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Gesundheit: Humboldt-Universität: Die Zukunft liegt in der Vertagung

Drei Jahre vorbereitende Diskussion und nun das: Die Humboldt-Universität wünscht sich ein Leitbild, aber wenn es konkret wird, überwiegen die Bedenken. Nach dem Start mit einer Langfassung von Leitlinien im vergangenen Jahr nun die Vertagung.

Drei Jahre vorbereitende Diskussion und nun das: Die Humboldt-Universität wünscht sich ein Leitbild, aber wenn es konkret wird, überwiegen die Bedenken. Nach dem Start mit einer Langfassung von Leitlinien im vergangenen Jahr nun die Vertagung. Damals hatte der Philosophieprofessor Volker Gerhardt das gewagte Wort vom Jahre 1818 aus Hegels Antrittsrede als Rektor aufgegriffen und formuliert: Die Humboldt-Universität soll wieder zur Universität der Mitte werden. Nicht nur als Universität mitten in der Stadt, sondern in der Mitte Deutschlands. Was für ein Anspruch.

Aber kann man die gesamte akademische Welt in Deutschland mit solch einem Anspruch herausfordern? Die große Gründung der Berliner Universität von 1810 durch Wilhelm von Humboldt, die Weltgeltung der "Friedrich Wilhelms-Universität" in der Kaiserzeit, der jähe Absturz im Nationalsozialismus, die Indoktrinierung in der DDR - das sind Höhepunkte und dunkle Seiten einer Geschichte, die die heutige Humboldt-Universität schon aus dem Kreis anderer Hochschulen heraushebt. Wie formuliert man das in prägnanten Sätzen, ohne gleich ein Buch zu schreiben? Der Start gelang vor einem Jahr vielversprechend in Form einer kleinen Broschüre. Aus den Leitlinien sollte jetzt ein Leitbild destilliert werden: kernige Sätze statt einer Broschüre. Kann das ein deutscher Professor? Er kann es nicht, denn sobald die kernigen Sätze zu Papier gebracht worden sind, entdecken die Kollegen lauter Lücken und melden neue Wünsche an. Kann man wenige Sätze formulieren, ohne einen weiteren seitenlangen Anhang, einen Kommentar zu Papier zu bringen?

Ein Leitbild, sagen Leitbildspezialisten, soll wie Thesen wirken. Aus lauter kurzgefassten Selbstverständlichkeiten sollte ein unverwechselbares Bild von der Humboldt-Universität entstehen, das nicht nach dem Austausch weniger Ortsnamen auch für die Universitäten Kaiserslautern oder Passau - oder noch schlimmer - für eine gute Fachhochschule verwendbar wäre.

Schöne Texte auf Hochglanz?

Leitbilder sind an den deutschen Universitäten in den letzten Jahren wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden geschossen. Sie haben eine fatale Eigenschaft: Fast jede Uni formuliert sie so, dass man in der Öffentlichkeit, bei Sponsoren und Politikern mit hehren Grundsätzen werben kann: mit der Einheit von Forschung und Lehre und viel Exzellenz. Schöne Texte in Hochglanz. Und natürlich geht es um die vielzitierte corporate identity: Das Leitbild erfüllt dann eine ähnliche Funktion wie das T-Shirt mit dem Humboldt-Emblem oder die Schüleruniform. Wir sind stolz, an dieser Universität Studenten und Professoren zu sein. Alles das will die Humboldt-Universität auch, aber nicht so platt.

Wie das alles unter einen Hut bringen? Die Studenten wollen, dass die Humboldt-Universität sich in die Probleme der Gesellschaft einmischt, Konflikte durch Diskussionen vermittelt, ihre Rolle in der Mitte der Stadt auch in sozialen Fragen offensiv aufgreift. Das fehlt bisher in dem Papier.

Arrogant soll das Leitbild trotz des Anspruchs, Universität der Mitte zu sein, nicht wirken. Auf die anderen deutschen oder Berliner Universitäten herabzublicken - das geht nicht. Exzellenz soll es schon geben, aber nicht gleich so radikal, dass die HU zur Eliteuniversität wird und ihre 35 000 Studenten auf 15 000 reduziert. Dagegen steht eine Ausbildungsverpflichtung in Berlin mit 85 000 Studienplätzen und eine neudeutsche Ausbildungsvision für 30 bis 40 Prozent eines Jahrgangs.

Und wenn es schon nicht arrogant klingen darf, soll man dann nicht wenigstens auf die eigenen Leistungen verweisen? Von Wilhelm von Humboldt stammt der Auftrag zur Reformuniversität - das ist nicht nur Geschichte, sondern auch Herausforderung für heute. Reformuniversität will die Humboldt-Uni sein: mit einer neuen Satzung, die ihr mehr Autonomie und ein Kuratorium mit Managern und Intellektuellen beschert.

Lehre aus dem Geist der Forschung

Eine These lautet: "Das Primat der Lehre aus dem Geist der Forschung." Das könnte man mit Jubel begrüßen, ist es doch zum Erfolgsrezept amerikanischer Eliteuniversitäten geworden und bedürfte dringend der Übertragung auf Deutschland. Aber in Deutschland machen die Professoren traditionell ihre Karriere über die Forschung. Ein Primat für die Lehre - das stößt etlichen in der HU sauer auf. Dennoch: Wenn es um die Verbesserung der Lehre geht, hat die Humboldt-Universität noch gewaltige Anstrengungen vor sich. In der Forschung gilt sie bei der Einwerbung der Drittmittel als Wunder - ist sie doch vom 29. Rang auf den neunten vorgestoßen, und das bei der besonders kritischen Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Erstaunlich skeptisch äußerten sich die Alt-Humboldtianer aus der Zeit vor der Wende zu dem Leitbild. Ingrid Reisinger, die ehemalige ärztliche Direktorin der Charité: "Ein Leitbild ist ein Modebegriff, der jeden bedienen soll. Wir wollen aber nicht jeder sein - wir sollten über unseren Anspruch diskutieren und nicht über ein Leitbild." Und Rosemarie Will meinte, wenn es um die Wiederaufnahme der Ideen Humboldts geht, dann sollte man das nicht in einem Gremienbeschluss zusammenfassen. Der Mathematiker und ehemalige Vizepräsident Bernd Bank karikierte das Leitbild in dem ironischen Satz: "Forschen und Lehren im Interesse der Gesellschaft, für die Wirtschaft und zum Ruhm der Humboldt-Universität."

Bei solch einem Wirrwarr der Wünsche und Kritik blieb nur die Flucht in das Wintersemester. Dann soll ein Forum die Diskussion neu starten. Bis zur 200-Jahr-Feier der Uni im Jahr 2010 ist noch viel Zeit. Ob es dann ein Leitbild gibt?

Uwe Schlicht

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