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Aufopferung. Manche pflegenden Angehörigen verlieren Freunde und Job. Foto: dpa

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Gesundheit: Die stillen Helden

Die meisten Pflegebedürftigen leben nicht in Heimen, sondern werden von Angehörigen zu Hause betreut Dafür nehmen allein in Berlin 170 000 Menschen enorme Strapazen auf sich. Jetzt soll ihnen eine Woche lang gedankt werden.

Morgens vor der Arbeit noch schnell die Windeln beim eigenen Vater wechseln. Oder der Oma nach einem Sturz in der dunklen Wohnung aufhelfen, einen Arzt rufen und warten, bis er klären konnte, ob sich die alte Dame etwas gebrochen hat. Danach keinen Schlaf mehr finden und wenig später ermattet im Büro ankommen. Und das alles nicht einmal oder zweimal, sondern immer wieder, jahrelang. Einige der Helfenden geben ihren Job auf, weil Schlafmangel und gedankliche Abwesenheit mit der Zeit ihren Tribut verlangen.

Etwa 2,3 Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland. Die meisten von ihnen leben nicht im Heim und werden auch nicht mit Hilfe eines ambulanten Dienstes versorgt, sondern zu Hause von Angehörigen betreut. Und mehr als 20 Prozent der pflegenden Angehörigen gehen nebenbei noch arbeiten, viele davon sogar in Vollzeit.

An diesem Montag nun wollen Ehrenamtliche und die Fachstelle für pflegende Angehörige den zahlreichen stillen Helfern für ihren Dienst danken – mit insgesamt fünf Veranstaltungen im Rahmen der „Woche der pflegenden Angehörigen“, die an diesem Montag mit einer großen Informations- und Beratungsveranstaltung im Rathaus Schöneberg eröffnet wird. Im Laufe der Woche folgen eine Dampferfahrt auf der Spree, ein Kinobesuch, ein Tanzcafé im Café Keese und eine Lesung im Willy-Brandt-Saal des Schöneberger Rathauses. Die Fachstelle für pflegende Angehörige wird vom Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte e.V getragen und außerdem vom Gesundheitssenator unterstützt.

Allein in Berlin betreuen 170 000 Frauen und Männer ihre Väter, Mütter, Großeltern, kranken Partner oder Geschwister. Insgesamt versorgen sie rund 100 000 bedürftige Angehörige in der Stadt. Sie geben dabei oft soziale Kontakte und ihre eigene Gesundheit auf. Freundschaften leiden unter dem Dauerdruck, kaum noch Zeit zu haben, gerade abends auf die Uhr oder das Handy zu schauen, ob man nicht besser bald mal zu Hause nachsehe. Lange Urlaube sind für die meisten ohnehin nicht möglich.

In der Gesellschaft hingegen würden diese Strapazen und die Menschen, die sie auf sich nehmen, kaum wahrgenommen, sagt Frank Schumann von der Fachstelle für pflegende Angehörige. „Ihnen fehlen oft auch Kraft und Zeit, auf Ihre Lage aufmerksam zu machen.“ Wer erzählt morgens im Büro schon gern, dass er nachts seinem bettlägrigen Vater beim Stuhlgang geholfen hat? Viele der pflegenden wie auch der bedürftigen Angehörigen dürften deshalb froh sein, sich im Rathaus Schöneberg mit Experten und anderen Betroffenen austauschen zu können.

Hinzu kommt, dass viele Arbeitgeber dieses Problem nicht berücksichtigen. In den meisten Tarifverträgen und Sozialvereinbarungen fehlen Klauseln, die es pflegenden Angehörigen leichter machen würden, Pflege und Beruf zu vereinbaren. Weil die Menschen dank medizinischen Fortschrittes im Schnitt länger leben, wird es in zehn Jahren bundesweit drei Millionen Pflegebedürftige geben – das Problem wird also zunehmen.

Seit Januar 2012 ist ein neues Gesetz in Kraft. Wer berufstätig ist und zu Hause seinen Partner oder die Eltern pflegt, soll durch das Familienpflegezeitgesetz entlastet werden. Diese Familienpflegezeit soll so funktionieren: Wer in Vollzeit arbeitet, kann seine Stelle für zwei Jahre auf 50 Prozent reduzieren. Das Einkommen verringert sich zwar dadurch ebenfalls, aber weniger stark. Konkret gibt es vom Gehalt in dieser Zeit 75 Prozent. Nach den zwei Jahren muss allerdings wieder voll gearbeitet werden und das Einkommen bleibt bei 75 Prozent, bis der Lohnzuschuss aus den ersten beiden Jahren ausgeglichen ist.

Einigen Betroffenen dürfte das die erste Zeit als pflegender Angehöriger zwar erleichtern. Mit finanzieller Unterstützung von Bedürftigen hat es aber nichts zu tun. Es ist eher eine Art von Kredit, der obligatorisch zurückgezahlt werden muss. Außerdem, sagen Experten, läge die durchschnittliche Pflegezeit eines Angehörigen bei sechs bis neun Jahren. Die von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) beschlossenen zwei Jahre seien deshalb nicht ausreichend.

Hinzu kommen gerade in Berlin die ohnehin schon geringen Einkommen. Jeder vierte Beschäftigte in der Stadt ist Niedriglöhner und verdient trotz Vollzeitarbeit nur rund 1000 Euro netto im Monat, viele noch weniger. Davon jahrelang nur noch 75 Prozent zu erhalten, dürfte für viele Geringverdiener keine ernstzunehmende Option sein.

Umso wichtiger ist vielen Betroffenen, von Kennern zu hören, wer Angehörigen hilft, was Krankenkassen und Sozialeinrichtungen tun und wie sich Betroffene vernetzen können. All dies soll im Rathaus Schöneberg in einer Gesprächsrunde und informell diskutiert werden.

Informationen und kostenlose Anmeldung für die ganze Woche bei Olivia Baier, Tel. 443190981, E-Mail baier@gesundheitbb.de. Die Eröffnungsveranstaltung am heutigen Montag im Rathaus Schöneberg beginnt um 11 Uhr, Impulsreferat „Was brauchen pflegende Angehörige an Unterstützung?“ um 12.50 Uhr. Veranstalter: Fachstelle für pflegende Angehörige, Tel. 69598897, www.woche-der-pflegenden-angehoerigen.de, E-Mail: info@woche-der-pflegenden-angehoerigen.de

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