zum Hauptinhalt

Praxisvergleich - Folge 7: Gynäkologische Chemotherapie: Ein sichereres Gefühl

Patientinnen mit Gebärmutterhals-, Eierstock- oder Brustkrebs müssen nicht zwingend ins Krankenhaus. Manche bevorzugen eine medikamentöse Behandlung bei einem niedergelassenen Arzt – dort fühlen sie sich persönlicher betreut, sagen sie.

Ein kurzes Wort mit krasser Wirkung: „Krebs!“ So lautet die Diagnose, mit der jedes Jahr rund 16 000 Berliner konfrontiert werden. Bei Frauen ist Brustkrebs dabei die häufigste Erkrankung. Das Risiko steigt ab 40, weil mit zunehmendem Alter Fehler bei der Zellteilung wahrscheinlicher werden. Die Prognose hängt davon ab, in welchem Stadium die Krankheit diagnostiziert wird, etwa ob bereits Krebszellen ins Lymphsystem vorgedrungen sind. Im Schnitt werden 60 Prozent der Patientinnen hierzulande geheilt.

„Bis vor wenigen Jahren war es Standard, Chemotherapien im Krankenhaus durchzuführen“, sagt Gerd Graffunder, Spezialist für gynäkologische Onkologie. Vorbeugend seien die Patienten bis zu vier Tage auf der Station behalten worden, weil durch die gängigen Medikamente das Immunsystem sehr geschwächt wurde. Eine gefürchtete Komplikation war Fieber – als Reaktion auf das Absacken der Anzahl weißer Blutkörperchen. Heute könne dem entgegengewirkt werden, indem vorbeugend Medikamente verabreicht würden, die die Bildung weißer Blutkörperchen stimulierten, erläutert der Arzt.

Überhaupt habe sich in den vergangenen fünf Jahren „extrem viel“ getan. Die Medikamente wurden besser, Begleiterscheinungen wie Übelkeit und Erbrechen treten seltener auf. „Dank verträglicherer Medikamente kann man nun 80 Prozent der Chemotherapien in der gynäkologischen Onkologie ambulant durchführen“, sagt Graffunder. Die Frauen müssen nicht mehr ins Krankenhaus. Dass das ein Vorteil ist, sagt auch Hans-Joachim Koubenec vom Expertenrat der Brustkrebs-Info. „Eine stationäre Aufnahme ist in der Regel nur bei der Chemotherapie von Eierstockkrebs sinnvoll. Bei der Behandlung mit Cisplatin, ein häufig verwendetes Mittel zur Hemmung des Zellwachstums, müssen zehn Infusionsflaschen verabreicht werden, was sechs Stunden dauern kann. So etwas würde ich nicht ambulant machen“, sagt Koubenec.

Die Praxis von Gerd Graffunder an der Steglitzer Schloßstraße ist wohnlich eingerichtet, mit drei roten Lederliegen. Ein Blumenstrauß und ein Gesteck aus Tannenzweigen verbreiten eher weihnachtliche als Krankenhausstimmung.

Gerda Müller*, 72, blättert in einer Zeitschrift, unterhält sich angeregt mit einer Mitpatientin. Müllers rechter Arm ruht auf einem Kissen. Durch eine Infusionsnadel fließt ein Medikament in die Vene. Der Stoff soll dafür sorgen, dass ihr von den später verabreichten Medikamenten nicht übel wird; so wird sie auf die eigentliche Behandlung vorbereitet. Die für jeden Kranken individuelle Medikation folgt; für Müller hängen ein Beutel mit roter und einer mit klarer Flüssigkeit bereit.

Der Eingriff, bei dem Frau Müller ein Tumor aus der Brust entfernt wurde, liegt einige Wochen zurück. „Ich bin vorbelastet. Meine Mutter hatte Brustkrebs. Seit etwa 20 Jahren hatte ich eine Art Schatten in der Brust. Zweimal im Jahr bin ich zur Untersuchung gegangen. Im März war noch alles in Ordnung, aber schon im August machte der Arzt ein besorgtes Gesicht und erzählte, was er auf den Aufnahmen sehe, gefalle ihm nicht“, berichtet Gerda Müller. Die Operation – nur zwei Tage später – überstand sie ohne Komplikationen. Nun ist die Chemotherapie der nächste Schritt. Sie besteht aus sechs Sitzungen in der Praxis, die je zwei Stunden dauern. Zwischen den Infusionen liegen drei Wochen, in denen die Patienten ihr Blutbild kontrollieren lassen.

