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Herzrhythmus-Störungen: Aus dem Takt geraten

Vorhofflimmern ist der häufigste Herzrhythmus-Fehler. Rund 800.000 Deutsche sind davon betroffen Am Urban-Krankenhaus können Ärzte jetzt mit einer neuen Technik die Störung leichter lokalisieren

Marlies Payam liegt in ihrem Bett und lächelt übers ganze Gesicht. Vor einer Stunde hatte sich die 58-Jährige noch übergeben müssen, ihr Kreislauf war am Boden, aber jetzt geht es wieder. Sie hat den Eingriff überstanden und blickt entspannt aus dem Fenster ihres Zimmers im achten Stock des Urban-Krankenhauses über die Dächer von Kreuzberg, die im frühen Sonnenlicht leuchten. Auch für sie beginnt ein neuer Morgen. Endlich arbeitet ihr Herz wieder so, wie es soll.

Eigentlich sollten wir unser Herz nicht spüren. Wenn wir es dennoch tun, ist etwas nicht in Ordnung. Marlies Payam litt an einer Herzrhythmus-Störung mit dem Namen Vorhofflimmern. Der rechte und linke Vorhof, auch Atrium genannt, bilden zusammen mit der rechten und linken Herzkammer (Ventrikel) den Herzmuskel. Im Normalzustand zieht sich das Herz etwa 70 Mal pro Minuten zusammen. Es wird stimuliert durch einen elektrischen Impuls, der von einer Sinusknoten genannten Stelle im rechten Vorhof zum AV- (Atrioventrikular-) Knoten läuft und von dort weiter in die Scheidewand zwischen linker und rechter Herzkammer. Beim Vorhofflimmern werden die Wände der Vorhöfe allerdings 350 bis 600 Mal pro Minute stimuliert.

Die Folge ist, dass Vorhöfe und Kammern unkoordiniert nebeneinander her schlagen. Dadurch wird nicht nur zu wenig Blut in die Kammern gepumpt, der Kammerrhythmus gerät auch aus dem Takt – der Puls ist nicht mehr rhythmisch, sondern stolpernd. Die Betroffenen spüren das in Form von Brustschmerz, allgemeiner körperlicher Schwäche, Luftnot und Schweißausbrüchen. „Besonders schlimm war es nachts.“, erzählt Marlies Payam. „Und am Tag konnte ich häufig gar nicht mehr richtig laufen.“

Wie kann so eine Störung entstehen? Entweder ist der Blutdruck zu hoch oder in den Blutgefäßen hat sich im Laufe der Jahre Kalk abgelagert, der die Gefäße verengt. Das führt zu Durchblutungsstörungen, die wiederum zur Folge haben, dass die elektronischen Reize nicht mehr richtig weitergeleitet werden. Nun springt ein alternativer Rhythmusgeber, eine Stelle irgendwo im Vorhof, ein. Das Resultat ist Vorhofflimmern.

Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmus-Störung. Ein Prozent der Bevölkerung ist davon betroffen, in Deutschland sind das rund 800 000 Menschen. In der Altersgruppe ab 65 liegt der Schnitt sogar noch höher. Etwa die Hälfte der Betroffenen hat ständig Vorhofflimmern und kommt deshalb gar nicht mehr selbst auf den Gedanken, dass es sich dabei um eine Störung handelt, die behoben werden kann. Häufig entdeckt ein Arzt das Problem dann zufällig bei der Untersuchung anderer Beschwerden. So war es auch bei Marlies Payam. Andere Betroffene bekommen schlagartig Schmerzen, die auch wieder verschwinden. Da sie den Unterschied merken, gehen sie von sich aus zum Arzt. Wenn Vorhofflimmern nicht behandelt wird, kann es im schlimmsten Fall zum Schlaganfall führen.

Bevor es dazu kommt, kann man es jedoch oft mit Hilfe von Kathetern beseitigen. Das wird auch in anderen Krankenhäusern gemacht, aber das Urban-Krankenhaus hat sich auf diesem Gebiet spezialisiert. Vor einigen Monaten ist hier für über eine Million Euro das 1997 eröffnete Herzrhythmus-Zentrum erweitert und neu eingeweiht worden. Störungen können jetzt mit modernster Technik lokalisiert und behandelt werden. Kern des neuen Zentrums ist das sogenannte 3-D-Mapping, bei dem durch Kombination von Röntgenstrahlen und Computeranimation ein detailliertes dreidimensionales Bild des Patientenherzens wie eine Landkarte auf dem Monitor entsteht. Dietrich Andresen, Direktor der Klinik für Kardiologie, spricht von einem „GPS-System für das Herz“. Es ermöglicht den Ärzten, die Stelle, von der der unregelmäßige Rhythmus ausgeht, punktgenau zu finden. Ein wichtiger Vorteil ist, dass der Patient im Unterschied zu früher nur noch kurzzeitig Röntgenstrahlen ausgesetzt werden muss.

Ist die Störung lokalisiert, wird an der Leiste oder am Schlüsselbein ein rund ein Meter langer Katheter durch ein Blutgefäß bis zum Herzen eingeführt. Ziel ist der Eintritt der Lungenvene in den linken Vorhof, wo das Vorhofflimmern meistens entsteht. An der Spitze des Katheters wird mit hoher Frequenz eine Temperatur von 50 Grad Celsius erzeugt, die die betroffene Stelle verödet und das Flimmern beendet. Diesen Vorgang nennt man Ablation. Wenn alles gut geht – das ist leider nicht immer der Fall – schlägt das Herz danach wieder normal.

Ablation wird schon lange angewandt, im Urban-Krankenhaus stehen dafür jetzt aber zwei OP-Säle gleichzeitig zur Verfügung sowie ein Raum, in dem Herzschrittmacher (bei zu langsamem Herzschlag) und Defibrillatoren (bei zu schnellem Herzschlag) direkt in die Brust implantiert werden können. Jährlich werden hier 3500 Patienten ambulant und 2100 stationär behandelt. Das sind doppelt so viele wie noch vor acht Jahren. „Der Bedarf ist größer geworden“, so Andresen, „das bedeutet aber nicht, dass auch die Herzrhythmus-Störungen zunehmen. Es liegt daran, dass wir unser Angebot vergrößert haben und heute viele Störungen besser behandeln können.“

Viele Betroffene leben jahrelang mit Vorhofflimmern und erleiden die Beschwerden, ohne etwas dagegen zu tun. Auch bei Marlies Payam dauerte es viele Monate, bis sie sich endlich zu einer Behandlung entschloss. Sie wurde krank geschrieben und konnte nicht mehr, wie bisher, als Verkäuferin in Weißensee arbeiten. Jetzt, nachdem bei ihr die Ablation durchgeführt wurde, will sie sich eine neue Arbeit suchen. „Ich will unbedingt wieder etwas tun“, sagt sie mit fester Stimme, die keinen Zweifel daran lässt, dass sie es auch so meint.

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