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Gesundheit: Die linke Hälfte des Herzens

Vom Ideologen zum Realpolitiker: Warum die Kritik an Berlins Wissenschaftssenator überzogen ist

90 Hände mit roten Abstimmungskarten strecken sich in den blauen Dunst im Saal, ein kurzes ungläubiges Staunen, dann brandet Jubel auf: Die Parteibasis hat ihren Senator besiegt – und zwar mit überwältigender Mehrheit. Als die Delegierten des Landesparteitags am Sonntag gegen die Studienkonten von Thomas Flierl stimmen, scheint dieser ob der Klarheit der Niederlage auf seinem Platz zu gefrieren. Die Partei hat ihn öffentlich zu Boden geworfen, um seine Politik im Senat zu verhindern.

Noch vor gut zwei Jahren, als Flierl sein Amt als Wissenschaftssenator in Berlin antrat, eilte ihm der Ruf eines „Verhinderers“, eines „Mr. No“ voraus, der seiner linken Ideologie in seiner Zeit als Baustadtrat in Mitte immer treu blieb – als er dem Hotel Adlon einen Baldachin verbot, weil das Hotel „privilegierten“ Schichten vorbehalten sei, oder als er der Marienkirche eine Mineralwasserwerbung als „öffentliche Prostitution ohne Lizenz“ untersagte. „Bewusst in die Härten reingehen“ nannte der promovierte Philosoph, der im Kulturministerium der DDR tätig war, damals seine Haltung in Konflikten.

Jetzt bezeichnet ihn die Opposition als „Schwächling“ (Martin Lindner, FDP). Parteigenossen, die ihm übel nehmen, dass er die PDS-Politik im Senat nicht durchsetzen kann, kritisieren Flierl als „unsichtbar“. Und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit fährt dem Senator gelegentlich öffentlich in die Parade: etwa als Flierl nach der Wende geschasste Ost-Wissenschaftler mit einem Festakt ehren wollte.

Auf gleicher Höhe mit der SPD

Ist die Aufregung über den vermeintlich besonders schwachen Senator gerechtfertigt? Flierl hat sich in seiner Amtszeit vom gefürchteten Ideologen zum Realpolitiker gewandelt. Als die SPD-Spitze auf Langzeitgebühren drängte, schlug er als Alternative Studienkonten vor. Damit bewegt er sich auf gleicher Höhe mit den SPD-Regierungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die ähnliche Modelle einführen. Auch die Berliner SPD-Fraktion hat sich dafür ausgesprochen. Die in der Koalition schon allzu sehr strapazierte Parteiseele der PDS war jedoch überfordert. Für die Delegierten, von denen viele in ihren Reden dem Senator das sozialistische Kuba und die DDR als leuchtende Beispiele vorhielten, darf Ökonomie – auch Zeitökonomie – nichts mit dem Studium zu tun haben. Das hätte die SPD-Parteispitze sich auch schon denken können, als sie dem Senator die Gebühren gegen die Absprache im Koalitionsvertrag aufzwingen wollte.

Wenn Flierl zurzeit auch zwischen der SPD und seiner Partei zermalmt zu werden scheint: An den Hochschulen der Stadt schätzt man ihn als „besonnenen Politiker, der vieles in der richtigen Richtung unternimmt“, wie ein Uni-Präsident formuliert. In der Wissenschaft ist man daran gewöhnt, dass Bildung und Forschung sich am Senatstisch nur bedingt durchsetzen können. In fast allen Landesregierungen ist das so.

Flierls Persönlichkeit jedenfalls erzeugt in der Wissenschaftsszene keine Abstoßungsreaktionen wie früher etwa die Peter Radunskis von der CDU, der als profaner „Zigeunerbaron“ verspottet wurde und den Hass der auch damals protestierenden Studenten auf sich zog. Flierl gibt sich als leiser Denker, nicht als kaltschnäuziger Berufspolitiker. Die Torte, die ihm während des Streiks an der TU ins Gesicht geworfen wurde, kam von militanten Einzeltätern – der Stimmung der Masse entsprach sie nicht.

Zwei Bedrohungen hat Flierl gemeistert: Er hat die Hochschulverträge gerettet und damit auch die kleinen Kunsthochschulen abgesichert. Und er hat darauf hingewirkt, dass Berlins Universitäten nicht 200 bis 300 Millionen Euro sparen müssen, wie es Finanzsenator Thilo Sarrazin wollte. Daraus sind nun 75 Millionen Euro geworden. Vor den streikenden Studierenden wollte sich Flierl dazu trotzdem nicht bekennen und gab dem Senat die Schuld am Sparen. Doch wenn Wowereit ihm das übel nimmt, dramatisiert er. Denn letztlich zeugt Flierls Haltung von Solidarität gegenüber dem Senat: Anders als sein Staatssekretär Peer Pasternack hat er nicht frustriert das Handtuch geworfen – auch nach der Niederlage auf dem Parteitag denkt er nicht daran, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Kein harter Dr. No

Zur schweren Last des Senators gehört die Fusion der Berliner Hochschulmedizin. Flierl sieht sie bereits auf „auf gutem Weg“, sagte er vor dem Parteitag der PDS. Wie die Charité aber die riesige Sparlast von 98 Millionen Euro und ein Defizit von 53 Millionen Euro schultern soll, ist ungewiss. Betriebsbedingte Kündigungen darf sie nicht aussprechen. Das ist nicht Flierls Schuld, sondern vom Senat für den öffentlichen Dienst so ausgehandelt worden. Und der Senat wird ebenso entscheiden müssen, ob die Charité Geld aus ihren Immobilien gewinnen darf.

Auch die bevorstehende Sanierung des Naturkundemuseums zählt Flierl bereits zu seinen Erfolgen – dabei ist noch offen, welches Bundesministerium die 120 Millionen Euro aufbringen soll. Hinter den Kulissen wirft man dem Senator vor, er habe es versäumt, rechtzeitig mit Bildungsministerin Edelgard Bulmahn zu verhandeln, die ihre Mittel nun für die Elite-Förderung reserviere.

Flierl mag in den großen Fragen zum Realpolitiker bekehrt sein, in den kleinen will er den PDS-Wählern und Genossen – vielleicht auch der linken Hälfte seines Herzens – gefällig sein. Als Bildungsministerin Bulmahn das Recht der Studentenvertretungen, sich zu gesellschaftspolitischen Fragen zu äußern, im Hochschulrahmengesetz ausweitete, zog Flierl im Berliner Gesetz gleich nach. „Damit sind wir bundesweit Spitzenreiter!“, rief er auf dem Parteitag. Gebracht hat es den Studierenden nichts: Der Asta der Freien Universität wurde vor Gericht genauso verwarnt wie unter dem alten Gesetz.

Während das allgemeinpolitische Mandat nur ein unbedeutender Nebenschauplatz der Hochschulpolitik ist, bergen Flierls Bestrebungen, die Universitäten zu „demokratisieren“, Gefahren. Er will die Abstimmungsmehrheit der Professoren in den Gremien brechen, indem er die Viertelparität einführt. Kritiker befürchten, die Unis würden damit unsteuerbar und leistungsschwach.

Trotzdem: Flierl ist weder der harte Dr. No von früher noch ein Blatt im Winde des Senats. Bislang sieht seine Bilanz nicht schlechter aus als die seiner Vorgänger.

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