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Gesundheit: Gentechnik: Interview: "Der Rubikon ist schon lange überschritten"

In den letzten Wochen hat es einen regelrechten Schlagabtausch in Sachen Gentechnik gegeben. Bundespräsident Johannes Rau hat die Wissenschaft kritisiert.

In den letzten Wochen hat es einen regelrechten Schlagabtausch in Sachen Gentechnik gegeben. Bundespräsident Johannes Rau hat die Wissenschaft kritisiert. Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, hat ebenso kritisch geantwortet. Und vor kurzem hat nun der Germanist Wolfgang Frühwald in einem Interview sich wiederum auf Raus Seite gestellt.

Manfred Erhardt (62) ist seit 1996 Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft in Essen. Nach dem Studium in Tübingen und Berlin arbeitete der promovierte Jurist im baden-württembergischen Kultusministerium maßgeblich an der Einführung von Berufsakademien mit. Der gebürtige Stuttgarter war von 1991 bis 1996 Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin.

Der Münchner Literaturwissenschaftler Frühwald glaubt, dass in der Gen-Debatte ein "Kulturkampf" ausgebrochen ist. Auf der einen Seite die Vertreter des christlichen Abendlands, auf der anderen Sozialdarwinisten und wissenschaftsgläubige Szientisten.

Zum Thema Online Spezial: Die Debatte um die Gentechnik Ich halte es für falsch, Markl dem biologistischen und Frühwald dem humanistischen Lager zuzuordnen und daraus gar einen Kampf der Wissenschaftskulturen abzuleiten. Im Grunde genommen basieren beide mit ihren Ansichten auf biologischen Grundlagen. Während aber Markl kulturhistorisch und gesellschaftsabhängig argumentiert, entscheidet Frühwald dezisionistisch, ex cathedra ecclesiae.

Das müssen Sie erklären. Frühwald hat sich ja wie Rau entschieden gegen jede Form der Forschung an embryonalen Stammzellen ausgesprochen, weil dabei Embryonen zerstört werden.

Frühwalds Ableitung ist im Grunde genommen ein Dreierschritt mit jeweils axiomatischen Festlegungen. Erstens: Das menschliche Leben beginnt mit der Befruchtung. Zweitens: Mit Beginn des menschlichen Lebens ist der Embryo Mensch. Drittens: Als Mensch fällt der Embryo unter den Schutz von Artikel eins, Absatz eins des Grundgesetzes, also der Menschenwürde. Damit nimmt Frühwald eigentlich eine religiös-moralisch wertende und letztlich dogmatische Position ein.

Markl hält dagegen eine Forschung, bei der Embryonen benutzt werden, unter bestimmten Voraussetzungen für denkbar.

Markl interpretiert den Status des Embryos kulturbezogen-werteorientiert. Und damit gesellschaftsabhängig, also relativ. Erstens: Befruchtung und Einnistung des Embryos in der Gebärmutter sind für ihn zunächst biologische Vorgänge, die allerdings kulturhistorisch unterschiedlichen wertenden Zuschreibungen unterliegen. Deshalb befragt er die verschiedenen Kulturen nach ihren unterschiedlichen Wertungen und Zuschreibungen. Er bekennt dann ganz persönlich, Sympathie für die jüdische Religion zu haben, für welche ja die Verbindung von Embryo und Mutterleib existentielle Bedeutung für die Menschwerdung hat.

Welcher Position neigen Sie zu?

Die Grundfrage lautet doch, wann ist der werdende Mensch ein Mensch? Von welchem Zeitpunkt an stehen ihm welche Schutzrechte zu? Ich gliedere das in drei Bereiche: da ist zunächst eine ethische Frage, nämlich die nach Gut und Böse. Und sie ist damit nach den Werten und Moralstandards von Kulturen und Nationen zu beantworten. Zweitens ist es eine Rechtsfrage, nämlich die Frage nach Erlaubt und Verboten. Danach sind die Maßstäbe bei uns das Grundgesetz, Artikel 1, Absatz 1, Schutz der Menschenwürde, und der Paragraph 218, Strafgesetzbuch. Drittens ist es schließlich eine politische Frage, die nach Opportunität beantwortet wird. Ein Beispiel: "Mein Bauch gehört mir" lautete seinerzeit die Parole, mit der die Abtreibung legitimiert werden sollte. Das war keine ethische und auch keine rechtliche, sondern eine hedonistisch-egoistische politische Position.

Nochmal nachgefragt: Wo stehen Sie?

Ich tendiere mehr zu der Position Markls. Denn es ist ganz offenkundig, dass die ethische, die rechtliche und die politische Frage nach dem Beginn der Zuschreibung Mensch an den Embryo von den verschiedenen Kulturen verschieden beantwortet werden. Deshalb spricht ja Markl auch korrekt von kultureller Zuschreibung.

Wie sehen Sie als Jurist das Problem?

Der deutsche Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht haben den werdenden Menschen nicht absolut dem Schutz des Artikels 1 unterstellt. Sie lassen eine Abwägung zwischen den Interessen der Schwangeren und denen des werdenden Menschen zu, gewähren also nur relativen Schutz.

Was heißt das im Klartext?

Abtreibung ist rechtswidrig, aber nicht strafbar. Straffrei sind auch medizinisch nicht angezeigte Abtreibungen, also etwa soziale Indikationen. Und das sind jährlich immerhin 135 000 registrierte Schwangerschaftsabbrüche. Abtreibungen zum Beispiel wegen genetischer Defekte sind sogar bis kurz vor der Geburt zugelassen. Wenn man das sieht, muss man sagen, dass der Rubikon nicht mit Markls Rede, sondern schon lange überschritten ist. Mit der Parole: Mein Bauch gehört mir. Das haben sich Politiker zu Eigen gemacht und das Bundesverfassungsgericht hat es sanktioniert.

