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Gesundheit: Die Gier der großen Länder

Der Bund will sich aus dem Hochschulbau verabschieden. Die Unis im Osten und Norden wären die ersten Opfer der Föderalismusreform

Auch wenn der Osten Deutschlands bisher keine blühende Landschaft geworden ist, so hat er doch blühende Oasen. Dazu gehört eine stattliche Zahl von Hochschuleinrichtungen und Forschungsinstituten. Gewiss findet man noch Beispiele der DDR-Tristesse, aber neue oder erneuerte Lehr- und Forschungsgebäude mit moderner Ausstattung bestimmen das Bild. Ein eindrucksvolles Beispiel in Berlin ist der neue naturwissenschaftliche Campus der Humboldt-Universität in Adlershof. Solche öffentlichen Ausgaben sind sinnvoll angelegtes Geld, das sich nicht nur vor Ort, sondern für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wissenschaft insgesamt auszahlt.

Die neuen Hochschulgebäude und die zahlreichen Forschungsinstitute der Max- Planck-, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz- und der Leibniz-Gemeinschaft sind meist nicht das Ergebnis eines speziellen Programms für das östliche Berlin und die ostdeutschen Länder. Sie zeugen vielmehr vom Sinn einer weitsichtigen Ergänzung des Grundgesetzes, die 1969 in der Zeit der großen Koalition von Union und SPD beschlossen worden ist, nämlich der Gemeinschaftsaufgaben Forschungsförderung und Hochschulbau. Bund und Länder finanzieren diese beiden für unsere Zukunft überaus wichtigen Aufgaben seitdem gemeinsam. Für die Forschungsförderung war dies im Prinzip nichts Neues. Schon 1911 hatte man für ganz Deutschland die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet, weil moderne Forschung, insbesondere in den Naturwissenschaften, eine große Finanzkraft erfordert.

Bildung trotz leerer Kassen

Neu war dagegen die Hochschulbauförderung als gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Sie entsprach damals wie heute der dringenden Notwendigkeit, die Bildungschancen zu erweitern und neue Studienplätze zu schaffen. Mittlere und kleinere Länder können, trotz ihrer geringeren Finanzkraft, ihre Hochschulen erweitern oder neue Hochschulen gründen.

Nach dem Hochschulbaufördergesetz trägt nämlich der Bund die Hälfte der Investitionen. So hat Sachsen in den Jahren 1991 bis 2002 zwei Milliarden Euro (37,48 Euro pro Einwohner) in seine Hochschulen investiert, von denen 884 Millionen Euro vom Bund kamen. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen waren es insgesamt 754 Millionen, 1,1 Milliarden beziehungsweise eine Milliarde (35,10, 34,91 beziehungsweise 34,32 Euro pro Einwohner).

Allerdings bedarf es vor einer Bundesbeteiligung einer positiven Bewertung durch den Wissenschaftsrat. Das ist ein unabhängiges Gremium, in dem gewählte Repräsentanten der Wissenschaft das erste Wort haben. Dadurch ist nicht nur der Nutzen der von den Ländern vorgeschlagenen Bauvorhaben garantiert, sondern es gibt auch einen heilsamen Wettbewerb in Bezug auf deren Bedeutung und Qualität.

Freilich übernimmt der Bund seinen Anteil nur dann, wenn ihm dies im Rahmen der dafür im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel möglich ist. Der Streit, wer mehr Geld für den Hochschulbau ausgeben will – der Bund oder die Länder – , ist für die Wissenschaft von Vorteil. Denn trotz der Länderzuständigkeit für die Hochschulen bleibt dadurch ein wichtiger Bestandteil der Ausgaben für die Hochschulen im Blickfeld der gesamtdeutschen Öffentlichkeit. Und im Übrigen wird kein Land daran gehindert, mehr für seine Hochschulen zu tun, wenn es dies kann und will.

