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Gesundheit: Halbgöttinnen in Gefahr

Angkor Wat: Ein deutscher Geowissenschaftler will Kambodschas Weltkulturerbe retten

Was Hans Leisen vor zwölf Jahren über die Restaurierungsarbeiten am Angkor Wat erfuhr, alarmierte ihn. Indische Konservatoren versuchten damals, die gefährdeten Figuren und Reliefs der weltberühmten Tempelanlage Kambodschas abzudichten. In die Darstellungen der Apsaras, halb göttlicher Tänzerinnen, setzten sie Zement ein und versiegelten die Oberfläche mit einem Acrylharz. Leisen, Professor am Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften der Fachhochschule Köln, ahnte, dass sich eine konservatorische Katastrophe anbahnte. „Wenn der Stein aber nicht mehr atmen kann, setzen sich die zerstörerischen Prozesse im Innern fort, und der Verfall schreitet voran“, erklärte Leisen jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau.

Dort dokumentiert er im Rahmen der kürzlich eröffneten großen Ausstellung über die Schätze der Khmer aus Angkor das „German Apsara Conservation Project“. Leisen und sein Team haben in den vergangenen Jahren damit begonnen, die Angkor-Reliefs erneut zu konservieren – und machen die gut gemeinten Maßnahmen der indischen Kollegen rückgängig.

Leisen ist Geowissenschaftler, er weiß, dass Sandstein nicht gleich Sandstein ist. Er kennt die physikalische und chemische Beschaffenheit der porösen Steine. Der Stein lebt, es kommt zu chemischen Reaktionen. Bei der Konservierung des Kölner Doms hat er jahrzehntelang Erfahrungen gesammelt.

Der Zufall wollte es, dass das Institut für Medien und Fototechnik der FH Köln mit einem neuen Verfahren bereits viele Reliefs von Angkor Wat dokumentiert hatte, als Leisen alarmiert wurde. Er sah sich die Bilder an und beschloss, nach Angkor Wat zu reisen.

In Kambodscha fertigte Leisen Schadensprotokolle an, klassifizierte die Schäden, untersuchte die Qualität des Sandsteines. Angesichts der Dimensionen von Angkor Wat scheinbar eine Sisyphosarbeit: Der heilige Tempel des Khmer-Reiches aus dem 12. Jahrhundert ist über und über mit Reliefs und Statuen verziert, er zählt allein etwa 1850 Darstellungen himmlischer Apsaras, ferner 350 Giebelfelder mit Reliefschmuck und 1450 Quadratmeter Bas-Reliefs in den bis zu 100 Meter langen Galerien. Ganz zu schweigen vom Schmuck weiterer 100 Tempel und Statuen in der Nachbarschaft auf einem Areal von 400 Quadratkilometern.

Seit 1992 gehört diese Anlage zum Weltkulturerbe, und verschiedene Nationen versuchen in vielen Projekten auf der „größten Restaurierungsbaustelle der Welt“ die Kunst der Khmer für die Nachwelt zu erhalten. Wasser, der Kot der Fledermauskolonien und klimatische Schwankungen sind die ärgsten Feinde des kambodschanischen Sandsteins.

Nach seinem Survey erkannte Leisen, dass die größte Gefahr für die Apsara-Figuren bestand. Er schildert den Zerfallsprozess: Das Wasser dringt in den Sandstein ein, die Bindemittel darin sind Tone, schichtige Kristalle, die beim Kontakt mit Wasser aufquellen. Je nach Temperatur kommt das Wasser, oder es zieht sich zurück. Dabei werden Salze mit dem Wasser an die Oberfläche transportiert. Gefährlich wird es aber erst, wenn das Kapillarsystem gestört ist, das Wasser sich staut und die Kristallbildung im Untergrund stattfindet, sagt Leisen. Dann bilden sich Schalen, und die Schichten platzen ab.

