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Gesundheit: "diplom.de": Ein Diplom geht um die Welt

Diplomarbeiten haben oft ein trauriges Schicksal. In monatelangem Kampf unter Einsatz von viel Schweiß, Kaffee, Zigaretten und Tränen verfasst, verstauben sie nach der Abgabe im Schrank und warten wie der Froschkönig auf die Prinzessin, die sie wach küsst.

Diplomarbeiten haben oft ein trauriges Schicksal. In monatelangem Kampf unter Einsatz von viel Schweiß, Kaffee, Zigaretten und Tränen verfasst, verstauben sie nach der Abgabe im Schrank und warten wie der Froschkönig auf die Prinzessin, die sie wach küsst. So erging es auch Nicola Ungers Arbeit "Märchen im Unterricht", die sie vor sechs Jahren für ihr Staatsexamen schrieb. Jetzt gab es passend zum Thema ein märchenhaftes Ende für das Werk der ehemaligen Pädagogikstudentin: Es fand seine Prinzessin und wurde im letzten Monat zweimal verkauft. Autorin Unger, heute Referendarin in Halle, wundert sich noch immer: "Dass das ewig dicke Ding überhaupt einen interessiert, hätte ich nicht gedacht."

Die Prinzessin zu Ungers Arbeit hat nicht etwa ein Buchverlag vermittelt, sondern die Hamburger Internet-Agentur "diplom.de". Der Inhaber Björn Bedey bietet zusammen mit zwei ehemaligen Kommilitonen seit drei Jahren Abschlussarbeiten aus allen Fachrichtungen im World Wide Web an. Über 2500 Titel hat die Agentur inzwischen auf Lager - von Agrarwissenschaften über Ökotrophologie bis zu Volkswirtschaft. Letzteres überwiegt allerdings. "Das liegt daran, dass Wirtschaftsstudenten ein anderes Verhältnis zum Marketing haben als Germanisten", meint Bedey, selbst ein Ex-Wirtschaftsstudent. "Geisteswissenschaftler zweifeln eher daran, ob ihre Arbeit für Andere interessant ist, Wirtschaftler nicht." Potenzielle Käufer, so der 32-jährige Jungunternehmer, seien Firmen, die Interesse an praxisbezogenen Themen haben ("Dafür müssten die sonst viel Geld ausgeben"), und Studenten, die Anregungen für ihre eigene Abschlussarbeit suchen. Bisheriger Käuferanteil: Ein Drittel Firmen, zwei Drittel Studenten.

Der Preis für eine Arbeit variiert je nach Aktualität und Praxisbezug, liegt aber stets im dreistelligen Bereich. Ungers Märchen-Werk zum Beispiel kostet 158 Mark, für den gerade frisch hereingekommenen "Freihandelsvertrag zwischen Mexiko und der EU" muss der Käufer stolze 637 Mark berappen - Studenten zahlen jeweils die Hälfte. 30 bis 50 Prozent davon bekommt der Autor, mit dem Rest sowie der Werbung auf der Homepage finanziert sich die Agentur. Die hohen Preise hält Bedey für gerechtfertigt, denn im Gegensatz zu Internetseiten, wo Hausarbeiten und Referate gratis zum Runterladen angeboten werden, bekomme der Kunde "Qualitätsware": "Für ein Fachbuch muss man ja auch Geld bezahlen, wenn man es kaufen will." Jede Arbeit wird zunächst gescannt und digital bearbeitet, mit Gliederung und Inhaltsangabe versehen sowie bei Versand je nach Bedarf ausgedruckt und gebunden.

Gegründet hat Bedey seine Agentur vor drei Jahren "aus eigener Betroffenheit". Irgendwann hatte er die Nase voll davon, für Firmen, die an seiner Diplomarbeit im Fach Wirtschaftspädagogik interessiert waren, auch noch Kopiergeld und Porto zu bezahlen. Da es andere Anbieter nicht gab, schritt er mit seinen Teilhabern selbst zur Tat und baute die Agentur nach dem Examen kontinuierlich aus. Seine Arbeit liegt mit 21 Bestellungen immer noch auf Platz Zwei der Top-25-Bestseller der Agentur und damit auch klar vor Nicola Unger. Allerdings betonen beide, dass der finanzielle Aspekt bei der Veröffentlichung nur an zweiter Stelle steht: "Es geht primär um die Genugtuung, eine Arbeit, an der man ein Jahr gesessen hat, der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und sie nicht im Schrank verschimmeln zu lassen", sagt Bedey, und Unger pflichtet bei: "Mir ging es hauptsächlich darum, die Arbeit überhaupt zu veröffentlichen. Das war wichtig, weil ich danach promovieren wollte."

Wer große Reichtümer mit einer Veröffentlichung bei "diplom.de" erwartet, hofft deshalb vergebens - die wenigsten Arbeiten werden wie die vom Inhaber gleich 21 Mal geordert. "Für ein nettes Abendessen zu zweit reicht das Honorar meistens schon. Das ist doch auch was Schönes", tröstet Bedey. Manche können sich nicht mal das leisten: Ein Viertel der bereit liegenden Diplomarbeiten wartet noch immer auf den ersten Käufer. Happy-Ends gibt es halt doch meistens nur im Märchen.

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