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Gesundheit: Die Chimäre der Hochschulfreiheit

Von George Turner, Wissenschaftssenator a. D.

Die neue, alte Koalition in Berlin bekennt sich zur „Stärkung der Autonomie“ der Hochschulen.

Autonomie kann nicht Freiheit vom Staat bedeuten, losgelöst von gesetzlichen Vorgaben. Autonomie ist kein Selbstzweck, sondern muss sich an den Aufgaben der Institution orientieren, die für sich dieses Recht in Anspruch nimmt. Autonomie für die Institution Universität lässt sich im Verhältnis zum Staat und gegenüber den partikularen Interessen der Hochschulangehörigen nur verwirklichen, wenn die Mitglieder der Hochschulleitung nicht von der Wahl durch diejenigen abhängen, deren Vorgesetzte sie später sind.

Es entspricht zwar demokratischen Prinzipien, dass das Volk seine Repräsentanten wählt, die es regieren. Hochschulen aber sind keine Gebietskörperschaften wie Gemeinden oder Städte mit einer repräsentativen Vertretung. Sie sind ihrer Aufgabe nach eher Anstalten, die einem bestimmten Zweck dienen. Wer also mehr Autonomie im Sinne von mehr Gestaltung will, muss sich darüber im Klaren sein, dass dies unter den Bedingungen der mitbestimmten Hochschule nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Das bedeutet nicht, völlig auf die Mitwirkung der Hochschulmitglieder zu verzichten. Ein Land wie Baden-Württemberg mit einem Vorstandsmodell für die Leitung und überwiegend beratenden Funktionen der Gremien hat da einen plausiblen Weg gefunden. Eine Lösung ist es jedenfalls nicht, wenn bei der Wahl von Rektor oder Präsident das Prinzip der Gruppenuniversität durchschlägt, schon gar nicht, wenn Teile der Koalition trotz gegenteiliger offizieller Äußerung immer noch mit der Einführung der Viertelparität liebäugeln.

Gleichgültig, ob der Staat Mittel zur Verfügung stellt oder private Träger diese aufbringen, sie werden Wert darauf legen, dass der Zweck, nämlich Lehre und Forschung zu betreiben, erfüllt wird. Eine völlige Freiheit der Hochschulen, unabhängig von jeder Kontrolle und allein sich selbst überlassen, ist weder durchsetzbar noch wünschenswert. Die Bemühungen, staatlichen Einfluss zu minimieren, indem Hochschulräte eingerichtet werden, bedeuten nicht automatisch mehr Freiheit für die Hochschulen. Hier werden das Ministerium oder die Senatsverwaltung – in aller Regel nur teilweise – durch ein anderes Organ ersetzt. Eine völlige Freiheit im Sinne einer Aufsichtslosigkeit kann und darf es nicht geben. Auch wenn manche Vorstellung von Autonomie in diese Richtung geht und eher wie ein Hirngespinst erscheint, eine Chimäre.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail schreiben: g.turner@tagesspiegel.de

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