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Krankheiten: Medizinische Feuchtgebiete

Hämorrhoiden und andere Anal-Leiden sind immer noch ein Tabu. Auch für Ärzte und in der Forschung.

Hämorrhoiden. Ein Ungetüm von einem Wort. Schwer korrekt zu schreiben. Auch es auszusprechen fällt nicht leicht – zumal kaum jemand gerne darüber redet. Ex-Fernsehmoderatorin Charlotte Roche gilt nicht zuletzt deshalb als mutig, weil sie in ihrem jüngst erschienenen Roman „Feuchtgebiete“ den Leser gleich im ersten Satz mit diesem Wort konfrontiert: „Solange ich denken kann, habe ich Hämorrhoiden.“ Peinlich sei ihr das schon deshalb, sagt die junge Heldin dort, weil sonst doch „nur Opas“ unter so etwas leiden.

Aus medizinischer Sicht gibt die freimütige Schilderung der 30-jährigen Autorin Anlass, über ein weiteres Problem im Umgang mit Hämorrhoiden zu sprechen: Sie werden nämlich, von Laien ebenso wie von Ärzten, häufig vermutet, wo Menschen sich in Wirklichkeit mit einer ganzen Palette anderer Veränderungen quälen. So legt denn auch das, was die junge Ich-Erzählerin im besagten Roman beschreibt, eine andere Diagnose nahe. Bei den „wolkenförmigen Hautlappen“, die ihren After umgeben, dürfte es sich eher um „Marisken“ handeln. Das sind kleine Wucherungen von Haut- und Bindegewebe. Sie sind ungefährlich, aber aus ästhetischen und hygienischen Gründen in manchen Fällen störend – und leicht zu entfernen.

„Die meisten Menschen mit Beschwerden am After wie Blutungen, Schmerzen, Brennen, Stechen oder Jucken nehmen an, sie hätten Hämorrhoiden. Die sind jedoch weit seltener als angenommen, und sie verursachen nie Schmerzen“, sagt der Enddarmspezialist Henning Rohde, der sich dem Thema seit Jahrzehnten als Forscher und Behandler widmet.

Dass sich das aus dem Griechischen stammende Wort Hämorrhoiden, das wörtlich „Blutfluss“ bedeutet, trotzdem als eine Art Sammelbegriff eingebürgert hat, hat seiner Ansicht nach auch mit der Abneigung seiner Kollegen zu tun, sich auf einem als unangenehm und peinlich empfundenen Terrain den Details zu widmen. Dabei spielen diese Unterschiede für die Behandlung – die die Betroffenen oft zunächst mit Salben und Sitzbädern selbst versuchen – eine große Rolle.

Unter allen Beschwerden am Anus sind Analekzeme am häufigsten: Entzündungen der empfindlichen Haut rund um den Schließmuskel oder an der Auskleidung des Analkanals.

Über die Ursachen wird noch spekuliert. Nach Rohdes Erfahrung bewirkt neben der „Veranlagung“ der Patienten zu solchen Leiden vor allem der häufige Kontakt mit Wasser und Reinigungsprodukten, dass Ekzeme entstehen und Entzündungen nicht schnell wieder abheilen können. Morgens, abends und nach dem Sport unter Anwendung von Gels oder Seife duschen, Feuchttücher nach jedem Stuhlgang, nicht zuletzt Sitzbäder, die das Übel eigentlich bekämpfen sollen, „das alles könnte sich summieren und dann Schaden anrichten“, vermutet Rohde. Salben, die Cortison enthalten, helfen zwar bei Entzündungen – aber sie können die Haut dünner und anfälliger machen und sollten deshalb nur kurz eingesetzt werden. Seinen Patienten rät Rohde wenigstens für einige Zeit – nein, nicht zu weniger Sauberkeit und Hygiene –, sondern zu mehr Vorsicht beim Reinigen der empfindlichen Haut am After. Auf der Toilette sollten vorsichtshalber nur Vaseline und weiches Toilettenpapier verwendet werden. „Wir wissen schließlich noch gar nicht, welche Substanzen die Haut besonders ärgern.“ Und, was den Spezialisten für Magen-, Darm- und Analerkrankungen selbst noch mehr ärgert: „Es gibt kaum Forschung über die Wirkung der Zäpfchen und Salben, die millionenfach gegen Analleiden verschrieben werden.“

