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Gesundheit: Juristisch gesprochen: Bei ihrem ersten Rhetorikwettbewerb in Berlin ließen junge Anwälte ihrer Fantasie freien Lauf

Anwälte reden gern und viel. Aber reden sie auch gut?

Anwälte reden gern und viel. Aber reden sie auch gut? Zur juristischen Ausbildung gehört die Rhetorik jedenfalls nicht. Empfangssekretärinnen sind in vielen Fällen besser geschult, die Kanzlei zu repräsentieren, als so mancher Anwalt. Deshalb hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) die Initiative ergriffen und einen Tag lang im Senatssaal der Berliner Humboldt-Universität einen öffentlichen Rednerwettstreit veranstaltet. Um die Rhetorikkultur innerhalb der Anwaltschaft zu beleben, wurden zwei Themen erdacht, drei Geldpreise locker gemacht und eine hochkarätig besetzte Jury ist verpflichtet worden.

Unter den Preisrichtern fanden sich so illustre Namen wie der Präsident des Verbandes der Redenschreiber, Thilo von Trotha, der seinerzeit für Helmut Schmidt Reden erarbeitete, sowie der einzige Lehrstuhlinhaber für Rhetorik in Deutschland, Gert Ueding von der Universität Tübingen. Außer den sechs Jurymitgliedern hatten jedoch nur wenige Zuhörer den Weg in den Senatssaal gefunden. Schuld war hauptsächlich der Termin, der für Berufstätige in der Kernarbeitszeit und für viele Besucher des 51. Deutschen Anwaltstages noch vor ihrer Anreise lag. Die sechs Jurymitglieder in der morgensonnenbeschienenen ersten Stuhlreihe achteten auf vier ebenbürtige Kriterien: Redegestaltung, Sprachtechnik, Körpersprache und Inhalt. Jedes Kriterium beurteilten sie anhand von Unterpunkten wie Ideenreichtum, Logik, Blickkontakt oder Lautstärke.

Die Redner legten sich trotz des leeren Auditoriums unglaublich ins Zeug. Die zwei Anwältinnen und sieben Anwälte hatten im Vorfeld unter zwei Themen gewählt und ihre Manuskripte zur Vorauswahl eingesandt. "Umwelt-Recht des Tropenbaums, des Singvogels, der Henne und des Menschen" hieß ein Thema, "Recht haben und bekommen - Geld haben und bekommen" das andere. Bei diesen Vorgaben blieb genug Raum für eine humorvolle Herangehensweise. Die Initiatoren hatten sich von vornherein ausdrücklich "Beiträge jenseits des Mainstreams" erhofft. Georg Prasser, Vorsitzender der Jury und DAV-Vizepräsident, sagte verschmitzt: "Wir wollten gerade verhindern, dass hier jemand einen staubtrockenen Aktenvortrag hält oder eine Grundsatzdiskussion vom Zaun bricht." Kein Wunder: Prasser ist Kabarettist und schwingt in seiner Freizeit im Stuttgarter Juristen-Kabarett leidenschaftliche Reden. Am Wettstreit teilnehmen durften nur DAV-Mitglieder bis zu einem Höchstalter von 38 Jahren. Damit sollten gerade jüngere Juristen zu Wort kommen, die im Berufsleben wenig Gelegenheit haben, sich rhetorisch zu profilieren, ohne dass ihnen dabei alte Hasen die Schau stehlen.

Wie die Teilnehmer das Thema behandelten, lag ganz allein an ihnen. Fiktiv oder real, historisch oder aktuell, ernst oder heiter, als Plädoyer oder freien Vortrag - alles war erlaubt. Die einzige Vorgabe war die Redezeit von höchstens fünfzehn Minuten. Eva Kreienberg aus Kaiserslautern, eine der neun Teilnehmer, wagte sich an eine inhaltlich brilliante Science fiction. Ihre juristische Gegenwart war das Jahr 2100. Bunt und detailliert zeichnete Kreienberg die Vision eines Europa ohne Bargeldverkehr auf, in dem rechtskräftige Online-Urteile einer staatlich anerkannten Online-Schlichtungsstelle innerhalb von nur sechs Wochen erlassen würden. Die Geldbeträge, die das Urteil dem Obsiegenden zuspricht, könnten automatisch von der Vermögensliste des Gegners abgebucht werden. Die zeit- und nervenaufreibende Zwangsvollstreckung wäre dann überflüssig.

Das traurige Gegenteil dieses Gedankens entwickelte der zweite Sieger, Felix Kuntz aus Kaiserslautern, anhand verwinkelter intellektueller Wort- und Sinnspiele. Kuntz beherrschte in seinem Vortrag Sprachtechnik und Körpersprache dermaßen gut, dass er die Zuhörer quasi hypnotisierte. Seiner ausufernden, aber immer wieder überraschenden Argumentation konnten jedoch nur noch wenige folgen. Die Thesen lauteten in etwa so: "Recht haben" führt theoretisch zu "Geld bekommen", aber "Recht bekommen" führt nicht zwangsläufig zu "Geld bekommen". Wer Geld hat, hat nicht gleichzeitig Recht. Geld hilft aber dabei, Recht zu verfolgen. Man kann subjektiv Geld haben, obwohl man objektiv keines hat. Dann nämlich, wenn ein unverwirklichter Anspruch auf einen Geldbetrag existiert. Und so weiter und so weiter.

