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Gesundheit: Ein unermüdlicher Soziologe und Journalist Zum Tode von Erwin K. Scheuch

Lebhaft und eigenwillig hat Erwin K. Scheuch eine doppelte und jeweils einflussreiche Rolle ausgefüllt.

Lebhaft und eigenwillig hat Erwin K. Scheuch eine doppelte und jeweils einflussreiche Rolle ausgefüllt. Er war ein hochqualifizierter Soziologe und ein investigativer Journalist. In der Öffentlichkeit war er immer wieder mit provokativen Stellungnahmen präsent, als Wissenschaftler hat er maßgeblich und innovativ die Soziologie der Nachkriegszeit in Deutschland beeinflusst.

Für die Soziologie war er der wichtigste Promotor der Methoden der empirischen Sozialforschung. Er gehörte auch zu den Gründern der Infrastruktureinrichtungen der empirischen Sozialforschung, des Zentralarchivs für Umfragedaten in Köln, des Zentrums für Umfragen, Methoden und Analysen in Mannheim und des Informationszentrums für Sozialwissenschaften in Bonn. Diese Einrichtungen haben das methodische Niveau der Sozialforschung nachhaltig gehoben und Erwin K. Scheuch einen Ehrenplatz gesichert als unermüdlichen Motor der Soziologie.

Thematisch war Scheuch überaus vielseitig interessiert und engagiert. Seine Untersuchungen zur Familie, zum Freizeitverhalten, Drogenkonsum, zur sozialen Schichtung und zum Selbstbild der Deutschen haben auch in der Öffentlichkeit große Resonanz gefunden. Als Mitte der 60er Jahre die Wahlerfolge der NPD große Besorgnis über die Stabilität der politischen Ordnung in der Bundesrepublik hervorriefen, vermochte Scheuch rasch nachzuweisen, dass das Wählerpotenzial dieser Partei begrenzt war und die 15-Prozent-Schwelle nicht übersteigen werde. Dies ist eine der soziologischen Prognosen, die sich bewahrheitet haben.

Zusammen mit Rudolf Wildenmann gehörte er 1961 zu den Begründern der Wahlforschung. Seither sind die Wahlprognosen zu einem festen Bestandteil der politischen Kultur geworden, auch wenn das von ihm seinerzeit entfaltete Forschungsprogramm nicht systematisch eingelöst wurde.

Scheuch war ein politischer Mensch, dem die Demokratie in der Bundesrepublik am Herzen lag. Streitbar und polemisch, hat er sich insbesondere in den Jahren der Studentenbewegung eingemischt. Unabhängig von den zumeist idealistischen Motivationen sah er in der Schließung ideologischer Leitbilder eine Gefahr, die ihm aus der Erfahrung des Nationalsozialismus vertraut war. So gehörte er als Pressesprecher des „Bundes Freiheit der Wissenschaft“ zu den schärfsten Gegnern der Studentenbewegung und den in ihrem Gefolge betriebenen Hochschulreformen. Aber auch seine Schrift „Cliquen, Klüngel und Karrieren“, zusammen mit seiner Frau Ute Scheuch (1992), hat frühzeitig auf einen Verfall der politischen Moral aufmerksam gemacht.

Erwin K. Scheuch war ein amerikanischer Kölner, in Köln aufgewachsen und verwurzelt, in den USA ausgebildet. International vernetzt war er ein Rheinländer, in der Grundstimmung tatkräftig und heiter, ohne Prätentionen. In der Generation der zwischen 1927 und 1929 geborenen, die Nachkriegssoziologie prägenden Kollegen, repräsentierte Scheuch gewissermaßen den Gegenpol zu Niklas Luhmann, den auf empirische Forschung ausgerichteten und angewandten Soziologen, dem theoretische Konstruktionen gegenüber empirischen Forschungsbefunden nachrangig waren.

Was immer man gegen die Soziologie in der Öffentlichkeit vorbringen mag, die Irrelevanz ihrer Themen, die mangelnde Resonanz in der Öffentlichkeit, die theoretisch hermetische Sprache, das wird von Scheuch widerlegt. Dass seine Stimme nun fehlen wird, ist ein schwerer Verlust. Erwin Scheuch ist kurz nach Vollendung seines 75. Lebensjahres am 12. Oktober in Köln gestorben.

Der Autor ist emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Heidelberg

M. Rainer Lepsius

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