Gleichsam als Revanche will der Bund nun seinerseits die Länder aus der Forschungsförderung verdrängen und dort national wie international allein glänzen. Zur Zeit hat der Bund insgesamt daran einen Anteil von 68 Prozent. Die Länder sollen künftig neben dem Hochschulbau nur noch allein die Leibniz-Gemeinschaft mit derzeit 696,9 Millionen Euro finanzieren. Zwar sind die Länder dagegen, aber wer kann im Ernst glauben, vom Bund ein weniger an Kompetenz ohne Gegenleistung zu bekommen? Berlin hat derzeit bei der gemeinsamen Forschungsförderung einen Anteil von 25,5 Prozent, erhält also für jeden Euro, den es hier ausgibt, weitere drei Euro hinzu. Würde sich der Bund durchsetzen, dann müsste Berlin für den Hochschulbau und die Forschungsförderung 37,8 Millionen Euro, das sind zehn Prozent mehr als jetzt, zahlen. Wir haben also ein funktionierendes, gelegentlich sicher etwas umständliches, aber insgesamt außerordentlich erfolgreiches System der Hochschulbauförderung. Es nützt der Wissenschaft und liegt überdies im elementaren Eigeninteresse der deutschen Länder – jedenfalls der mittleren und kleineren Länder. Mittlere und kleinere Länder sind alle „neuen“ Bundesländer und die meisten der „alten“ Bundesländer.

Sie spielen Wissenschaftsmächte

Da deren Haushalte alles andere als üppig sind, hat die dortige Wissenschaftspolitik überhaupt nur eine Chance, an Geld für den Hochschulbau zu kommen, wenn sie durch überzeugende Projekte sicher sein kann, die Hälfte der Investitionen aus dem Bundeshaushalt zu erhalten. Und ginge im Gegenzug die Trägerschaft der Forschungsförderung mit Ausnahme der Leibniz-Institute allein an den Bund, so hätten die Hochschulen, denen bisher die Zusammenarbeit mit der besser finanzierten außeruniversitären Forschung nützt, davon noch einen weiteren Schaden. Wenn es trotzdem für viele in Deutschland schon so gut wie beschlossen ist, dass die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau abgeschafft werden soll, so hat das vor allem folgende Gründe: Erstens meinen die drei bis vier großen und reichen Länder in Deutschland allen Ernstes, sie könnten europäische Wissenschaftsmächte spielen. Dabei ist ihnen der Wissenschaftsrat natürlich im Wege. Außerdem geben sie sich der Illusion hin, sie würden beim großen politischen Kuhhandel vom Bund so viel Steueranteile bekommen, dass sie künftig auf den Bundesanteil bei der Hochschulbauförderung verzichten können.

Damit eine solche ausschließlich am Interesse weniger Länder ausgerichtete Forderung gleichwohl erhebliche öffentliche Unterstützung gewinnen konnte, bedurfte es allerdings eines zweiten Grundes. Und das ist das allgemeine Missvergnügen am unlängst noch hochgelobten deutschen Föderalismus. Es ist ja wahr, dass sich Bund und Länder heillos ineinander verflochten und verwoben haben und sich Bundestag und Bundesrat zu oft wechselseitig blockieren. Nur hat dies weder mit dem Hochschulbau noch mit der Forschungsförderung irgendetwas zu tun. Über diese Aufgaben hat es noch nie eine Blockade des Bundestages durch den Bundesrat gegeben, und wenn es zum Streit kommt, dann ist klar, worüber gestritten wird und bei wem die Verantwortung liegt.

Verschwörung des Schweigens

Wer jetzt lautstark befürwortet, die Hochschulbauförderung als Gemeinschaftsaufgabe abzuschaffen, ersetzt Sachkenntnis durch Ordnungspolitik – also durch Ideologie. Es ist der absurde Versuch, eine Realität, die man nicht kennt, nach Kriterien auszurichten, die mit der Realität nichts zu tun haben. Deutschland ist drauf und dran, bei der Wissenschaft und den Hochschulen zum Partikularismus zurückzukehren und damit die Gefahr eines geistigen Provinzialismus heraufzubeschwören. Und eine sehr wirksame Verschwörung des Schweigens verhindert eine wirkliche öffentliche Debatte darüber.

Der Autor war bis 1990 als Anglist an der Humboldt-Universität tätig und gehörte als Minister für Bildung und Wissenschaft der letzten DDR-Regierung an. Von November 1990 bis April 2002 war er in Sachsen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst.

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