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Gesundheit: „Die Sonne mit Blut ernähren“

Die Azteken waren ein brutales Volk – aber auch poetisch, sagt der Archäologe Eduardo Matos Moctezuma

EDUARDO MATOS MOCTEZUMA (62),

Archäologe und Anthropologe, leitet die Ausstellung „Azteken“ in Berlin.

Foto: Ortrun Egelkraut

Eduardo Matos Moctezuma ist Archäologe und Anthropologe. Zusammen mit Felipe Solís Olguín, dem Direktor des Anthropologischen Nationalmuseums, leitet der Mexikaner die große AztekenAusstellung im Berliner Gropius-Bau. Moctezuma forscht seit 25 Jahren am Templo Mayor, dem größten Grabungsprojekt in Mexiko-Stadt. Rund 30 Bücher und mehr als 300 Artikel hat der Direktor des Museo del Templo Mayor veröffentlicht.

In den letzten Jahren gab es oft sensationelle Nachrichten über die Kultur der Maya. Die Azteken können da nicht mithalten.

Seit man die Schrift der Maya lesen kann, gab es große Fortschritte in der Maya-Forschung. Außerdem hat man viele neue Stätten entdeckt, die den Archäologen reiches Material in die Hand geben. Bei den Azteken besteht das Problem darin, dass wir nicht in die gewaltigen Schichten aus Beton und Zement eindringen konnten, die Mexiko Stadt über ihren Stätten aufgebaut hat. Wir haben immer ein bisschen Glück gehabt, beim U-Bahn-Bau oder bei anderen Bauarbeiten.

Wie beim Templo Mayor vor genau 25 Jahren.

Das war ein Zufall, der zum Glücksfall wurde. Bauarbeiter der Elektrizitätsgesellschaft stießen beim Bohren auf einen harten Widerstand. Sie riefen sofort das archäologische Rettungsteam. Es förderte eine wahrhaft großartige, kreisrunde Skulptur zu Tage – es war übrigens Felipe Solís, der das Relief als Göttin Coyolxauhqui identifizierte. Vier Wochen später begannen wir mit den Ausgrabungen.

War es nicht schwierig, die Politiker zu überzeugen, dafür einen ganzen Häuserblock im historischen Zentrum abzureißen?

Nein, es gab eine totale Unterstützung. Die Gesetzgebung in Mexiko schützt die archäologischen Stätten und Funde sehr. Zunächst bildete sich ein Denkmalsrat aus Architekten, Archäologen und anderen Spezialisten, um den Wert eines jeden Gebäudes festzustellen. Es gab hier keine Kolonialbauten, die meisten der Gebäude waren von Anfang des 20. Jahrhunderts. So konnten wir die Ausgrabungen am Templo Mayor fortsetzen. In fünf Jahren sicherten wir die architektonischen Strukturen, stießen auf einzigartige Skulpturen und entdeckten über 100 Ofrendas, Opfergaben an die Götter. Danach begann die Phase der Interpretation unserer Erkenntnisse, und in der befinden wir uns heute noch. Auch die Ausgrabungen halten an. Wir kannten nun den Templo Mayor, wollten aber den ganzen heiligen Bezirk erforschen.

Dazu müsste man das historische Zentrum abreißen.

Nein, ganz und gar nicht. Wir haben 1991 das Programm der Urbanen Archäologie gegründet. Wir hängen uns einfach an gerade anstehende Straßenbau- oder Restaurierungsarbeiten an. Als an der Kathedrale die Arbeiten zur Stabilisierung des Untergrunds begannen, nutzten wir die Gelegenheit, um in die Tiefe vorzustoßen. In einem Umkreis von etwa drei Metern konnten wir fünf große Bauten lokalisieren, darunter einen Ballspielplatz.

Was haben die 25 Jahre an Erkenntnissen gebracht?

Mit den Ausgrabungen haben wir aus vielen neuen Elementen ein breites Panorama erhalten. So wussten wir nicht, wie oft der Templo Mayor überbaut wurde, jetzt wissen wir, er wurde wenigstens sieben Mal erweitert. Dies scheint mit einigen Herrschern zu tun zu haben, die sich mit den Göttern gut stellen wollten. Wir wussten auch nicht viel über die Ofrendas, jetzt wissen wir, dass diese Opfergaben auf ganz bestimmten Achsen rings um das Gebäude herum angelegt waren. Und wir haben festgestellt, dass die Azteken in ihrem Haupttempel auch der Kontrolle, die sie über andere Regionen hatten, Ausdruck geben wollten. Über 200 Stücke haben sie als Geschenk aus dem Süden des Landes mitgebracht. Das Wichtigste ist, dass neue Generationen von Archäologen nachgewachsen sind, die mit neuen Techniken arbeiten, die wir vorher noch nicht kannten. Wir argumentierten mit Spekulationen, sie liefern heute die Analysen aus den Laboren.

Hat sich in dieser Zeit auch Ihr Leben verändert?

Aber ja, in dem Maße wie die Ausgrabungen vorankamen, entdeckte ich auch ein Stück von mir. Zum ersten Mal hatte ich die Freiheit, mit einer Mannschaft aus verschiedenen Forschungsgebieten zusammenzuarbeiten, also mit Archäologen, Anthropologen, Chemikern, Biologen. Und mit der Zeit begann ich plötzlich wieder Dinge zu tun, die ich längst aufgegeben hatte. Ich widmete mich etwas der Bildhauerei, begann Poesie zu lesen, auch Rilke, den ich sehr bewundere, und selbst Poesie zu schreiben.

Wie passt die Poesie zu den Azteken, die sehr blutrünstig gewesen sein sollen?

Tatsächlich haben die Azteken eine wunderbare Poesie hinterlassen. Spezialisten der Nahuatl-Sprache haben aztekische Gedichte übersetzt, die außerordentlich sind. Darin ist viel von Blumen und Gesang die Rede. Das Nahuatl-Wort für Poesie heißt, inxochi incicuatl, das bedeutet Blumen und Gesänge. Auch die Bildhauer haben fantastische Werke in Ton und Stein geschaffen. Und das wollen wir mit der Ausstellung zeigen, dass ein Volk wie die Azteken, das zweifellos expansionistisch war, es im Bereich der Kunst zu einer einzigartigen Meisterschaft gebracht hat.

Es gab eine Zeit, da hieß es, die spanischen Eroberer hätten bei der Beschreibung der Menschenopfer maßlos übertrieben. Aber die Funde scheinen das nun doch zu bestätigen?

Ja, auf jeden Fall. Aber Menschenopfer hat es in allen Agrargesellschaften gegeben, wir brauchen nur die Ilias von Homer zu lesen. In den mesoamerikanischen Kulturen spielte die Beobachtung der Natur eine wichtige Rolle. Es gab die Regenzeit, in der die Natur zu leben begann, und es gab die Zeit der Trockenheit, in der alles starb. Trotzdem erkannten die präspanischen Völker, dass auch aus der Trockenheit wieder Leben entstand, dass aus dem Tod neues Leben erwuchs. Um diesen Kreislauf aufrecht zu erhalten, opferten sie der Sonne. Der Grund für die Menschenopfer war, die Sonne mit Blut zu ernähren, damit die Welt nicht aufhöre zu existieren. Heute vernichten wir mit unseren Kriegen aus ökonomischen Interessen ganze Völker und kaum einer regt sich auf.

Die Austellung „Azteken“ ist bis zum 10. August im Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, zu sehen (mittwochs bis montags zwischen 10 und 20 Uhr, dienstags geschlossen).

Mehr zum Thema im Internet:

www.gropiusbau.de

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