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Gesundheit: Die amerikanische Versuchung

"Wat ick hier mag: wieder orntlich berlinern!" So beschreibt Stefan Hecht die Vorteile seiner Rückkehr nach Deutschland.

"Wat ick hier mag: wieder orntlich berlinern!" So beschreibt Stefan Hecht die Vorteile seiner Rückkehr nach Deutschland. In den vergangenen vier Jahren hatte er der Heimat den Rücken gekehrt. Exzellente Forschungsmöglichkeiten haben den jungen Chemiker an die renommierte amerikanische Universität in Berkeley gelockt - bis zum Abschluss mit einer ausgezeichneten Promotion im vergangenen Jahr.

Nun sitzt der 27-Jährige wieder in einem Arbeitszimmer in Berlin, am Institut für Chemie der Freien Universität. Stefan Hecht hat einen neuen Preis bekommen - den "Sofja-Kovalevskaja-Preis". Der Raum wirkt wie ein Symbol für die Situation der Nachwuchswissenschaftler in Deutschland: Der Teppich ist schon ausgerollt, Bücher und Computer sind aber noch eingepackt. Ein zweiter Stuhl findet sich schon. Die Rückkehr des jungen Chemikers ist alles andere als selbstverständlich. Jeder dritte ausländische Post-Doc an US-amerikanischen Forschungsstätten, jeder fünfte ausländische Professor der Naturwissenschaften in den USA kommt mittlerweile aus Deutschland. Viele bleiben nach der Promotion. Besonders Naturwissenschaftler werden in den USA gebraucht, aber zu wenig ausgebildet.

Mit einem neuen attraktiven Preis will die Alexander-von-Humboldt-Stiftung nun dazu beitragen, die Elite der Nachwuchsforscher aus aller Welt wieder nach Deutschland zu holen. Mit rund 22 Millionen Euro ist der "Sofja-Kovalevskaja-Preis" ausgestattet, um Forschungsprojekte zu unterstützen, die langfristig die internationale Kooperation sichern sollen. Jeder der 29 Preisträger bekommt mithin bis zu 2,25 Millionen Mark - mehr als die Nobelpreisträger 2001, die etwa zwei Millionen Mark mit der Auszeichnung erhielten. Der Preis für den Nachwuchs wird am kommenden Donnerstag in Berlin überreicht.

Schwerpunkt des Kovalevskaja-Preises sind - wie derzeit überall in der Forschung - die Biowissenschaften mit zehn Preisträgern, gefolgt von Physik und Chemie. Die Themen reichen von der künstlichen Intelligenz, dem Europarecht, Impfstoffen gegen Krebs über umweltfreundliche Lösungsmittel, Schaltkreisen für Nano-Computer bis zu Wachstumsprozessen des menschlichen Fettgewebes. Ein weiterer Wermutstropfen für die Geisteswissenschaften: Bei dieser Initiative sind sie erneut in der Minderheit und nur mit zwei Philosophen und einem Juristen vertreten. Durchschnittsalter der Preisträger: 33 Jahre. Stefan Hecht und der Jurist Krzysztof Piotr Oplustil aus Polen sind mit 27 Jahren die beiden Jüngsten.

Auslandserfahrung ist bei deutschen Wissenschaftlern und angehenden Professoren sehr erwünscht - so ist mit der Zeit ein Nachwuchsproblem für die Wissenschaft in Deutschland entstanden. In den USA erwarten Spitzenforscher attraktive Bedingungen - deutschen Hochschulen dagegen eilt nicht gerade der Ruf voraus, sich besonders um ihre künftigen Wissenschaftler zu bemühen.

Die neue Initiative hat tatsächlich in erster Linie Deutsche erreicht: Fünf kommen aus den USA zurück, je einer aus der Schweiz, aus Großbritannien und Schweden. Fünf weitere der 29 Preisträger stammen aus der Russischen Föderation. Die anderen verteilen sich international von Belgien über Australien bis Korea und China. In den USA ist keiner dieser Spitzenforscher geboren.

Eine ganz andere Dimension

Mit seinem Preisgeld von 840 000 Mark will sich Stefan Hecht gute Rahmenbedingungen schaffen. Das Geld soll es ihm zwei Jahre lang ermöglichen, eine Nachwuchsgruppe in der Polymerchemie aufzubauen. Dabei stehen molekulare Prozesse im Mittelpunkt: Die Moleküle sollen räumlich angeordnet werden, um chemische Reaktionen örtlich kontrolliert einzuleiten. Was sich abstrakt anhört, verspricht attraktive Anwendungen: in Schaltkreisen für künftige Supercomputer, in der Energieumwandlung bis zu extrem empfindlichen Detektoren. Das sei "echte Zukunftsmusik", schränkt Hecht ein. Vor der Anwendung steht noch viel Grundlagenforschung.