Ein wenig nervös sei sie schon gewesen, sagt Müller. „Schließlich wäre es beruhigend, in einem Krankenhaus zu sein, falls es Komplikationen gibt.“ Aber Empfehlungen von Freunden hätten sie schließlich überzeugt, dass eine Praxis eine gute Option ist. Der Arzt gibt seinen Patientinnen selbst seine Handynummer – für den Notfall. „Das ist eine große Beruhigung“, sagt die 72-jährige Berlinerin.

In der Gemeinschaftspraxis an der Schloßstraße arbeiten neben Gerd Graffunder zwei weitere Ärzte, pro Quartal behandeln sie etwa 240 Patientinnen, die an Brust-, Eierstock- oder Gebärmutterkrebs leiden, mit einer Chemotherapie. Dabei wird versucht, die Zellwucherungen im Gewebe, durch die Krebsgeschwulste entstehen, zu stoppen. Bei der medikamentösen Behandlung kommen aber nicht nur Zellgifte, die sogenannten Zytostatika, zum Einsatz. Patienten mit hormonabhängigem Brustkrebs werden Wirkstoffe verabreicht, die die Bildung des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen hemmen, denn Östrogen regt das Wachstum von Tumoren an.

„Durch den Eingriff in den Hormonhaushalt können Beschwerden auftreten, die denen der Wechseljahre ähnlich sind, wie Hitzewallungen oder Stimmungsschwankungen“, sagt Graffunder. Manche Wirkstoffe führten auch zu einem Nachlassen der Lust auf Sex. „Auch daher ist es von Vorteil, wenn ein Frauenarzt die onkologische Behandlung vornimmt. So haben die Frauen gleich einen Ansprechpartner, was die mit der Krebstherapie verbundenen Beschwerden angeht“, sagt der Arzt.

Das ist auch seiner Patientin Karin Lutter* wichtig. Die 73-Jährige geht in der Praxis zur Krebsnachsorge. Gerade in Kliniken würde einem häufig das Gefühl gegeben, „man ist nur einer von 100 000, die hier durchgetanzt kommen“, sagt sie. Der Arzt hätte in einer Viertelstunde drei „Brustkrebsfrauen“ abgefertigt. „Er gab mir das Gefühl, ich sei nur ein Fall unter vielen, kein Mensch.“ Lutter hatte eigenständig über naturheilkundliche Therapien recherchiert. Auf ihre Fragen sei der Klinikarzt aber gar nicht eingegangen. „Vorgesehen war nur Schneiden, Chemo und Bestrahlung. Reden war nicht.“ Bei Gerd Graffunder fühlt sich Lutter gut aufgehoben. „Er hat mir und meinem Mann zugehört, den Befund Zeile für Zeile durchgesprochen und alles erklärt.“

Auch die Praxis von Martin Ruhnke in Kreuzberg ist auf gynäkologische Onkologie spezialisiert. Ruhnke bietet seit zehn Jahren ambulante Chemotherapien an. Pro Jahr behandelt er etwa 100 Patientinnen. Als Arzt ist er Mitglied im Berufsverband niedergelassener gynäkologischer Onkologen. „In personell vielfach unterbesetzten Stationen werden in der Regel von Ausbildungsassistenten onkologische Behandlungen durchgeführt, teilweise ohne persönliche Ansprache und persönliche Führung der kranken Frauen“, kritisiert der Verband die Großkliniken. Die Ausbildungsassistenten hätten sich oft nicht bewusst dafür entschieden, im Bereich gynäkologische Onkologie zu arbeiten. „Sie werden per Rotationsplan zugeteilt, die Infusionen anzulegen. Oft stehen sie unter Zeitdruck“, erklärt der Praxisarzt.

Besonders im gynäkologischen Bereich stelle eine Krebserkrankung eine große Belastung für das seelische Gleichgewicht dar, erläutert Ruhnke. Eine Operation an der Brust, Eierstöcken oder Gebärmutter könne das Selbstbewusstsein, aber auch die Partnerschaft der Patientin erheblich belasten. „Die Patientinnen wünschen sich eine ganzheitliche Beratung, die die zahlreichen Aspekte einer Krebserkrankung berücksichtigt“, sagt der Spezialist. In seiner Praxis bietet er daher neben psychologischen Gesprächen etwa auch Ernährungsberatung an.

Und wenn eine Patientin unbedingt möchte, dass ihr Mann während der Infusion an ihrer Seite bleibt, sei das auch kein Problem. „Auf solche Wünsche eingehen zu können, ist für das Wohlbefinden der Patientinnen sehr wichtig.“

* Namen geändert

Viele weitere medizinische Themen, Beratung und Information finden Sie auch in unserem Gesundheitsportal: www.gesundheitsberater-berlin.de

Annette Leyßner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false