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Gesundheit: „Eine Nullrunde ist unverzichtbar“

Berlins Wissenschaftssenator Thomas Flierl über den Tarifstreit und Wissenschaftspolitik in Zeiten leerer Kassen

Die leeren Kassen des Staates bestimmen derzeit die Debatten. Welche Ziele wollen Sie gleichwohl weiterhin umsetzen?

Wir wollen trotz der angespannten Berliner Haushaltssituation auch in den nächsten Jahren an 85000 Studienplätzen in der Bundeshauptstadt festhalten. Dabei werden wir aber mit Nachdruck unsere strategischen Ziele verfolgen. Diese sind: mehr Studienplätze an den Fachhochschulen. Zweitens: Mehr leistungsorientierte Mittelvergabe für die Hochschulen. Dazu sollen die Hochschulverträge, die im Jahr 2005 auslaufen, fortgeschrieben werden. Natürlich werden wir mit den Hochschulen auch noch einmal verhandeln, wie ihr Wunsch nach mehr Selbstständigkeit mit den Zielen des Senats in Übereinstimmung gebracht werden kann.

Die Streiks im Öffentlichen Dienst zeigen bundesweit den Unmut der Beschäftigten über die angekündigte Nullrunde. Auch an Berlins Hochschulen herrscht große Unruhe. Ist eine Nullrunde unverzichtbar?

Gerade für Berlin – und besonders der Wissenschafts und Kulturbereich – muss ein Interesse daran haben, dass es für eine begrenzte Zeit keine Erhöhung der Personalkosten gibt. Die Hochschulen haben das im Großen und Ganzen erkannt. Bei der Aushandlung der nächsten Hochschulverträge wird das ein zentraler Faktor, um Kosten aufzufangen – ohne strukturell schädigende Einschnitte.

Sollte die Tariferhöhung im Öffentlichen Dienst erzielt werden, bevor die Hochschulen den Arbeitgeberverband Ende Januar verlassen haben, müssten sie den Abschluss übernehmen. Gefordert sind drei Prozent plus x. Was würde das für Berlin bedeuten?

Das würde den Kostendruck auf die Ressorts erheblich erhöhen. Die Bedingungen für die Verhandlungen um die nächsten Hochschulverträge und die Sicherung der Hochschullandschaft würde das erschweren.

Können Sie konkrete Konsequenzen absehen?

1,5 Prozent Tarifsteigerung entsprechen ungefähr 14 Millionen Euro in Berlin. Die werden vom Senat als Teil der Hochschulverträge an die Hochschulen gezahlt, wie vereinbart. Wenn der Tarifabschluss höher ausfällt, müssen die Hochschulen die Differenz aus ihrem laufenden Etat aufbringen – also zu Lasten befristeter Verträge und von Investitionen.

Würden dann die Hochschulverträge nachverhandelt?

Nein, ein bundesweiter Abschluss müsste übernommen werden. Deshalb streben wir ja an, den Arbeitgeberverband im Öffentlichen Dienst zu verlassen. Wir wollen uns aber nicht einfach aus der Tarifbindung verabschieden – sondern auf der Basis der geltenden Tarifverträge mit den Gewerkschaften über einen befristeten Solidarpakt verhandeln. Ein eigenständiger Wissenschaftstarifvertrag ist dabei eine Option.

Inwiefern?

Dabei soll die Beschäftigungssicherung und die Laufzeit der neuen Hochschulverträge eine Rolle spielen.

Wie lange sollen die neuen Hochschulverträge nach Ihrer Vorstellung gelten?

Ab dem Jahr 2006 soll es wieder eine hinreichend lange Vertragsdauer geben. Allerdings macht das nur dann Sinn, wenn die Verträge nicht unter Haushaltsvorbehalt stehen. Bei der von der Initiative „An morgen denken“ und den Hochschulen gewünschten Geltungsdauer von bis zu zehn Jahren wäre das aber immer der Fall.

Kann man sich auf einen Mittelwert von etwa fünf Jahren einstellen?

Das streben wir an. Am 20. Januar beginnen die Verhandlungen offiziell.

Über den Verhandlungen liegt die Drohung des Finanzsenators, die Hochschulverträge um 20 Prozent abzusenken. Geht das ohne Entlassungen?

Weder die beschäftigungs- noch die wissenschaftspolitischen Ziele der Koalition lassen sich mit 20 Prozent Kürzung noch umsetzen. Aber zur zeit gibt es eine Neujustierung unserer finanzpolitischen Ziele. Eine Verständigung über die mittelfristigen Ziele und die Neuausrichtung bis 2006 gibt es im Koalitionsausschuss zwar noch nicht. Ich gehe aber davon aus, dass die Kürzungen im Hochschulbereich deutlich unter 20 Prozent liegen müssen, wenn wir am Wissenschaftsstandort und an der Sicherung des Zukunftspotenzials Hochschulen für die Stadt festhalten wollen.

