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Gesundheit: Kompass im Kopf

Wie Physiker magnetische Hirnströme messen, um damit Verletzungen der Nerven auf die Spur zu kommen

Dass Nerven unter Strom stehen, ist keine bloße Redensart. Die elektrische Signalübermittlung ist eine der elementaren Voraussetzungen für all unser Denken, Fühlen, Wahrnehmen, Reagieren. Die Neurologen messen die Entladungen von Nervenzellen im Gehirn schon seit 1929 mit Elektroden, die am Schädel angebracht werden. Mit dem EEG (Elektroenzephalogramm) können zum Beispiel Krampfzustände bei Epilepsien erkannt werden, die das Bild der Hirnströme charakteristisch verändern. Außerdem können mit einer etwas anderen Technik „evozierte Potenziale“ gemessen werden, Antworten von Nervenzellen auf Reize, die zuvor gezielt gegeben wurden.

Elektroden reichen nicht

Auch Verletzungen verursachen im Körper Ströme, zum Beispiel durch den Ladungsausgleich, der zwischen den Membranen von geschädigten Nerven- oder Muskelzellen stattfindet. Elektrisch sind diese Ströme allerdings schwer zu messen, denn sie sind so schwach, dass es nicht reicht, Elektroden von außen anzusetzen. Eine solche Verletzung von Zellen des Gehirns geschieht etwa bei einem Schlaganfall. Für die weitere Behandlung ist es dann entscheidend, möglichst schnell Genaueres über Ort und Ursache des Geschehens zu erfahren. Das Speziallabor, in dem Gabriel Curio und seine Arbeitsgruppe Neurophysik im Berliner Uniklinikum Benjamin Franklin den Verletzungsströmen nach einem akuten Hirninfarkt auf die Schliche kommen wollen, liegt also nicht ohne Grund neben der Notaufnahme.

Die Neurologen machen sich die Tatsache zunutze, dass die elektrischen Ströme in den Nerven und Muskeln des menschlichen Körpers Magnetfelder erzeugen. Die kann man messen, ohne Elektroden anzusetzen. Das gelingt mit hoch empfindlichen Sensoren namens SQUIDs, die von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt entwickelt wurden. Die Anstalt betreibt auch das Labor im Klinikum.

Eine magnetische Kammer schirmt dort hoch frequente und langsam veränderliche Felder aus der Umgebung ab. „Immerhin liegt die Stärke der körpereigenen Magnetfelder um den Faktor eine Milliarde unter der des Magnetfeldes der Erde“, erklärt Curio.

Mancher fühlt sich dabei womöglich an den Mesmerismus erinnert: Dessen Erfinder Franz Anton Mesmer setzte Ende des 18. Jahrhunderts Magnetismus als Heilverfahren ein. „Wir dagegen nutzen ihn für ein Messverfahren, also für die Diagnostik.“ Das tut auch die moderne Kernspintomographie (auch Magnetresonanztomographie, MRT, genannt), die allerdings hohe Magnetfelder und Radiostrahlung einsetzt, während sich Curio mit den körpereigenen, schwachen Magnetfeldern begnügt. Das eigentliche Messsystem dafür „ist im Prinzip nichts anderes als eine große, sehr gut isolierte Thermoskanne, die mit flüssigem Helium gefüllt ist". Bei minus 269 Grad Celsius ist das Helium flüssig und kühlt die empfindlichen Sensoren.

Diese Anlage ist ein Unikat. „Wir haben die medizinischen Anforderungen ausgearbeitet, die Bundesanstalt lieferte die Messtechnik." Die Arbeitsgruppe versteht sich als „Scharnier zwischen den klinischen Fragestellungen und den technischen Möglichkeiten, die die Kollegen aus der Physik zu ihrer Lösung beitragen können“, sagt Curio.

In Deutschland gibt es zwar etwa 15 kommerzielle Magnetmesssysteme, doch sie sind allein für die Erfassung von Hirnströmen nutzbar. Das Berliner System ist dagegen flexibler und wird auch von anderen Abteilungen des Klinikums genutzt: Man kann damit auch Magnetfelder des Herzens und des Verdauungstrakts untersuchen.

Alle diese magnetischen Messungen sind kontaktfrei, man muss keine Elektroden anbringen und die Haut nicht darauf vorbereiten. Während der Patient – je nach Fragestellung fünf Minuten bis zu einer Stunde – unter dem Messsystem liegt, kann etwa mit einer Magnetneurographie auch nach Nervenleitungsstörungen gefahndet werden, die von einem Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule verursacht worden sind.

Blutfluss beim Schlaganfall

Doch die Messungen körpereigener Magnetfelder, die hier stattfinden, sind noch längst nicht Routine. Deshalb werden die Patienten nur im Rahmen von wissenschaftlichen Studien mit klar umrissenen Fragestellungen untersucht, teilweise übrigens auch von Neurologen aus der Charité.

Arno Fillringer und seine Arbeitsgruppe setzen dann im Magnetschirmraum zeitgleich mit den magnetischen Messungen ein optisches Verfahren ein. Mit der Nah-Infrarot-Spektroskopie analysieren sie Veränderungen des Blutflusses beim Schlaganfall. Dass man sich „methodisch so passgenau“ ergänzt, ist in Curios Augen ein „wichtiger Eckpfeiler“ für die Berliner Hirnforschung. Damit konnte Berlin kürzlich eines von fünf Zentren für „Bildgebung in den klinischen Neurowissenschaften“ vom Bundesforschungsministerium einwerben.

Adelheid Müller-Lissner

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