Und wo liegen nach seinen Erfahrungen die Vorteile des Forscher-Traumlands USA? "Die Anschlussfinanzierung für mein Projekt wäre wahrscheinlich einfacher zu realisieren." Die Forschungsgelder fließen zumindest in diesen Zukunftsbereichen eben doch reichlicher. "Das sind ganz andere Dimensionen. Gerade hat es beispielsweise wieder eine Million Dollar für eine Forschergruppe in Berkeley gegeben." Ein anderer Vorteil: "In einem Jahr kann man an einer guten Uni in den USA zehn bis 15 Doktoranden und Undergraduates für das Projekt gewinnen", berichtet Hecht. Darauf kommt es für den Forschungserfolg auch an. In Deutschland könne man maximal mit vier bis fünf Mitarbeitern rechnen. Und der Zugang zu den Professoren? "Die Hierarchie ist in Deutschland schon stärker spürbar. Das schreckt junge Leute eher ab."

Was hat den jungen Wissenschaftler aber nun tatsächlich aus dem Traumland der Forscher ins kühle Deutschland zurückgelockt? Der neue Preis verspricht gute Forschungsbedingungen. "Die Freiheit zum selbstständigen Forschen ist verlockend. Daran fehlt es für junge Wissenschaftler in Deutschland zu oft", meint Hecht. Er ahnt aber auch, dass die Betreuung und Anwerbung von Studenten und Doktoranden einen beträchtlichen Teil der "freien" Forschungszeit beanspruchen wird. Doch die Lehre macht ihm Spaß: "Deshalb bin ich an die Uni gegangen. Forschen kann man auch in der Industrie ganz gut".

"Die ganze Schlossallee aufgekauft

Und wie sieht es mit den wissenschaftlichen Perspektiven in Deutschland aus? Das sieht Hecht eher nüchtern: "Die USA haben in manchen Wissenschaftsbereichen die ganze Schloss-Allee aufgekauft. Da zahlt man eben Tribut". Die guten Aussichten durch den Kovalevskaja-Preis waren für Hecht nicht allein ausschlaggebend für die Rückkehr. Wie so oft heißt es auch bei ihm: "Das waren eigentlich eher private Gründe. Meine Frau wollte unbedingt zurück."

Der neue Preis gehört zu einer groß angelegten Initiative der Bundesregierung, mit der Spitzenwissenschaftler aus aller Welt nach Deutschland geholt werden sollen. Der Wolfgang-Paul-Preis gibt etablierten Wissenschaftlern ähnliche Anreize wie der Kovalevskaja-Preis für den Nachwuchs. Erhofft wird ein "Vitaminstoß" für die deutsche Wissenschaft, erläutert der Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Wolfgang Frühwald. Jeder der Preisträger baut nämlich an einem Institut seiner Wahl eine eigene Forschergruppe auf. Ziel ist es, dass die Wissenschaftler zwei bis drei Jahre lang mit relativ geringen Verwaltungsbelastungen forschen können. Wie auch der im Herbst verliehene Paul-Preis wird auch dieser "Vitaminstoß" nur einmal vergeben.

Aus der angestoßenen Dynamik muss sich danach aus anderen Quellen eine Fortsetzung entwickeln. Doch selbst wenn die Preisträger anschließend Deutschland wieder verlassen sollten: Der Anstoß kann von den Universitäten und Forschungseinrichtungen fortgeführt werden, der Kontakt bleibt. Das ist in der internationalen Wissenschaft (fast) unbezahlbar. Die Botschaft an die internationale Wissenschaftswelt ist außerdem klar und deutlich: Ihr seid in Deutschland willkommen.

Wer war Kovalevskaja?

Die Mathematikerin Sofja Kovalevskaja bekam 1889 als eine der ersten Frauen in Europa einen Lehrstuhl. Das war an der Universität Stockholm möglich. 1850 in Moskau geboren, wurde sie schon als Kind in Mathematik unterrichtet. Doch als sie 1869, inzwischen verheiratet, in Heidelberg ein Studium beginnen wollte, wurde ihr das als Frau verweigert. Auch in Berlin konnte sie, zwei Jahre später, nur Privatunterricht nehmen. Zur Promotion 1874 an der Universität Göttingen aber wurde sie dann zugelassen. Kovalevskaja starb schon im Alter von 41 Jahren.

Wer war Kovalevskaja?

Die Mathematikerin Sofja Kovalevskaja bekam 1889 als eine der ersten Frauen in Europa einen Lehrstuhl. Das war an der Universität Stockholm möglich. 1850 in Moskau geboren, wurde sie schon als Kind in Mathematik unterrichtet. Doch als sie 1869, inzwischen verheiratet, in Heidelberg ein Studium beginnen wollte, wurde ihr das als Frau verweigert. Auch in Berlin konnte sie, zwei Jahre später, nur Privatunterricht nehmen. Zur Promotion 1874 an der Universität Göttingen aber wurde sie dann zugelassen. Kovalevskaja starb schon im Alter von 41 Jahren. Tsp

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