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Gesundheit: Hauptschulen außer Konkurrenz

Streit um Pisa: Einige Kultusminister wollen nur Gymnasien in den Leistungsvergleich einbeziehen

Scheuen manche Bundesländer den kritischen Blick der Öffentlichkeit auf ihr Schulwesen? In der neuen Pisa-Studie für Deutschland sollen offenbar nur die Ergebnisse der Gymnasien so dargestellt werden, dass ein Vergleich zwischen den Bundesländern möglich ist. Die anderen Schultypen sollen dagegen nur innerhalb einer landesbezogenen Skala eingeordnet werden. Dann ließe sich zwar erkennen, wie groß der Abstand etwa einer Hauptschule zum Gymnasium dieses Landes ist. Doch ein länderübergreifender Vergleich zwischen den Hauptschulen wäre nicht möglich. Manfred Prenzel, Leiter der deutschen Pisa-Studie, bestätigte auf Anfrage, für die Veröffentlichung der nationalen Pisa-Ergebnisse am 3. November werde offenbar „eine neutralisierte Darstellung gewünscht“. Diese Präsentationsweise ist schon für den ersten deutschen Pisa-Zyklus, dessen Ergebnisse 2002 veröffentlich wurden, von allen Kultusministern gewählt worden.

Die in einem Medienbericht geäußerte Vermutung, gerade SPD-Länder wollten sich nicht einem Vergleich aussetzen, bestätigte Prenzel nicht. Am Donnerstag wollte sich unter den SPD-regierten Ländern nur Schleswig-Holstein öffentlich für einen Vergleich allein der Gymnasien engagieren. Der Staatssekretär im Kultusministerium, Wolfgang Meyer-Hesemann (SPD) halte den Vergleich über den internationalen Mittelwert für fachlich problematisch und bildungspolitisch zweifelhaft – wegen der von Land zu Land unterschiedlichen Schultypen, sagt Ministeriumssprecher Sven Zylla. Meyer-Hesemann, unter dessen Vorsitz sich die KMK-Amtschefskommission „Qualitätssicherung in Schulen“ Mitte September mit dem Thema befassen wird, sei aber bereit, die Ausweitung des Vergleichs auf alle Schularten zu diskutieren.

Bildungsforscher Prenzel habe eine entsprechende Bitte an den Staatssekretär herangetragen, aber ad hoc könne man ihr nicht entsprechen. Die KMK-Gremien müssten sich vielmehr „fundiert und ausführlich“ mit seinen Argumenten auseinander setzen. Ähnlich argumentiert auch Bayerns Kultusminister Siegfried Schneider (CSU): Der Vertrag, den die Länder mit dem Pisa-Konsortium abgeschlossen haben, sehe „ausschließlich den gymnasialen Vergleich vor“. Mit dem Änderungsvorschlag müsse sich die KMK-Amtschefskommission befassen. Bayern stehe der Bitte Prenzels, den Vergleich auszuweiten, aber aufgeschlossen gegenüber. Baden-Württembergs Kultusministerin Annette Schavan, Koordinatorin der Unionsländer in der KMK, wollte sich zu dem Thema nicht äußern.

Bremens Bildungssenator Willi Lemke (SPD) sagte, er könne die Debatte „nur dem Bundestagswahlkampf zuordnen“. Es gebe „keine Verabredungen der SPD-geführten Länder in der KMK zur Unterdrückung von Pisa-Ergebnissen“. Er stehe zu den Vergleichsuntersuchungen – wenn die Vergleiche realistisch seien und wissenschaftlichen Ansprüchen und Kriterien genügten. Berlins Bildungssenator Böger (SPD) rechnet zwar damit, „dass Berlins Hauptschulen anders abschneiden als die Bayerns“, sagte ein Sprecher. Trotzdem wolle sich der Schulsenator „für größtmögliche Transparenz“ einsetzen. Berlin werde sich gegen einen bundesweiten Vergleich auch der Haupt-, Gesamt- und Realschulen nicht verschließen. Allerdings müsse eine „solide Vergleichbarkeit gegeben sein“.

Die Kultusministerkonferenz, in deren Auftrag die deutsche Pisa-Studie durchgeführt wird, hatte sich von den Pisa-Forschern am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften an der Universität Kiel (IPN) ein „Verbot expliziter Länderleistungsvergleiche“ zusichern lassen, wie es in dem Vertrag über die deutsche Pisa-Studie heißt: „Explizite Leistungsvergleiche zwischen Ländern sind ... nur zulässig nach vorheriger Absprache in der Amtschefskommission ,Qualitätssicherung’ und Zustimmung der Länder, die verglichen werden.“

Die Bundesländer berufen sich darauf, dass das Gymnasium die einzige Schulform ist, die es in jedem Bundesland gibt. Also sei es nur hier sinnvoll, die Ergebnisse der Schüler auf einer Skala mit dem auch bei der internationalen Pisa-Studie verwendeten Mittelwert von 500 darzustellen. Für die anderen Schultypen, die Haupt-, Real-, Gesamt-, Sekundar- oder Oberschulen, genüge die Einordnung an einem jeweils landesspezifisch festgelegten Mittelwert von 100.

Pisa-Forscher Manfred Prenzel hält das Argument, nur die Gymnasien könnten direkt verglichen werden, für richtig: „Darüber gibt es überhaupt keine Kontroverse.“ Richtig sei auch, dass ein direkter Vergleich beispielsweise von Hauptschulen in Bayern mit denen in Berlin nicht sinnvoll sei – schließlich besuche in Bayern über ein Drittel aller Schüler die Hauptschule, in Berlin aber nur die (schwächsten) zehn Prozent.

Genauso unsinnig sei es, bestimmte Schultypen der Bundesländer in die internationale Pisa-Skala einzulesen, also etwa festzustellen, dass Berliner Hauptschüler sich unter dem Niveau des mexikanischen Durchschnitts befinden, oder dass bayerische Gymnasiasten besser im Lesen abschneiden als Pisa-Sieger Finnland. Denn in der internationalen Skala fließen die Werte aller Schüler eines Landes ein – nicht nur einer Elite, um die es sich bei den deutschen Gymnasiasten aber handelt.

Prenzel geht es um etwas anderes: Wenn alle Schultypen der Länder in die Pisa-übliche Skala mit dem Mittelwert 500 eingeordnet werden, bekommen die Länder „mehr Gefühl für die Qualität“ dieses Schultyps, können also mehr über die Probleme und Stärken erfahren und entsprechend handeln. Prenzel glaubt, dass die Länder Angst vor schiefen Interpretationen durch Journalisten haben. Dass Politiker in Wahlkampfzeiten selbst in Versuchung geraten könnten, sich mit einem guten Platz im Ranking zu brüsten, egal, wie methodisch fragwürdig das wäre, hält Prenzel für unwahrscheinlich. Die Politiker wüssten um die Problematik.

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