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Gesundheit: Flexible Regeln

Von George Turner, Wissenschaftssenator a.D.

Die Schulen arbeiten seit sechs Jahren nach dem reformierten Regelwerk. Wenn die alte Schreibweise so bewährt gewesen wäre, wie jetzt von manchen behauptet, hätte es kaum eine jahrzehntelange Diskussion gerade unter Lehrern um die Notwendigkeit von Veränderungen gegeben. Das Argument der Befürworter der neuen Regeln allerdings, sie seien durchweg logisch und vernünftig, ist auch angreifbar.

Einige Verlagshäuser, die jetzt ohne Wenn und Aber zur alten Schreibweise zurückkehren möchten, wollen eine Einheitlichkeit – nach ihrem Diktat. Dies dürfte politisch nicht durchzusetzen sein. In Schulen wird zukünftig anders gelehrt als zum Beispiel in „Spiegel“ und „Welt“ geschrieben. Wie werden die Verlage reagieren, wenn Lehrer und Eltern den Kindern empfehlen, keine Zeitungen mehr zu lesen, die anders schreiben als sie es lernen?

Der Ausweg ist ebenso simpel wie praktisch. Die gesamte Reform, also auch das Sinnvolle, mit einem Federstrich zu beseitigen, wird bei denen nicht fruchten, die entsprechend gelernt haben. Warum soll man nicht Schifffahrt schreiben? Genauso wenig kann es erfolgreich sein, Ältere zur uneingeschränkten Übernahme der Reform zu bringen, also beispielsweise der Kleinschreibung von „Du“.

Die Ergebnisse der Reform, auch ein Teil der verunglückten, sind ein Stück Sprachentwicklung. Es wäre daher der bessere Weg, die Sprache in bestimmtem Umfang sich selbst beziehungsweise ihren Nutzern zu überlassen, statt eine verbindliche Regelung vorzuschreiben.

In früher bewährter Weise würden dann die Dudenredaktion und andere die Entwicklung beobachten, beschreiben und gewichten. Dabei käme es zu Feststellungen, dass zwei Schreibweisen nebeneinander praktiziert werden, wie das im Englischen auch der Fall ist. Möglicherweise würde es sich im einen oder anderen Fall nach gewisser Zeit wieder auf nur eine einpendeln. Wäre das nicht das kleinere Übel als der Pseudo-Kulturkampf, den man jetzt vom Zaun gebrochen hat?

Das ist kein Plädoyer dafür, dass es gleichgültig sein soll, wie man schreibt, wenn nur die kommunikative Kompetenz gegeben sei, wenn man also versteht, was gemeint ist. Sprache ist etwas Lebendiges, sich Veränderndes. Ihre Qualität besteht nur zu einem Teil in der Rechtschreibung. Stil und Vokabular dürften doch wichtiger sein. Warum sollen nicht mehrere Möglichkeiten der (Recht-) Schreibung gebraucht werden, von denen keine falsch ist, sofern keine Missverständnisse entstehen können? Das würde Verlage nicht hindern, ihre Schreibweise zu praktizieren. Das zwingt aber auch niemanden dazu, über Bord zu werfen, was er in den letzten sechs Jahren gelehrt und gelernt hat. Und vor der Lektüre der Erzeugnisse aus den kämpferisch auftretenden Verlagen müsste auch nicht gewarnt werden. Eine bewusste Flexibilität ist besser als ein Schreibchaos aufgrund vorgeschriebener Regeln, die zum Teil ohnehin missachtet werden.

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