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Gesundheit: Ein Blick für das Unsichtbare

Physik-Nobelpreis für zwei Amerikaner und einen Japaner – sie haben den Himmel in neuem Licht gezeigt

Von Thomas de Padova

Es gibt eine Wirklichkeit, die jenseits dessen liegt, was wir mit unseren Augen sehen können. Kleine Partikel wie Neutrinos zum Beispiel dringen jede Sekunde zu Abermilliarden in unseren Körper ein, ohne dass wir irgendetwas davon spüren. Sie kommen aus dem Kosmos und können die ganze Erde ungehindert durchqueren. Wir hätten niemals Notiz von ihnen genommen, hätten Wissenschaftler sich nicht auf ihre Fährte gemacht.

Jetzt werden drei Physiker mit dem Nobelpreis geehrt, die die Suche nach den kosmischen Neutrinos und nach Röntgenquellen im Universum eröffnet haben. Der bereits 87-jährige Amerikaner Raymond Davis und der elf Jahre jüngere japanische Physiker Masatoshi Koshiba erhalten jeweils ein Viertel des mit 1,1 Millionen Euro dotierten Preises für ihre erfolgreichen Neutrino-Messungen. Der amerikanische Astrophysiker Riccardo Giacconi (71) hat ein zweites Fenster zum Himmel aufgetan. Er erhält die Hälfte des Preises für die Entdeckung jener Röntgenstrahlung, die planetarische Nebel, heiße Sterne und Galaxien aussenden.

Schon in den 60er Jahren zog sich Raymond Davis auf der Suche nach den flüchtigen Neutrinos in ein Bergwerk zurück. In einer ehemaligen Goldmine in South Dakota baute der US-Forscher zusammen mit seinen Mitarbeitern einen Tank auf, der das Fassungsvermögen eines olympischen Schwimmbeckens hatte. Sie füllten ihn mit Perchlorethylen, einer preiswerten Flüssigkeit, die bei der chemischen Reinigung verwendet wurde.

Davis vertraute auf die Vorhersagen der Astrophysiker. Demnach sollten bei Kernreaktionen im Innern der Sonne ständig Billiarden Neutrinos entstehen. Er hoffte, hin und wieder eines dieser vielen Sonnenneutrinos einfangen zu können. Im Laufe von Tagen und Wochen würde das ein oder andere Neutrino vielleicht mit Chlor reagieren. Bei jeder solchen Liaison könnte sich ein Chlor-Atom in ein Argon-Atom verwandeln. Und diese wenigen Argon- Atome galt es dann aus dem riesigen Tank herauszufischen.

Das knifflige Experiment gelang. Im Schutze des Berges, der außer Neutrinos keine andere kosmische Strahlung hindurchließ, wartete Davis Wochen und Monate, um ein paar Dutzend Argon-Atome nachzuweisen. Die Sonne produziert tatsächlich Neutrinos. Bei höllischen Temperaturen von 16 Millionen Grad gewinnt sie ihre Energie durch Kernfusion. Was Davis allerdings verblüffte: Es kamen offenbar weniger Neutrinos auf der Erde an, als die Astrophysiker vorhergesagt hatten. War die Sonne doch komplexer und vielschichtiger als gedacht?

Auch Masatoshi Koshiba wusste nicht, wie er das gemessene Neutrino-Defizit erklären sollte. Womöglich gingen Davis viel mehr Neutrinos und Argon-Atome durch die Lappen, als er wahrhaben wollte.

Koshiba wollte die Ergebnisse in einem Anfang der 80er Jahre in Japan errichteten Labor überprüfen. Auch dieses lag in einem alten Stollen. Die Methode, mit der Koshiba die Neutrinos sichtbar machte, war freilich eine andere:

Die aus dem All herabschießenden Neutrinos passierten einen Tank mit 2200 Tonnen Wasser. Bei ihrem schnellen Flug prallten einige von ihnen wie bei Billard-Stößen mit den Elektronen der Wassermoleküle zusammen. Die so angestoßenen Elektronen sendeten einen kurzen Lichtblitz aus. Koshiba platzierte Lampions rund um den Tank. Sie sammelten das Licht ein. Auf diese Weise konnte er nicht nur die Zahl der eintreffenden Neutrinos abschätzen, sondern auch die Richtung angeben, aus der sie kamen.

Mit seinen Messungen bestätigte Koshiba die Ergebnisse seines Vorgängers. Es kamen tatsächlich unerwartet wenig Neutrinos auf der Erde an. Und wie spätere Experimente zeigten, liegt dies nicht daran, dass unsere Vorstellung vom Aufbau der Sonne falsch ist. Vielmehr können die geheimnisvollen Neutrinos auf dem Weg von der Sonne zur Erde ihre Identität wechseln. Einige Neutrinos wandeln sich in Partikel um, die für Davis und Koshiba unkenntlich blieben.

Koshiba und seine Kollegen entdeckten mit ihrem Detektor 1987 erstmals auch Neutrinos, die von einer fernen Sternexplosion herrührten. Sie fingen immerhin zwölf der vermutlich zehn Billiarden Neutrinos ein, die nach der Explosion am 23. Februar 1987 durch den Tank sausten. Sie alle kamen aus derselben Richtung und wiesen auf einen Nebel außerhalb des Sonnensystems hin.

Derartige Sternennebel hat der in Italien gebürtige Riccardo Giacconi auf andere Weise sichtbar gemacht. Giacconi hat Teleskope konstruiert, die kosmische Röntgenstrahlen auffangen. Da die Atmosphäre die Erde vor dieser energiereichen Strahlung wirkungsvoll abschirmt, müssen solche Teleskope in den Weltraum geschickt werden.

Das aufwendige Unternehmen stand unter keinem guten Stern: Unsere Sonne sendet nur wenig Röntgenlicht aus. Und daher bezweifelten viele Forscher Anfang der 60er Jahre, dass es sich lohnen würde, nach anderen Röntgenquellen im All zu suchen.

Giacconi überzeugte jedoch die US-Luftwaffe, in sein Projekt zu investieren. Er bekam die Möglichkeit, drei Geiger-Zähler an Bord einer Rakete zu installieren und registrierte damit 1962 erstmals kosmisches Röntgenlicht. Der Krebsnebel, der leuchtende Überrest einer Sternexplosion, die chinesische Astronomen im Jahre 1054 gesehen hatten, gab sich plötzlich auch als Röntgenquelle zu erkennen. Giacconi stellte fest, dass der Krebsnebel milliardenmal mehr Röntgenlicht ausstrahlt als unsere Sonne.

Nach dieser Entdeckung baute Giacconi immer bessere Teleskope. Jetzt erst wurden die stärksten Lichtquellen im ganzen Universum sichtbar: junge, sprudelnde Galaxienkerne oder miteinander verschmelzende, äußerst kompakte Sterne. Moderne Röntgensatelliten und Neutrino-Teleskope werden der Wissenschaft auch in diesem Jahrhundert noch viele überraschende Einblicke ins Universum bescheren.

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