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Gesundheit: Deutschlands wertvollste Kracher

Sie liegen in Holzvitrinen. Schwarz, verkohlt und zerbrochen.

Sie liegen in Holzvitrinen. Schwarz, verkohlt und zerbrochen. Es sind überwiegend triste Steine, manche von der Größe eines Chinakrachers, andere faustdick. Die Besucher des Berliner Naturkundemuseum gehen oft achtlos an ihnen vorüber. Denn außer der dunklen Kruste, die hier und da bereits abblättert, weist wenig darauf hin, dass es etwas Besonderes mit diesen Steinen auf sich haben könnte.

Jeder dieser Brocken aber hat eine außergewöhnliche Geschichte. Es sind Steine, die vom Himmel gefallen sind. Einige von ihnen sind vor Jahrmillionen aus der Oberfläche des Planeten Mars herausgeschlagen worden, um anschließend durchs Weltall zu irren und den Weg zur Erde zu finden. Der Urspung der meisten Meteroiten liegt noch weiter weg, jenseits der Bahn des Mars. Das Gestein trägt mitunter winzige Diamanten in sich, die älter sind als unsere Erde. Andere Meteoriten haben organische Stoffe wie lebenswichtige Aminosäuren aus den Weiten des Universums hierher gebracht.

Schweflige Dämpfe

Ansgar Greshake ist der Hüter dieser Steine, der bedeutendsten Meteoritensammlung in Deutschland. Sie umfasst mehr als 4000 himmlische Steine, Funde aus den vergangenen sechs Jahrhunderten. Der Brandgeruch der verkrusteten Klumpen ist längst verflogen. Aber wenn der Kustos erzählt, glühen die Steine wieder wie damals, vor ihrem donnernden Einschlag, dann steigen plötzlich schweflige Dämpfe aus den traurigen Vitrinen auf.

"Der jüngste Meteoritenfall in Deutschland war am ersten März 1988. In Trebbin kam ein 1,2 Kilogramm schwerer Stein herunter. Er schlug durch ein Gewächshaus und zerbrach beim Aufprall", sagt Greshake. "Sehen Sie die Kruste dieses Bruchstücks? Wenn ein solcher Stein in die Atmosphäre eindringt, so ist das, als prallte er gegen eine Wand. Er kommt aus dem Universum, aus dem Nichts." Und dann rast er mit einer Geschwindigkeit von 50 000 Kilometern pro Stunde oder mehr durch die Atmosphäre - schneller als jedes irdische Geschoss.

Vom Boden aus erscheint ein solcher Meteorit als großer Feuerball mit kurzem Schweif. Die aufgeladene Luft um ihn herum leuchtet hell auf. In der extremen Reibungshitze schmilzt und verdampft die steinige Oberfläche. Kleine Meteoriten verglühen bei einem solchen Flug, ehe sie den Erdboden erreichen. Größere brechen oft in der Luft auseinander. Dann ist am Himmel ein Feuerwerk aus vielen bengalischen Punkten zu sehen. Die einzelnen Trümmer jagen schließend krachend zu Boden. "Wenn man sie aufhebt, sind sie noch warm", sagt Greshake.

Am Himmel zerbrochen

Der dreizehnjährige Patric Scharff sah am 14. November 1985 um 18 Uhr 17 ein solches Schauspiel. Er erblickte einen Meteoriten, der am Himmel auseinanderbrach. Eine der Leuchtkugeln kam von Westen her, von Hannover, angerauscht, überflog die Grenze zur ehemaligen DDR und ging in der Altmark bei Hohenlangenbeck herunter. Der kleine Patric zog am nächsten Nachmittag nach der Schule los, den Stein zu suchen. In der Nähe einiger Pappeln fand er schließlich ein seltsam ausgebranntes Steinchen. "Eine beachtliche Leistung", sagt Greshake und zeigt auf das 42-Gramm-Klümpchen. "Der Junge kam schließlich zu uns ins Naturkundemuseum und tauschte den Stein gegen drei, vier glitzernde Minerale." Ein guter Handel für beide Seiten. Doch Greshake weiß nicht nur von harmlosen Einschlägen zu berichten. Es gab in der Vergangenheit auch in Deutschland Meteoritenfälle, die das Land verwüstet haben.

Der bekannteste Einschlagsort ist das Nördlinger Ries in der Schwäbischen Alb. Dieser elf Kilometer weite Krater entstand, als ein riesiger Steinmeteorit mit der Zerstörungskraft tausender Hiroshima-Bomben beinahe ungebremst auf Süddeutschland hinabschoss. Der Untergrund verdampfte bis in drei Kilometer Tiefe. Das ausgeworfene Gestein bedeckte die Landschaft 50 Kilometer ringsum mehr als 20 Meter hoch und löschte alles Leben in weitem Umkreis aus. Dieser Einschlag liegt etwa 15 Millionen Jahre zurück. Seither ist Deutschland von derart zerstörerischen Ereignissen weitgehend verschont geblieben. Der Himmel meint es gut mit uns. Er hält sich mit großen Feuerwerken zurück. Aus den vergangenen 350 Jahren zum Beispiel sind nur etwa vier Dutzend Meteoritenfälle und -funde in Deutschland dokumentiert.

Der schwerste in Deutschland gefundene Meteorit war zum Großteil aus Eisen. Den anderthalb Tonnen schweren Stein fand man 1805 in der Nähe von Bitburg - ein Geschenk des Himmels für die ortsansässige Eisenindustrie. "Den haben sie einfach in den Ofen geschoben", sagt Greshake. "Erst 1814 kam man darauf, dass der Stein ein Meteorit war. Nur ein paar Gramm von ihm sind erhalten geblieben. Und die liegen hier im Naturkundemuseum."

Die einzigartige Sammlung, über die der promovierte Geologe heute wacht, reicht von den Anfängen der Meteoritenkunde bis in das neue Jahrtausend hinein. Die Präsentation der wertvollen Objekte, anhand derer sich die Geschichte unseres Sonnensystems rekonstruieren lässt, ist hingegen alles andere als zeitgemäß.

Die Steine vom Mars zum Beispiel liegen ohne jegliche Erläuterungen da, von moderneren didaktischen Mitteln ganz zu schweigen. Kleine Kinder, die sich für die himmlischen Steine ebenso begeistern könnten wie Erwachsene, erreichen mit ihren neugierigen Nasen nicht einmal die Vitrinen.

Doch spiegelt dies nur den Zustand des gesamten Museums wider, das den Besucher durch die Entwicklung des Lebens auf der Erde führt und unter anderem wegen seiner imposanten Dinosaurierskelette weltberühmt ist. Ein Teil des Gebäudes ist seit dem Krieg so zerstört, als wäre eben erst ein stattlicher Meteorit eingeschlagen.

"Es gibt kein Geld", fasst Greshake den Stand der Dinge kurz und bündig zusammen. "Scheinbar ist das Museum ein Mauerblümchen im Bewusstsein der Politiker geblieben." Auf ein ansehnliches Feuerwerk der Meteoriten müssen die Museumsbesucher wohl noch lange warten. Die Kracher sind da. Doch wo kein zündender Funke überspringt, bleibt die Erleuchtung aus.

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