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Gesundheit: Gesunde Lebenswelten Der Psychologe Heiner Legewie wird emeritiert

Die Bedeutung der Medizin für Gesundheit und Lebenserwartung wird immer noch überschätzt – verglichen mit dem Einfluss der Lebensverhältnisse und des davon wesentlich bestimmten Verhaltens. Abiturienten leben zum Beispiel durchschnittlich fünf Jahre länger als Menschen mit einer geringeren Schulbildung.

Die Bedeutung der Medizin für Gesundheit und Lebenserwartung wird immer noch überschätzt – verglichen mit dem Einfluss der Lebensverhältnisse und des davon wesentlich bestimmten Verhaltens. Abiturienten leben zum Beispiel durchschnittlich fünf Jahre länger als Menschen mit einer geringeren Schulbildung. Die Weltgesundheitsorganisation hat mit ihrer „Ottawa-Charta“ 1986 eine Ressort übergreifende gesundheitsfördernde Gesamtpolitik gefordert. Unter diesem Motto stand am Wochenende das eher fröhliche als feierliche Abschieds-Symposium für einen der wenigen Wissenschaftler, die in ihrer Forschung und Lehre Konsequenzen aus dieser programmatischen Charta zogen: den kurz vor der Emeritierung stehende Heiner Legewie, der im Institut für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin das Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie leitet.

Feldforschung in Moabit

Als der doppelte Doktor (Medizin und Psychologie) 1977 an die TU berufen wurde, wollte er von Anfang an Gemeindepsychologie machen. Das erste Projekt seiner – stets integrierten – Forschung und Lehre war eine Antwort auf die Psychiatrie-Enquete: Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern und Studenten entwickelte er das Modell einer psychosozialen Kontaktstelle, den „Treffpunkt Waldstraße“. Wie ein Ethnologe erkundete er erst einmal das Leben des Stadtteils in teilnehmender Beobachtung. Der „Feldforscher“ mietete sich für anderthalb Jahre in einer Moabiter Altbauwohnung mit Außentoilette ein und machte sich über jeden viertelstündigen Gang auf die Straße zwei Stunden lang Notizen.

Als gemeinsame Merkmale aller Forschungsprojekte Legewies nannte sein früherer Mitarbeiter Andreas Böhm: Orientierung an aktuellen Ereignissen, interdisziplinäre Fragestellungen, qualitative Methoden und die Idee, gesunde Lebenswelten müssten sich demokratisch – mit Bürgerbeteiligung – gestalten lassen.

Zusammenarbeit behindert

Wo es in der wissenschaftlichen Arbeit prinzipielle Schwierigkeiten gab, wurden auch sie zum Forschungsgegenstand wie zum Beispiel das Problem, Methoden einer systematischen Analyse von Äußerungen in der Alltagssprache zu entwickeln. Die Hindernisse der Zusammenarbeit in der kommunalen Gesundheitsförderung gaben Anlass zum Erarbeiten eines – preisgekrönten – Leitfadens mit dem Titel „Zusammenarbeit professionell gestalten“. Denn die Kooperation verschiedener Ressorts ist „extremely difficult“ – so zitierte Legewies Hamburger Kollege Alf Trojan die sonst so zurückhaltende Weltgesundheitsorganisation.

Wie verhindert man etwa den sozialen Abstieg eines Stadtteils? Nur durch gemeinsame Anstrengungen. Aber da gebe es den einseitigen Ressort-Blick, die „Zuständigkeiten“, die Konkurrenz der Fachpolitiker um Einflussbereiche, den Mangel an wirksamen Steuerungsinstrumenten für „integrierte“ Politik. Für die TU sei eine sozial orientierte, qualitativ forschende Psychologie in Zusammenarbeit mit Architektur, Stadt- und Umweltforschung besonders wichtig, meinte Legewie. Aber sein Lehrstuhl wird mit seinem Ausscheiden gestrichen – Ende einer Ära. Rosemarie Stein

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