So kann innerhalb eines Jahres eine ganze Figur von der Tempeloberfläche verschwinden. Leisen und sein Team dokumentierten den Verfall einer solchen Figur im Abstand von Monaten. Von ihren Ergebnissen zeigten sich die kambodschanischen Behörden beeindruckt, Leisen und sein Team erhielten den Zuschlag für ein Konservierungsprojekt. Als problematisch erweist sich allerdings die Bautechnik der Khmer. Sie haben nicht einfach Steinblöcke mit Mörtel verarbeitet, sondern die Steine trocken versetzt, das heißt so präzise geschliffen, dass die Steine fast fugenlos aufeinandersaßen. Ein Austausch beschädigter Steinblöcke ist deshalb nicht möglich. Ein weiteres Problem: Die Zerstörung durch Umwelteinflüsse findet hinter den Figuren statt, im Innern des Steins.

1997 begann das „German Apsara Conservation Project“ mit großzügiger Unterstützung des Auswärtigen Amtes. Es ist bis heute das größte Vorhaben im Rahmen des deutschen Kulturerhalt-Programmes. Leisen stellte drei Kambodschaner ein und begann mit der Notsicherung gefährdeter Apsaras. Dann musste der Stein jeder Figur analysiert werden. „In der Ausbildung unserer Studenten ist es ganz wichtig, am Ort den Stein genau auf seine chemische und physikalische Beschaffenheit zu untersuchen. Wir müssen individuell ein Rezept entwickeln, das diesem Stein hilft und in seiner Beschaffenheit der des Steines möglich nahekommt“, sagt Leisen.

Bevorzugtes Konservierungsmittel ist gelöste Kieselsäure, die leicht wie Wasser in den Stein eindringt und innen reagiert. Dabei entstehen Kieselgele, die relativ natürlich sind und dem Stein nahekommen. Alle diese Maßnahmen werden dokumentiert. „Sie müssen überprüfbar sein und unseren Nachkommen erklären, was wir gemacht haben“, betont Leisen. An all den Apsaras, die die „Steindoktoren“ bereits behandelt haben, seien bislang keine weiteren Schäden aufgetreten. Dort, wo Reliefs von den indischen Konservatoren mit Acrylharzen versiegelt waren, mussten die Kölner mit Kompressen in Millimeterarbeit die Harze wieder von der Oberfläche lösen, praktisch wie mit Löschpapier. Erst dann konnte die eigentliche Konservierung beginnen.

Eine zweite Säule des deutschen Projektes ist die Ausbildung kambodschanischer Experten. Mittlerweile arbeiten 20 einheimische Konservatoren am Tempel – und drei im Büro für die Dokumentation. Sie sollen das Vorhaben eines Tages übernehmen, wenn das Auswärtige Amt es nicht mehr finanziert. Eine Restaurierungswerkstatt wird in Angkor gerade aufgebaut.

Mittlerweile hat das Kölner Team auch die Statuen im Tempel und auf dem Gelände erfasst. Einige Fragmente konnten auch wieder zusammengefügt werden. Am Westeingang von Angkor steht eine fünf Meter hohe Vishnu-Figur, die als Vater der Ahnen verehrt wird. Alle Kambodschaner, so verlangt es die Tradition, müssen diese Figur einmal in ihrem Leben gesehen haben. Ein Versuch in den 1980er Jahren, den Kopf zu stehlen, misslang. Zur Sicherheit war er zwischenzeitlich in den Königspalast gebracht worden. Drei Arme hatte man durch Zementarme ersetzt. „Wir haben dann im Dorf nachgefragt, ob ein Eingriff die Gottheit stören würde“, berichtet Leisen. „Doch die Leute wollten, dass wir ihnen helfen.“ Leisen ließ von örtlichen Steinmetzen drei Arme in Sandstein nacharbeiten und holte sogar den Kopf aus dem Palast zurück. Er wurde fest mit dem Rumpf verankert. „Der Gott fühlt sich jetzt wohler“, sagten die Einheimischen. Opfergaben, Blumen und Schärpen deuten darauf hin, dass diese Figur wie viele andere, die das Team bearbeitet hat, wieder von den Gläubigen angenommen wird.

Martin-Gropius-Bau, bis 29. Juli, Mittwoch bis Montag von 10 bis 20 Uhr. Pfingstdienstag geöffnet.

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