Auch über die Ursache der Anal- oder Perianalthrombosen, bei denen die Haut am Aftereingang plötzlich anschwillt, weil sich Blutgerinnsel gebildet haben, wird derzeit nur spekuliert. Von Veranlagung über plötzliche körperliche Anstrengung, das Sitzen auf kalten Flächen bis hin zu Abführmitteln oder starkem Pressen bei Verstopfung werden viele mögliche Ursachen genannt, das auffallend häufig schon Jüngere befällt. In einer Studie von Rohdes Kölner Arbeitsgruppe, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind, zeigte sich ein auffallender zeitlicher Zusammenhang nur zu außergewöhnlicher Anstrengung, Sport und Alkoholgenuss. Vor allem wenn das geronnene Blut zu einer Schwellung von mehreren Zentimetern Größe führt, ist eine solche Thrombose im Bereich des Afters sehr schmerzhaft. Mit einem Schnitt in den Knoten oder dessen Entfernung kann der Arzt für Entlastung sorgen. Allerdings hilft häufig auch ein wenig Geduld, dann verschwindet er von selbst. Noch fehlen wissenschaftliche Studien, in denen das Abwarten gegenüber der Operation abgewogen wird.

Für eine andere schmerzhafte Erkrankung, die chronische Analfissur, liegen inzwischen aber einige Studien vor. Analfissuren sind Einrisse der empfindlichen Haut des Analkanals, die wahrscheinlich durch harten Stuhlgang entstehen. Bei der Stuhlpassage tritt ein brennender Schmerz auf, der 15 bis 30 Minuten lang anhält. Akute Fissuren heilen meist binnen weniger Tage ab. Warum manche Fissuren chronisch werden, ist noch unklar. Auf jeden Fall hilft aber eine gute Durchblutung der Region bei der Abheilung. Studien haben nun gezeigt, dass sie sich durch das Auftragen von Salben drastisch beschleunigen lässt, die Nitroglycerin enthalten. Eigentlich sind das „Herzsalben“, die bei Angina pectoris eingesetzt werden. Derselbe Effekt lässt sich auch durch Einspritzen von Botulinus-Toxin erzielen, ein Wirkstoff, den die meisten heute unter dem Namen „Botox“ als Mimikfalten-Killer kennen.

Dass Studien auf dem Gebiet der Analleiden sonst Mangelware sind, hat wahrscheinlich verschiedene Ursachen. Es beginnt schon damit, dass sich die Patienten auf verschiedene Ansprechpartner verteilen: Hausärzte, Internisten, Frauenärzte, Urologen und Hautärzte werden um Rat gefragt. Dazu kommt das – auch unter Ärzten – schlechte „Image“ dieser Krankheiten. Rohde diagnostiziert „nicht unbedingt Desinteresse, aber mangelnde Sympathie für ein schwer zugängliches, oft als unästhetisch empfundenes, zu häufig als Taburegion erklärtes Organ“. Sobald Krebs ins Spiel kommt, sei das allerdings anders: Zu den seltenen bösartigen Veränderungen der Analregion gibt es deutlich mehr Studien als zu den lästigen akuten und chronischen Veränderungen, die zwar nicht lebensgefährlich sind, aber Millionen von Menschen quälen.

Darunter sind selbstverständlich auch viele, die tatsächlich Hämorrhoiden haben, also eine krampfaderartige Veränderung, Aussackung und Verlagerung von Gefäßpolstern, die von unempfindlicher Darmschleimhaut bedeckt sind und normalerweise zur Abdichtung des Analkanals beitragen. In Schrecken versetzen sie die Betroffenen nicht durch Schmerz, sondern durch Blutungen und den Vorfall der Schleimhaut. Dann kann man sie schmerzfrei behandeln, zum Beispiel, indem sie mit einem Gummiband abgebunden und von der Blutversorgung abgeschnitten werden.

Zum offenen Gespräch über das heikle Thema gehört allerdings auch der Hinweis, dass sich später immer wieder neue Veränderungen am After bilden können. Und dass perfiderweise Ekzeme, Abszesse, Marisken, Fissuren, Thrombosen und Hämorrhoiden oft auch gemeinsam auftreten.

Adelheid Müller-Lissner

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