Lediglich drei Redner entschieden sich für die exotische Tropenbaum-Thematik. Interessanterweise sind davon zwei prämiert worden. Im Vortrag der ersten Gewinners, Christian Wirtz aus Köln, spielten Wachteln in Weißweinsauce, ein Wahlrecht für Schimpansen, Brokkoligemüse und ein hässlicher afrikanische Bartgeier eine Rolle. Mit Hilfe dieser plakativen Beispiele und durch unverbrauchten Formulierungen wie "Blitzmästung eines Phrasenschweins" wurde seine traurige Kernaussage um so deutlicher: Die Juristen billigen der Natur bislang keinen eigenen Wert zu, sondern verstehen sie lediglich als Umwelt des Menschen. So wie frühere Gutsherren ihre Ländereien als persönliche Vorratskammer betrachtet hätten. Als konstruktiven Lösungsansatz schlug Wirtz einen Bundes-Mitwelt-Beauftragten vor. Dieser solle von den Weisungen der Regierung unabhängig sein und ausschließlich die Interessen der Natur vertreten, auch die des Brokkoli, weil das Gemüse nun mal selber stumm sei.

Der neunte Redner, Klaus Bobisch aus Berlin, verhalf dem ohnehin kurzweiligen Vormittag zu finalem Amüsement. Er lieferte eine Show, die die Jury später als bühnenreifes Kabarettstückchen bezeichnen sollte. Mit Hilfe eines mitgebrachten Tischchens, auf dem er mal stand, mal saß, mal lehnte oder herumtänzelte, erklärte er, dass Strafverteidiger ohne Weiteres behaupten können, ein schwarzer Tisch sei eigentlich weiß. Aus Sicht des Strafverteidigers klang das dann so: "Also wenn Sie mich nach der Farbe fragen, hm, ich würde ja sagen, es handelt sich um eine dunkle Farbe. Aber das täuscht auch. Draußen wirkt es ganz anders als bei künstlichem Licht. Und dann ist der Tisch auch schon mal abgeschliffen worden. Da sehen Sie?! Also wenn Sie ganz ehrlich zu sich selbst sind, müssen Sie doch wohl auch sagen, der Tisch ist eigentlich weiß." Zwischendrin mimte Bobisch noch den Kinohelden Erkan - "voll krass, Kollege" - mit einer verkehrt aufgesetzten Baseballkappe. Notwendig, um zum Ergebnis des Vortrages zu kommen war die Erkaneinlage, zwar nicht. Aber witzig auf jeden Fall. Extra für Bobisch erfand die Jury einen mit 2000 Mark dotierten Sonderpreis. Zwar habe die Show "den Rahmen eines Rhetorikwettbewerbes gesprengt", erklärte Prasser schmunzelnd bei der späteren Preisverleihung, aber er wolle sich nicht nachsagen lassen, das Talent eines zukünftigen Kleinkunstpreisträgers verkannt zu haben.

Gefiel es den Teilnehmern selbst und waren die Veranstalter zufrieden? Ein klares Ja in beiden Fällen. Wer sich aufgerafft hatte, ein Manuskript auszuarbeiten und mit der Rede schwanger zu gehen, für den war der Auftritt nicht nur Selbstbestätigung sondern auch Spaß. Außerdem ist jedes Redetraining auch gut fürs Geschäft, weil es auf lange Sicht im Beruf erfolgreicher macht. Zudem erhielten die Gewinner 5000, 2000 beziehungsweise 1000 Mark zuzüglich der Übernachtungskosten für die gesamte Zeit des Anwaltstages. Die bei den ersten Preisträger durften außerdem auf der Zentralveranstaltung in der Hochschule der Künste noch einmal ans Rednerpult. War das eine Auszeichnung oder ein Härtetest für weiche Knie? "Weiche Knie?" wundert sich Wirtz, "wieso sollte ich die haben, ich bin doch jetzt ein Star." Die wahre Prüfungssituation sei der Vortrag vor der Jury gewesen. Und nachdem er diese bestanden hatten, würden die vollbesetzten Reihen der Kollegen ihn lediglich zu noch besserer Leistung anstacheln.

Juryvorsitzender Prasser versicherte bei der Preisverleihung im Namen der Veranstalter, er habe sich über die Resonanz sehr gefreut. Da es das erste Mal gewesen sei, habe er auch nicht mit mehr Teilnehmern gerechnet. Wenn der Wettstreit erst als gute Tradition etabliert sei, werde er von ganz alleine zum "Clou". Es sei ein gutes Zeichen, dass einige der diesjährigen Teilnehmer im nächsten Jahr in Bremen wieder dabei sein wollen. Deshalb gäbe es auch extra keine Ausschlussklausel für Wiederholungstäter. Prasser garantierte, dass der Wettstreit schon das nächste Mal als reguläre Veranstaltung des dreitägigen Anwaltstages nicht mehr in das Vorfeld ausgegliedert werde. Bleibt zu hoffen, dass die Öffentlichkeit trotzdem zuhören darf. Denn das Fazit der Premiereveranstaltung fällt eindeutig aus: Voll krass gut, Kollegen!

Anja Lauterbach

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