Was werfen Sie den Kritikern der Position Markls vor?

Ich halte es für widersprüchlich, dass die Position des Bundesverfassungsgerichts und das Strafgesetzbuch nur für den Schwangerschaftsabbruch gelten soll, also für Embryonen im Mutterleib, nicht aber für solche im Reagenzglas. Es will nicht in meinen Kopf, warum man hier unterschiedliche Maßstäbe wählt. Warum ist etwa die Pränatal-Diagnostik, also die Untersuchung des Embryos im Mutterleib auf genetische Schäden, rechtlich zulässig und ethisch vertretbar, aber die Präimplantations-Diagnostik, das heißt die Untersuchung des Embryos vor Einsetzen in den Mutterleib, umstritten? Das gleiche gilt für Spirale und "Pille danach". Die ja nicht die Befruchtung, wohl aber die Einnistung verhindern. Ich wundere mich, dass die - z. B. die ehemalige Gesundheitsministerin Fischer, aber auch Herr Frühwald -, die jetzt in sehr abstrakter Weise den Schutzbereich des Artikels 1 sehr weit nach vorne verlagern, weder gegen die Spirale, noch gegen die "Pille danach" noch gegen den Paragraphen 218 zu Felde ziehen.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Forschung mit embryonalen Stammzellen?

Ich verstehe nicht, warum das Wegwerfen überzähliger Embryonen, die aus einer In-vitro-Fertilisation stammen, rechtlich und ethisch erlaubt sein soll, nicht aber die aus Heilungsabsichten betriebene Forschung an embyronalen Stammzellen, die aus jenen Embryonen gewonnen wurden. Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft es aushält, wenn man unterschiedliche rechtliche und ethische Wertungen vornimmt. Ich halte eine Abwägung zwischen der medizinischen Forschung an Stammzellen und dem Schutz des Embryos für geboten. Meiner Meinung nach fällt diese Abwägung zugunsten der Stammzellenforschung dann aus, wenn der Embryo oder die Stammzellen, die aus dem Embryo gewonnen wurden, anderenfalls nur vernichtet werden würden.

Und der Nutzen der Stammzellen?

Wenn ich diese Abwägung für erlaubt halte, dann nur, weil es um die Heilung oder Linderung von Krankheiten geht, die bisher kaum oder gar nicht heilbar waren, wie Parkinson und Alzheimer. Wenn ich eine Position einnehme, die diese Möglichkeiten ausschließt, dann handle ich nicht korrekt. Das ist wie im Gleichnis: Der Vorsichtige tritt am jüngsten Tag vor seinen Richter, zeigt seine Hände und sagt: "Herr, ich hab nichts getan. Meine Hände sind rein." Der Richter sagt daraufhin: "Deine Hände sind rein, aber sie sind auch leer." Ich kann auch für ein Unterlassen verantwortlich gemacht werden. Das Unterlassen der Suche nach Heilungsmöglichkeiten halte ich für nicht weniger verantwortungslos wie das Tun, das zu Schäden führen kann.

Würde der Stifterverband Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen fördern?

Unter drei Voraussetzungen: das Vorhaben muss wissenschaftlich seriös, rechtlich zulässig und ethisch vertretbar sein. Das bedarf dann einer eingehenden Prüfung eines jeden Einzelfalls.

Der Bonner Stammzellforscher Brüstle will mit importierten menschlichen Stammzellen arbeiten, um Hirnleiden zu erforschen. Wie hätten Sie in seinem Fall entschieden?

Die Arbeit von Brüstle würde ich für förderungswürdig halten.

Steht denn die Deutsche Forschungsgemeinschaft, bei der Brüstle einen Förderantrag gestellt hat, nun vor einer inneren Zerreißprobe, wie Frühwald meint?

Überhaupt nicht. Das halte ich für übertrieben. Ich sitze ja selbst im Hauptausschuss der DFG. Ich war dabei, als wir über den Antrag Brüstles gesprochen und ihn auf Wunsch der Politik vertagt haben. Ich habe nicht den Eindruck, dass die fast einstimmig verabschiedeten Empfehlungen zur Stammzellforschung innerhalb der DFG zu tiefgreifenden Kontroversen geführt hätten.

Wie stehen Sie zum therapeutischen Klonen?

Das therapeutische Klonen würde ich genauso sehen wie die Stammzellforschung. Es hängt davon ab, mit welcher Motivation therapeutisches Klonen vorgenommen wird. Wenn dies aus Heilungsabsichten erfolgt, oder weil man Leiden und Gesundheitsschäden verhindern oder lindern will, dann halte ich dies für rechtlich und ethisch vertretbar. Nicht für vertretbar halte ich das Klonen von Menschen.

Muss denn die deutsche Wissenchaft jetzt grundsätzlich über ihr Bild vom Menschen streiten, wie Frühwald vorschlägt?

Nein. Das wäre eine bloße Ausweichreaktion, weil das "Bild vom Menschen" in einer pluralen Gesellschaft keine konkrete Antwort auf unsere Fragen liefern kann. Aber vielleicht will Herr Frühwald ja gar keine rasche Antwort, sondern durch Verlagerung des Themas auf eine Meta-Ebene eine weitere Vertagung erreichen. Ich jedenfalls hielte es weder mit dem "Bild vom Menschen" noch mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit für vereinbar, schwerkranke Menschen auf ihr bedauernswertes Schicksal zu verweisen und ihnen Heilungschancen durch neue Therapien zu verweigern.

Der Münchner Literaturwissenschaftler Fr&uuml

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