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Gesundheit: Einer von Hunderttausend

Blut ist nicht künstlich herstellbar. Der Bedarf danach steigt aber ständig. Denn die Zahl der operativen Eingriffe nimmt zu Deshalb ehrt das DRK einmal im Jahr Langzeitspender – Menschen wie Jürgen Pally aus Charlottenburg

Jürgen Pally fühlt sich gut, das sieht man. Der 67-Jährige bietet seinem Gast eine Saftschorle an und lacht entspannt, im Hintergrund plätschert ein Brunnen, die Rosenstöcke blühen: Der Schrebergarten in der Charlottenburger Kolonie Jungfernheide ist ein Idyll. Aber nicht deshalb lacht Jürgen Pally. Sondern weil es ein schönes Gefühl ist, etwas Gutes zu tun. Er zeigt die Urkunde, die er kürzlich bekommen hat. „200“ steht drauf. So viele Blutspenden hat er seit seinem 21. Lebensjahr gemacht, und es werden ständig mehr, aktuell sind es schon 207. Jürgen Pally ist Langzeitspender.

„Solche Spenderbiografien sind gewünscht“, erklärt Torsten Tonn, Professor für Transfusionsmedizin an der TU Dresden und Medizinischer Geschäftsführer des DRK-Blutspendedienstes Ost, zuständig für Berlin, Brandenburg und Sachsen. „Mehrfachspende ist die sicherste Form von Spende überhaupt.“ In der Region Berlin und Brandenburg spenden rund 100 000 Menschen wie Jürgen Pally regelmäßig Blut, jedes Jahr ehrt der DRK-Blutspendedienst diejenigen, bei denen ein besonderes Jubiläum ansteht. Jürgen Pally bekam seine Urkunde zusammen mit 65 anderen Spendern aus ganz Deutschland am 14. Juni in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg.

Warum am 14. Juni? Seit 2004 ist dieser Tag der Weltblutspendertag. Es ist der Geburtstag von Karl Landsteiner (1868–1943), jenem österreichischen Serologen, der die Blutgruppen entdeckt und in das AB0-System eingeteilt hat, wofür er 1930 den Nobelpreis erhielt. Erst mit dem Wissen über die Verträglichkeit der Blutgruppen war es möglich geworden, Bluttransfusionen systematisch und in großem Stil durchzuführen.

Blutspende rettet Leben. „Trotz intensiver Forschung ist es bisher nicht gelungen, Blut synthetisch herzustellen“, sagt Torsten Tonn. Wenn Mephisto in Goethes „Faust I“ sagt: „Blut ist ein ganz besonderer Saft“, dann weiß er schon, warum, der Teufel ist ja nicht dumm: Die Zusammensetzung von Blut ist komplex, es besteht aus Plasma (dem flüssigen Anteil) und drei verschiedenen Zellformen – den Erythrozyten (rote Blutkörperchen, die das Protein Hämoglobin enthalten und den Sauerstoff transportieren), Leukozyten (weiße Blutkörperchen, die bei der Immunabwehr wichtig sind) und Thrombozyten (Plättchen, die das Blut bei Verletzung gerinnen lassen).

Diesen besonderen Saft hat Jürgen Pally 1964 erstmals gespendet. Das war im Wedding, wo er aufgewachsen ist. „Tu jeden Tag eine gute Tat“, hatte seine Mutter damals zu ihm gesagt und ihn, als er volljährig war, zur Blutspende geschickt. „Ich hab’ fünf Mark dafür gekriegt, das war damals ’ne Menge Geld“, erzählt er.

Darauf war er aber bald nicht mehr angewiesen: Er arbeitet als Schlosser im damals gerade neu eröffneten Europacenter, bis sein Versicherungsvertreter ihm sagte: „Mensch, Sie können doch auch gut quatschen!“ So wurde er selbst Versicherungskaufmann und blieb es, 25 Jahre lang. Gespendet hat er die ganze Zeit weiter, sechs Mal im Jahr, öfter dürfen Männer nicht – bei Frauen liegt die Grenze bei vier Mal. Seit 1982 hat er den Kleingarten, inzwischen ist er Vorsitzender der Kolonie – und wirbt auch bei den anderen Gärtnern kräftig für die Blutspende. „Es wird immer noch zu wenig Reklame dafür gemacht“, meint er. 

