Völlig außer Acht lassen sie zudem, dass mancherorts in den USA auf Betreiben christlich-fundamentalistischer Kräfte etwa Evolutionslehre nicht mehr unterrichtet werde. Gerade dadurch, sagt der Präsident der University of West Florida, John C. Cavanaugh, wird den Studenten jedoch jene „intellektuelle Vielfalt“ vorenthalten, die Horowitz einfordere.

Beobachter fühlen sich angesichts der um sich greifenden Denunziationskultur an die unheilvolle McCarthy-Ära erinnert. Allerdings hinkt der Vergleich. Zum einen geht die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit heute, anders als bei der Verfolgung von (vermeintlichen) Kommunisten in den 1950ern, weniger vom Staat als von Individuen, Netzwerken und Medien aus. Auch ist die Zahl politisch bedingter Entlassungen im Vergleich zur McCarthy-Zeit, als rund 100 Wissenschaftler entlassen und unzählige zur freiwilligen Aufgabe gezwungen wurden, gering. Die New Yorker Historikerin Ellen Schrecker schätzt, dass seit dem 11. September nicht mehr als ein halbes Dutzend Wissenschaftler ihre Posten aus politischen Gründen verloren haben.

Doch geht es nicht nur um Posten, sondern auch um die Integrität, Qualität und damit Zukunftsfähigkeit der US-Wissenschaft. Letztere wird perspektivisch unter der massiven Verschärfung der Visabestimmungen leiden, denn erstmals seit den 1960ern sinkt der Ausländeranteil an amerikanischen Unis. Dazu kommt: In dem Maße, in dem Universitäten im Zuge sinkender öffentlicher Mittel zu Wettbewerb und Effizienz angehalten werden, erscheint die Freiheit der Wissenschaft, also das wissenschaftliche Bearbeiten auch unangepasster, markt- und staatsferner Fragestellungen, zusehends als ein Luxus, den man sich leisten können muss.

Glaubt man indes David Horowitz, wird politisch nicht erst in den Hörsälen Einfluss genommen – sondern schon im Sandkasten. Auf der Internetseite „Parents and Students for Academic Freedom“ (Eltern und Kinder für akademische Freiheit) warnt er neuerdings davor, dass die politische Indoktrination bereits im Kindergarten beginne.

Leonard Novy

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