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Gesundheit: Die Bibel mit dem zerstörten Pergament

„Unser Bestand an jüdischen Handschriften ist relativ klein, aber fein”, meint Hartmut-Ortwin Feistel, der die Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin leitet. Verglichen mit den Schätzen anderer bedeutender europäischer Bibliotheken wie der Bibliothèque Nationale in Paris oder der British Library in London sind die 470 Handschriften der Staatsbibliothek in der Tat nicht umfangreich.

„Unser Bestand an jüdischen Handschriften ist relativ klein, aber fein”, meint Hartmut-Ortwin Feistel, der die Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin leitet. Verglichen mit den Schätzen anderer bedeutender europäischer Bibliotheken wie der Bibliothèque Nationale in Paris oder der British Library in London sind die 470 Handschriften der Staatsbibliothek in der Tat nicht umfangreich. Aber die Sammlung enthält viele einmalige Stücke wie jene kostbare zweibändige Bibelhandschrift, die unter dem lapidaren n „Erfurt 1” bekannt ist. 66 Handschriften aus diesem Schatz zeigt die Staatsbibliothek noch bis zum 17. August in ihrem Ausstellungsraum in der Potsdamer Straße. Darunter ist auch „Erfurt 1”.

Diese hebräische Bibel bot den Anlass für die Ausstellung „Jüdische Handschriften – restaurieren, bewahren, präsentieren”. Die Handschrift, die im Jahre 1343 vollendet wurde, erhielt ihre Bezeichnung nach dem ersten namentlich nachweisbaren Besitzer, dem Evangelischen Ministerium in Erfurt. Seit 1880 befindet sich das Buch im Besitz der Staatsbibliothek – während des Zweiten Weltkrieges wurde sie aus Sicherheitsgründen in den Keller des Wirtschaftsministeriums ausgelagert. Am 3. Februar 1945 wurde das Gebäude von Bomben getroffen. Durch Feuer und Löschwasser war dann ein Band der Bibelhandschrift so stark beschädigt, dass er seitdem nicht mehr benutzt werden konnte. Erst nachdem mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder ein Mäzen gefunden war, konnte 1999 mit der Restaurierung der Handschrift begonnen werden.

Der damalige Leiter der Restaurierungswerkstatt, Ernst Bartelt, hatte ein Verfahren entwickelt, mit dem die verklebten und verzogenen Pergamentblätter voneinander ge löst und geglättet werden konnten. Jetzt sind alle 546 Seiten restauriert. Beim nächsten Schritt sollen die zerstörten Stellen in den Blättern behandelt werden. Im Jahr 2005 sollen die Restaurierungsarbeiten an der Erfurter Bibel ganz abgeschlossen sein.

Mit dieser Restaurierung hat die Staatsbibliothek Neuland betreten. Deshalb hatte die Kulturstiftung die Staatsbibliothek verpflichtet, die Schritte der Restaurierung zu dokumentieren. Dies steht im Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung: Große Fotos zeigen den Zustand der Blätter vor und nach der Restaurierung, belegen die einzelnen Arbeitsgänge, und in einem 13-minütigen Dokumentarfilm kann der Besucher die aufwändige Restaurierung nachvollziehen. Um die Dokumentation herum hat die Staatsbibliothek eine Ausstellung mit 66 weiteren jüdischen Handschriften gestaltet. Dabei werden neben hebräischen auch altfranzösische, arabische, jiddische, persische und samaritanische Texte gezeigt. Bemerkenswert sind nicht nur so auffällige Stücke wie eine überdimensionierte Tora-Rolle, die möglicherweise auch die älteste existierende Aschkenasi-Schriftrolle ist. Die Zahl von 66 Ausstellungsstücken ist aus dem Kontext der kabbalistischen Schriften hervorgegangen. Die Kabbala beruht auf Zahlenmystik: in der 66 zeigt sich die heilige Zahl 3 in mehreren Kombinationen.

Die Sammlung kabbalistischer Handschriften in der Staatsbibliothek umfasst zwar nur 30 Werke, doch Unikate. In der Ausstellung werden besonders schöne Exemplare gezeigt wie die Rolle mit dem „Sefirot-Baum” – eine Artikulation des unfassbaren Gottes. Bei jüdischen Handschriften finden sich an den Seiten oder am Rand meist zusätzliche Texte – die so genannte Masora. Das sind Anweisungen, wie der Text zu lesen ist; denn die hebräische Schrift kennt keine Vokale. Im frühen Mittelalter wurde die Masora in Form geometrischer Muster oder als tier-, pflanzen- oder menschenähnliche Figuren gestaltet. Diese Mikrografien waren nicht nur in Europa, sondern bis in den Jemen verbreitet. Gelehrsamkeit und Religiosität standen im traditionellen Judentum in hohem Ansehen. Mädchen und Frauen waren davon weitgehend ausgeschlossen und beherrschten das Hebräische nur selten. Ihre Tätigkeiten außerhalb des Hauses – beispielsweise als Händlerin oder Ärztin – erforderte es jedoch, dass die Frauen zumindest lesen und schreiben konnten. Daher wurden für sie die Bibeltexte in die Alltagssprache, das Jiddische, übersetzt. In der Ausstellung ist eine solche Tora-Übersetzung aus dem 16. Jahrhundert zu sehen.

Erwähnenswert sind auch die medizinischen Handschriften. Im Europa des Mittelalters waren die medizinischen Kenntnisse eines Hippokrates oder Galen in der scholastischen Dogmatik erstarrt, während die Juden auf dem Wissen der Araber aufbauten. Der Beruf des Arztes war einer der wenigen, die den Juden im Mittelalter und der frühen Neuzeit offen standen.

Den Abschluss der Ausstellung bilden einige Beispiele aus der Aufklärung. So ist eine Elegie auf den Tod des bedeutenden Vertreters der jüdischen Aufklärung, Moses Mendelssohn, zu sehen. Es wurden aber auch nichtjüdische Texte gelesen. Nicht zuletzt Schillers Werke fanden begeisterte Aufnahme. So ist in der Ausstellung eine Handschrift mit dem deutschen Text von Schillers „Ode an die Freude” und zwei hebräischen Übersetzungen zu sehen. Anne Strodtmann

Die Ausstellung „Kitwe-Jad. Jüdische Handschriften” ist bis zum 17. August zu sehen.

Öffnungszeiten: Mo bis Fr 10 - 19 Uhr, Sa 10 - 17 Uhr; sonn- und feiertags geschlossen. Der Eintritt ist frei.

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