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Gesundheit: Krebs für Reiche, Krebs für Arme

Zehlendorf hat’s an der Brust, Neukölln in der Lunge. Der gerade erschienene Krebsatlas des Senats zeigt auf neue Weise: Lebensumstände und Tumorerkrankungen hängen zusammen

Zehlendorf ist eine beliebte Gegend. Nun könnte sie noch beliebter werden. Denn wer hier wohnt, ist rein statistisch weniger anfällig für Krebs als Berliner in anderen Stadtteilen. Besonders häufig sind Tumore hingegen im Neuköllner Rollbergkiez – hier ist die Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt. Es sind Erkenntnisse aus dem neuen Berliner Krebsatlas.

Um die Ursachen für Tumorerkrankungen genauer untersuchen und die Vorbeugung besser organisieren zu können, werden Krebsfälle in Berlin und den neuen Bundesländern seit 1995 im Gemeinsamen Krebsregister (GKR) erfasst. Zum erstem Mal wurden die Daten jetzt auch für die einzelnen Berliner Stadtbezirke ausgewertet. Herausgekommen ist ein ganzes Buch voller Karten und Statistiken, das die Verbreitung von Tumoren in den Jahren 2002 bis 2004 darstellt. Dieser Krebsatlas macht auf ganz neue Weise deutlich: Lebensumstände und Gesundheit hängen zusammen.

Arm sein ist ungesund. Soziologen sagen: Je ärmer eine Gegend, je bildungsferner die Bewohner desto seltener wird auf die Krankheitsvorsorge geachtet. Der Senat hat den Zusammenhang zwischen der Sozialstruktur eines Stadtteils und der Krebsanfälligkeit seiner Bewohner bereits früher festgestellt; ein Indiz: In ärmeren Kiezen nutzen die Menschen auch kostenlose Angebote zur Früherkennung seltener. Und sei es nur, um die Praxisgebühr zu sparen, sagt Ernst Späth-Schwalbe, Chef des Berliner Tumorzentrums.

Die Daten, die dem Berliner Krebsatlas zugrunde liegen, sind die genauesten in Deutschland. Mit Hilfe des „Gemeinsamen Krebsregisters“ haben Statistiker Berlin in 447 kleine Planungsgebiete geteilt. Wie durch eine Lupe konnten Experten die Stadtteile nun untersuchen. Insbesondere wegen der hohen Lungenkrebskonzentration in den Problemkiezen in der Innenstadt, fordert die Linkspartei nun verstärkt Aufklärung, auch die Christdemokraten wollen die Ergebnisse des Krebsatlas nutzen, um gezielt Voruntersuchungen anzuregen.

Doch auch ohne Lupe lässt sich feststellen, dass Tumorerkrankungen in ganz Berlin zunehmen: Die Zahl ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Aus dem Krebsatlas geht hervor: 14 568 Neuerkrankungen gab es 2004 – 1040 Fälle mehr als noch 2002 zuvor. Und die aktuellsten, im Krebsatlas nicht mehr aufgeführten Statistiken zeigen: 2005 wurden in Berlin schon mehr als 15 000 neue Krebsfälle registriert. „Ein besorgniserregender Trend“, sagt Späth-Schwalbe.

Nach Kreislauferkrankungen ist Krebs in Berlin die häufigste Todesursache. In den Jahren 2002 bis 2004 starben rund 24 000 Berliner an einem Tumor. Wegen „bösartiger Neubildungen“ wurden allein im Jahr 2005 insgesamt 57 346 Berliner in Kliniken behandelt. Derzeit ist jedes zehnte Krankenbett mit einem Krebspatienten belegt. Bei einem Pflegesatz von etwa 530 Euro täglich kostet ihre Klinikbehandlung jährlich 280 Millionen Euro.

Der Krebsatlas berücksichtigt Zahlen bis 2004 - Krebsexperte Späth-Schwalbe geht hingegen davon aus, dass die Patientenzahlen bis heute noch um 20 Prozent gestiegen sind. Eine Ursache dürfte die höhere Lebenserwartung sein; viele Tumore entstehen im Alter, je älter also die Bevölkerung desto mehr Krebs. Gerade in sozial schwachen Wohngegenden kämen Übergewicht, Alkoholmissbrauch und Rauchen hinzu. Raucherhochburgen wie Neukölln und Wedding weisen bei Lungenkrebs hohe Raten von Neuerkrankungen auf. Und weil viele Mädchen immer früher mit dem Rauchen anfangen, nimmt Lungenkrebs vor allem bei Frauen zu. Die Quote lungenkrebskranker Frauen in Berlin ist höher als im Bundesdurchschnitt. Die Ursache sei offenkundig, sagen Forscher: Nikotin ist die Droge sozial Schwacher.

Wenn Krebs tendenziell auch in den sozial schwachen Vierteln der Stadt gehäuft auftritt, so gibt es doch eine deutliche Ausnahme: Brustkrebs ist zwar insgesamt der häufigste Tumor bei Berliner Frauen. Besonders stark vom Tumor sind aber Westberliner Frauen betroffen. Die Erklärung der Gesundheitssenatorin wird von Onkologen bestätigt: Die Gefahr, an Brustkrebs zu erkranken steigt, wenn Frauen spät oder gar nicht gebären. Im Osten der Stadt bekommen Mütter ihren Nachwuchs früher als in den Westbezirken, besonders, wenn sie aus sozial schwachen Familien stammen, aber auch immer noch wegen der aus früheren Zeiten übernommenen Idee von Familienplanung. Sie bleiben gesünder. In Zehlendorf ist Brustkrebs viel stärker verbreitet.

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