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Gesundheit: Johnnie Walker kommt

Münchner Ingenieure präsentieren auf der Hannovermesse einen Laufroboter, der Hindernisse überwinden kann

Johnnie lässt sich an seinem Halteseil ganz schön hängen. Ein paar Stromkabel hat er sich bei der vielen Lauferei gebrochen. Die müssen erst wieder richtig zusammen gelötet werden. Auch sonst wirkt er längst nicht so charmant wie etwa „Nummer 5“ in dem gleichnamigen Spielfilm: Er hat keine Klappen über den Augen um die Stirn zu runzeln, er fragt nie neugierig nach „Input“ und wird auch nicht wütend. Dafür aber besitzt er zwei Beine, die er selbsttätig steuern kann.

Johnnie ist ein Gehboter, wenn der Ausdruck gestattet ist. „Roboten“, wie es der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov einst beschrieb, also arbeiten, kann er nämlich noch nicht. Seine Arme enden noch in runden Endstücken, die wie Hanteln aussehen. Zu betrachten ist Johnnie auf der Hannovermesse in der Halle 18, in der eine große Zahl von Forschungseinrichtungen ihre Entwicklungen vorführen.

Oliver Lorch ist dennoch ganz stolz auf den etwa 40 Kilo schweren Apparat, der vorwiegend aus Aluminium besteht. Am Lehrstuhl für Steuerungs- und Regelungstechnik der Technischen Universität München befasst sich Lorch schon seit etwa fünf Jahren mit dem Gerät, das in Kooperation mit dem dortigen Lehrstuhl für angewandte Mechanik entstanden ist. Beide Einrichtungen arbeiten seit 15 Jahren an den unterschiedlichsten Maschinen, die sich auf Beinen fortbewegen sollen.

Alles im Lot

Johnnie kann inzwischen aufrecht gehen – was schon für Menschen je nach Zustand schwer genug ist. Denn eigentlich ist das Gehen ja ein kontrolliertes Vorwärts-Fallen. Bei Johnnie müssen daher stets eine Reihe von Kreisel- und Bewegungssensoren prüfen, ob noch alles im Lot ist. Falls nicht, müssen sie sofort Gegenbewegungen auslösen.

Eine ähnliche Sensorik befindet sich schließlich im menschlichen Ohr, genauer: in den dreidimensional gewundenen Schneckengängen des Innenohrs. Die Daten aus der Gleichgewichtsberechnung fließen wiederum in die Steuerung des Fortschritts ein, bei Mensch und Maschine.

Auf der Hannovermesse trabt Johnnie mit zwei Kilometern pro Stunde auf einem Laufband und, etwas langsamer, über einen Hindernisparcours. Es ginge wohl auch schneller, aber dann eben nicht so sicheren Schrittes.

Johnnie kann jedoch nicht nur gehen und Treppen steigen, wie so viele andere Kunstmenschen, die in jüngster Zeit allenthalben vorgestellt wurden. Er ist in der Lage, Hindernisse auf seinem Weg zu erkennen und dann zu entscheiden, ob er drübersteigt, oder besser außen herumläuft. Treppenstufen dürfen um die zehn Zentimeter hoch sein, das Kantholz auf dem Parcours ist acht Zentimeter hoch und vier tief. Wie breit es ist, spielt in diesem Fall keine Rolle, denn die Maschine steigt einfach drüber hinweg.

Zur Erkennung von Hindernissen helfen zwei Kameras am Kopf, die im Abstand von 26 Zentimetern wie Augen angebracht sind. Johnnie sieht also Stereo: Optiker sprechen hier gern von einer „Parallaxe". Und sowas hilft der Bildverarbeitung ungemein, denn dann kann sie Winkelberechnung betreiben. Die Parallaxenverschiebung zwischen den beiden Bildern der Augen ermöglicht es, Entfernungen abzuschätzen. Und das braucht jeder, der gefahrlos vorwärts kommen will.

„Kann man ihm denn etwas in den Weg stellen?“ fragen wir vorsichtig. „Na, wenn er noch so um die fünf Schritte von dem plötzlich auftauchenden Gegenstand entfernt ist, also anderthalb bis zwei Meter, dann bekommt er keine Probleme", sagt Lorch. Übrigens passt der Gehboter seine Schrittlänge dem Abstand zum Hindernis beständig an, damit die Bewegung möglichst gleichmäßig bleibt.

Zwischen 26 und 40 Zentimeter legt er pro Schritt zurück. Trippeln liegt ihm ebenso wenig wie starkes Ausgreifen. „Er könnte bis zu 55 Zentimeter auf einmal zurücklegen, aber dann wird die Gleichgewichtssteuerung schon schwer“, sagt Lorch. Den Abstand zum Gegenstand beurteilt er mehrmals. Er blickt noch drei Schritte davor hin und berechnet daraus die gefahrlose Passage.

Und wenn er merkt, dass er das Hindernis nicht übergehen kann? Dann kann er in zwei bis drei Zentimeter Abstand seitlich daran vorbeischlendern – eine Präzisionsleistung, die andere dieser Gehmaschinen so nicht schaffen, betont der Münchener Forscher. Das Gehen an sich ist es daher nicht, was das Können von Johnnie ausmacht. Es ist die Kombination aus der Erkennung der Umwelt, der Berechnung der Konsequenzen für den weiteren Gang sowie die Steuerung der insgesamt 17 Motoren, die die Gelenke bewegen.

Insofern macht es auch nichts aus, wenn der Laufboter noch an einer Vielzahl von Kabeln hängt, also noch nicht völlig eigenständig herumgeht. „Sicher kann man die Stromversorgung direkt integrieren. Aber unser Ziel war nicht die energieautonome, sondern die bewegungsautonome Maschine", sagt der Wissenschaftler.

Keine falsche Bewegung

Die Entwicklung solcher Maschinen und vor allem der Software verbessert das genauere Verständnis von Bewegungsabläufen. Das wiederum ließe sich in der Medizin nutzen, bei der Behandlung von Patienten, deren Bewegungsapparat etwa nach einem Schlaganfall beeinträchtigt oder gar gelähmt ist. Während die körpereigene Reiz- und Steuerungstechnik noch nicht richtig arbeitet, könnten gezielte elektrische Impulse, von außen an die Muskulatur gebracht, die Rehabilitation vorantreiben, hoffen die Forscher.

Aber natürlich geht es den Wissenschaftlern auch um die Verbesserung jener Techniken, die für Service-Roboter gebraucht werden. Gedacht ist dabei nicht unbedingt sofort an den Einsatz in der Fabrik oder im Haushalt. Denn viele solcher Aufgaben lassen sich auch mit Maschinen bewältigen, die sich auf Rädern fortbewegen.

Sobald das Terrain jedoch unwegsam wird – was sicherlich auch für den einen oder anderen Haushalt gelten mag –, werden Johnnies Fähigkeiten interessant. Da wäre etwa an ein Gelände zu denken, das durch Waffen oder Gifte kontaminiert ist. Dabei dürfte rollendes Gerät nicht allzu weit kommen, da bedarf es jener Fähigkeiten, die nur der aufrecht gehende Roboter besitzt.

Gideon Heimann

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