Wann wird man da klarer sehen?

Unmittelbar nach dem Aufstellungsbeschluss für den Nachtragshaushalt Mitte Januar muss das politisch festgestellt werden. An den Verträgen wird sich trotzdem einiges ändern. Die Koalitionsfraktionen und die Senatsbehörde für Wissenschaft planen, nicht mehr nur eine Laufzeit von zwei bis fünf Jahren festzulegen, sondern konkrete Vereinbarungen über Strukturveränderungen zu treffen. Für deren Dauer sollen die Verträge gelten.

Apropos: Sind die Pläne der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft , einen Campus in Oberschöneweide zu schaffen, schon beerdigt?

Es gab einen Vorschlag zur Finanzierung vom Finanzsenator, den Campus durch das Zurückstellen anderer Bauvorhaben zu finanzieren – allesamt in der Zuständigkeit der PDS-Senatoren. Da noch einiges zu klären ist, gehe ich davon aus, dass in diesem Jahr nicht mehr entschieden wird.

Zurück zu den Finanzen: Eine Quelle wären Studiengebühren. Ist das ein Thema in Berlin?

Wir haben ein Bundesgesetz mit einem Studiengebührenverbot, auch beide Koalitionspartner im Berliner Abgeordnetenhaus haben Studiengebühren ausgeschlossen. Das hat die Koalitionsrunde der Wissenschaftspolitiker kürzlich bekräftigt. Wir wollen nicht, dass der Hochschulzugang über den Geldbeutel der Eltern geregelt wird. Dabei muss man auch bedenken, dass wir künftig mehr akademisch ausgebildete Fachkräfte brauchen.

Die Frage nach zusätzlichen Mitteln stellt sich für den Bildungsbereich gleichwohl. Woher könnten sie denn kommen?

Es wird ja jetzt endlich ein bundesweiter Diskurs darüber geführt, wie Bildungspolitik finanziert werden kann. Die Debatte über eine Vermögens- oder Zinsabschlagsteuer ist auch für uns relevant, wenn dabei eine Zweckbindung für die Bildung herauskäme. Ansonsten bleibt die Reduzierung von Ausgaben. So müssen die Verwaltungskosten der Hochschulen überprüft werden. Eine gemeinsame Bewirtschaftung der Gebäude etwa könnte zu Einsparungen führen oder die Zusammenlegung interner Verwaltungsaufgaben. Dazu gibt es Überlegungen.

Werden weiter Doppelangebote abgebaut?

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates, Doppelangebote in Berlin abzubauen, kann man dagegen weitgehend als historisch erledigt betrachten. Germanistik etwa hat so viele Studenten, dass man die Fachbereiche nicht zusammenlegen kann.

In der Medizin steht jetzt eine Fusion der Fakultäten an. Von den Universitäten heißt es, ein Fachbereich in der Verantwortung beider Hochschulen sei nicht realisierbar. Was sagen Sie dazu?

Damit werden wir uns nicht zufrieden geben können. All das, was die Identität der Hochschulen betrifft, muss man wohl dezentral anbieten. Aber Verwaltungsaufgaben und Ähnliches kann man sicher zusammenlegen. Mitte Januar wird der Wissenschaftsrat sein Votum dazu abgeben. Dann sehen wir weiter.

Wo sehen Sie Verhandlungsmasse?

Vielleicht in der Struktur des neuen Leitungsgremiums. Erst einmal sind wir interessiert, wie der Wissenschaftsrat urteilt. Danach werden wir schnell handeln.

Das Gespenst einer Fusion geht weiter um. Folgt der Fusion der Medizin die Zusammenlegung weiterer Fächer?

Es bleibt bei vier Universitäten in Berlin.

Ein anderes Thema, was an den Hochschulen derzeit für Unruhe sorgt, ist das Bestreben der Senatsverwaltung, die Zusatzversorgung der Angestellten und Arbeiter auf eine neue Kasse zu verlagern.

Wegen der Bevölkerungsentwicklung müssen wir die Alterssicherung umstellen. Zumindest ein Teil der bisherigen Umlagefinanzierung muss durch kapitalgedeckte Systeme ersetzt werden. Das versuchen wir. Nur wenn eine sichere Finanzierung zu günstigeren Bedingungen als heute möglich ist, werden wir diese Umstellung beginnen. Es geht im Übrigen nicht um den Wechsel zu einem privaten Träger, sondern zu einer kommunalen Einrichtung, die unter der Aufsicht des Bundesversicherungsamtes steht.

Das Interview führte Bärbel Schubert.

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