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Gesundheit: Gefährliche Pillen-Pause

Medikamente gegen Aids sollten ohne Unterbrechung genommen werden

47 000 Männer, 8500 Frauen und 400 Kinder in Deutschland sind HIV-positiv. Und die Zahl der Infizierten steigt. An Aids erkrankt sind derzeit 8700 Deutsche; 600 Personen starben in diesem Jahr an der Immunschwäche. Die Zahlen, die das Robert-Koch-Institut in Berlin erhoben hat, zeigen, dass Aids nicht nur in Afrika oder Osteuropa eine Gefahr ist. Aids ist immer noch nicht heilbar, und auch eine Impfung ist nicht möglich.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Dass die Zahl HIV-Positiver in Deutschland zunimmt, liegt vor allem an ihrer höheren Lebenserwartung durch neue Therapien. Seit Mitte der Neunzigerjahre haben Medikamente die HIV-Infektion für viele Betroffene zu einer chronischen Krankheit gemacht, mit der sie viele Jahre leben können. Allerdings liegen die monatlichen Kosten für die Behandlung im vierstelligen Euro-Bereich – und da das Virus trotz Therapie im Körper schlummert, müssen die Tabletten ein Leben lang genommen werden. Doch die Behandlung namens „Haart“ (Highly Active Antiretroviral Therapy) hat schwere Nebenwirkungen, wie eine Veränderung der Körperfettverteilung und Schädigungen der Herzkranzgefäße und der Leber. Kein Wunder, dass viele die Therapie zumindest zeitweise auf eigene Faust abbrechen.

Auch Ärzte wollten ihren Patienten deshalb gerne wenigstens ab und an eine planmäßige Unterbrechung der Medikation ermöglichen, sobald sich das Immunsystem ein wenig stabilisiert hat. Wie gut die körpereigene Abwehr arbeitet, lässt sich anhand der Anzahl von CD-4-Helferzellen im Blut messen.

Pünktlich zum Welt-Aids-Tag erschien nun im New England Journal of Medicine (Band 355, Seite 2283) eine Studie, die Mediziner in aller Welt ernüchtert: Die eigentlich auf sechs Jahre angelegte „Smart“-Studie (Strategies for Management of Antiretroviral Therapy) wurde im Januar vorzeitig abgebrochen, weil die Zwischenergebnisse nach durchschnittlich 16 Monaten überraschend klar gegen eine Unterbrechung der Therapie bei HIV-Infizierten sprachen. Jetzt liegt die Endauswertung vor.

Smart war eine der größten Studien zum Thema HIV und Aids, die weltweit jemals gestartet wurden: 5400 Infizierte aus 33 Ländern, die zu Beginn der Untersuchung über eine CD-4-Zahl von über 350 Helferzellen pro Milliliter Blut verfügten, nahmen teil. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine wurde durchgehend mit Medikamenten behandelt, die andere jeweils nur, wenn die Zahl der Helferzellen auf unter 250 gesunken war, und nur so lange, bis der Wert wieder bei 350 lag.

Das Ergebnis war erschreckend: Die HIV-Infizierten, die bei der Behandlung pausierten, waren mehr als doppelt so anfällig für Infektionen und starben während des Untersuchungszeitraums mehr als doppelt so häufig wie diejenigen, die durchgehend Tabletten nahmen. Dass Einnahme-Pausen mit einem erhöhten Risiko für typische Immunschwäche-Folgen wie Pilzinfektionen des Mundes und der Speiseröhre oder Lungenentzündungen bezahlt werden könnten, kam für die Mediziner nicht unerwartet. Erstaunlich ist jedoch, dass ausgerechnet in der Gruppe, die weniger Medikamente einnahm, so viele Teilnehmer an Herz-Kreislauf-, Nieren- und Leberkrankheiten starben, wo doch vor allem diese Probleme als Nebenwirkung der Therapie gelten. Der Bochumer Aids-Experte Norbert Brockmeyer findet es zudem schwer erklärlich, dass alle Teilnehmer der Pausen-Gruppe schlechter abschnitten, unabhängig vom Status ihres Immunsystems.

Auch wenn die Gründe noch nicht verstanden sind, die Konsequenz ist klar: „Eine Unterbrechung der Therapie ist nicht sinnvoll“, sagt Reinhold Schmidt, Immunologe an der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Anzahl der Helferzellen im Blut sei zwar ein wichtiges Kriterium, um den Therapieerfolg zu messen. Grünes Licht für das Absetzen der Mittel kann sie aber offensichtlich nicht geben. „Wir müssen mit den Therapiepausen deutlich vorsichtiger werden“, sagt auch Brockmeyer. Das bedeute aber auch, dass man in vielen Fällen mit den Patienten ausführlicher diskutieren müsse. „Denn der Wunsch nach einer Medikamenten-Pause kommt häufig von ihnen.“

Brockmeyer sieht aber auch weiter reichende Konsequenzen von Smart: „Die Studie sollte den Anstoß geben, neu über Grenzwerte für den Therapiebeginn nachzudenken.“ So zeigten sich bei vielen Infizierten schon früh neurologische Veränderungen und Probleme des Verdauungstrakts – und das, obwohl die Zahl der Helferzellen noch keinen Anlass zur Besorgnis gab. Gut denkbar, dass es etwas bringt, schon dann mit der Therapie zu beginnen. „Glücklicherweise haben wir gut informierte Patienten, die die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien mit Interesse verfolgen“, sagt Brockmeyer. Und die Kommentatoren der Smart-Studie wünschen sich, „dass wir selbst smart genug sind, um Wege zu finden, die antiretrovirale Therapie in Zukunft weniger teuer und weniger giftig zu machen.

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Adelheid Müller-Lissner

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