Dann nestelt er an der Nadel, die er vor zwei Wochen zusammen mit der Urkunde bekommen hat. Auf ihrem Kopf steckt ein symbolischer Blutstropfen. Entworfen hat die Nadel Jette Joop, neben Carmen Nebel eine der DRK-Botschafterinnen, die für die Blutspende werben. Jürgen Pally will sich selbst nicht so wichtig nehmen, aber die Ehrung hat ihm schon Spaß gemacht: Es gab ein Rahmenprogramm mit Stadtrundfahrt, „da sieht man Sachen, wo man als Berliner nie hinkommt“, zum Beispiel das Bundeskanzleramt. Erst vor wenigen Tagen hat er dann wieder gespendet: In der Epiphaniengemeinde in Charlottenburg.

An Blutspendeterminen herrscht in Berlin kein Mangel. „Täglich sind bis zu fünf Teams an verschiedenen Standorten in der Stadt unterwegs“, sagt Kerstin Schweiger, Sprecherin des DRK-Blutspendedienstes Ost. Seit 2009 ist ein neuer Sattelschlepper mit vier Blutspendeplätzen im Einsatz. Langzeitspender werden automatisch über den nächsten Termin benachrichtigt. Neuspender können sich im Internet auf www.blutspende.de über den nächsten Termin informieren – inzwischen auch als App.

Eine Spende dauert rund 45 Minuten, die eigentliche Blutentnahme fünf Minuten. Man sollte nicht auf nüchternen Magen kommen und den Personalausweis mitbringen. Ein Arzt misst den Blutdruck, bestimmt den Hämoglobinwert und führt ein Aufklärungsgespräch. An dieser Stelle kann es passieren, dass man wieder nach Hause geschickt wird: „Bestimmte Risikogruppen sind von der Blutspende ausgeschlossen“, sagt Torsten Tonn. Dazu gehören neben Drogenabhängigen und Menschen mit risikobehaftetem Sexualverhalten (ungeschützter Sex mit häufig wechselnden Partnern) auch Personen, die sich jüngst in Regionen aufgehalten haben, in denen die Gefahr etwa einer Malariaansteckung besteht.

Gespendet wird per Stich in die Armvene, dann fließt ein halber Liter Blut in einen Beutel. Geld bekommt man dafür beim DRK-Blutspendedienst inzwischen nicht mehr. Trotzdem empfängt der Dienst in ganz Deutschland jährlich 3,8 Millionen Spenden. Nimmt man die kommunalen und privaten Blutspendedienste hinzu, sind es sogar fünf Millionen. „Der Bedarf an Blut steigt immer weiter“, sagt Torsten Tonn. Grund: Die Bevölkerung wird älter, die Zahl der Eingriffe nimmt zu, inzwischen bekommen auch 75-Jährige eine neue Hüfte. Und bei jeder OP muss Blut bereitstehen. „Es gelingt uns, den Bedarf zu decken“, so Tonn, „aber der Aufwand – etwa Spendetermine zu organisieren – wird immer größer.“ Das Blut wird in seine Bestandteile zerlegt, auf Infektionen getestet und sofort in die Kliniken gebracht, wo es meist nach weniger als drei Tagen verbraucht ist. Eine Spende hilft bis zu drei Schwerkranken oder Verletzen. An der Spitze stehen Krebspatienten.

Jürgen Pally darf theoretisch spenden, bis er 71 ist. Aber er ist so fit, dass man das bei ihm wohl nicht so eng sehen wird. Ausgesetzt hat aber auch er schon: Nach einer Afrika-Safari musste er ein halbes Jahr pausieren. So lange beträgt die Inkubationszeit möglicher Erreger. Und kürzlich wurde ihm ein neues Kniegelenk eingesetzt. Da hat er erstmals selbst eine Blutspende bekommen.

 Udo Badelt

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