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Gesundheit: Ein schwerer Schlag

Auch bei Kindern können Blutgefäße verstopfen. Schnelle Therapie ist notwendig

An einem Donnerstagmorgen wachte der zweijährige Nils weinend auf. „Ich dachte an einen Infekt“, sagt seine Mutter Ute Wesenberg aus Hannover. Im Lauf des Tages fiel ihr auf, dass Nils die Treppen nicht mehr hochkam und nicht mehr Dreirad fahren konnte. Zwischendurch schlief er tief und fest. Als der Junge am nächsten Tag mit offenen Augen dalag und nicht mehr ansprechbar war, kam er ins Krankenhaus. Bald stand fest: Nils hatte einen Schlaganfall. Eine größere Arterie, die dem Gehirn Blut zuführt, war verengt und hatte akuten Sauerstoffmangel im Gehirn hervorgerufen.

Jedes Jahr erleiden 600 bis 900 Kinder und Jugendliche einen Schlaganfall. „Die Dunkelziffer ist hoch. Hirninfarkte werden bei Kindern häufig verkannt“, so Maja Steinlin von der Universitätskinderklinik Bern. Ein Grund: Schlaganfälle sind in jungen Jahren selten. Allerdings ist die Tendenz steigend.

Schlaganfälle können sich schon kurz nach der Geburt ereignen. Die Säuglinge haben dann oft nur leichte Anpassungs- und Bewegungsstörungen, die sich schwer diagnostizieren lassen. Im Alter von drei bis vier Monaten kann sich ein Schlaganfall durch einseitiges Greifen und Strampeln äußern, was oft als frühe Dominanz einer Gehirnhälfte fehlinterpretiert und erst später als Halbseitenlähmung erkannt wird. Etwa die Hälfte der betroffenen Kleinkinder leidet unter Bewegungsstörungen, die oft fehlgedeutet werden, ebenso wie Kopfschmerzen oder Sprachstörungen.

Fast nie wird bei Kindern ein Schlaganfall innerhalb von drei Stunden nach dem Ereignis festgestellt, wie es für optimale Therapie angestrebt wird. Frühe Diagnosen gibt es fast nur bei dramatischen Anzeichen, etwa wenn das Kind bewusstlos wird. Infekte wie Mittelohrentzündungen, die bei kleinen Kindern häufig auftreten, gelten als mögliche Auslöser für Schlaganfälle, wenn das Risiko aus anderen Gründen schon erhöht ist. Bakterielle Entzündungen der Hirnhäute (Meningitis) und Infektionen mit dem Windpocken-Virus können direkt über Entzündungsreaktionen in den Blutgefäßen einen Hirnschlag hervorrufen.

Noch vor wenigen Jahren galt der Schlaganfall im Kindesalter als Krankheit mit guter Prognose, niedriger Rückfallrate und eher milden Folgen für die weitere Entwicklung. Aber die Vorstellung, das kindliche Gehirn habe noch jede Menge Reserven, um sich neu zu programmieren und Funktionsstörungen zu kompensieren, gilt nur sehr eingeschränkt. Nur drei von zehn Kindern, die einen Schlaganfall hinter sich haben, entwickeln sich neueren Studien zufolge motorisch und neuropsychologisch normal. Bei den übrigen können Halbseitenlähmungen zurückbleiben, aber auch Schwächen in der geistigen Leistungsfähigkeit.

Werden zum Beispiel in jungen Jahren Regionen im Stirnhirn geschädigt, wo Funktionen wie Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Orientierung oder Gedächtnis gesteuert werden, zeigen die Kinder später öfter auffälliges Verhalten oder Lernschwierigkeiten.

Die Therapie des Schlaganfalls bei Kindern unterscheidet sich von der für Erwachsene: Kinder reagieren offenbar auf Medikamente zur Auflösung von Blutgerinnseln anders als Erwachsene und teilweise mit erhöhtem Risiko für Blutungen, so Ulrike Nowak-Göttl von der Universität Münster. Zur Vorbeugung eines zweiten Schlaganfalls dienen Präparate, die die Blutgerinnung hemmen. Diese Prophylaxe ist besonders wichtig, weil Kinder häufiger als Erwachsene an einem erneuten Schlaganfall sterben.

Für die Zukunft befürchten Experten wie Erich Ringelstein, Neurologe an der Universität Münster, eine deutliche Zunahme von Schlaganfällen bei Jugendlichen. Die Gründe: immer mehr Übergewicht, früherer Beginn der Pubertät und zunehmender Wunsch junger Mädchen, die Antibabypille einzunehmen, sowie der frühere Griff zur Zigarette.

Nils ist inzwischen in der Pubertät. „Er ist ein gesunder 13-Jähriger“, sagt die Mutter. „Die Ärzte haben nie herausgefunden, woher die Verengung des Hirngefäßes kam, aber vor ein paar Jahren war sie einfach weg.“

Nicola Siegm, -Schultze

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