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Gesundheit: Künstliche Wurzeln

Früher Lückenschluss: Zahnimplantate werden immer beliebter – auch bei jungen Menschen

Zum Neid hatte Goethe sonst wenig Anlass. „Zahnreihen aber, junge, neidlos anzusehn, das ist die größte Prüfung mein, des Alten“, bekannte der Dichter, als ihn im höheren Lebensalter das Fehlen einiger Zähne quälte. Heute wäre Goethe nicht nur auf die Jungen neidisch. Über 150 000 vor allem ältere Patienten werden inzwischen jedes Jahr mit Implantaten versorgt. Das sind künstliche Zahnwurzeln, die der Verankerung von Zahnersatz dienen.

Immer mehr Menschen sind bereit, stattliche Summen für den Komfort zu zahlen, den es bedeutet, wenn Zahnersatz verlässlich im Kiefer verankert ist (siehe Infokasten). Bei der 10. Jahrestagung des Landesverbandes Berlin-Brandenburg der Deutschen Gesellschaft für Implantologie wurde nun auch der Anspruch deutlich, der Vorbeugung weiterer Probleme zu dienen.

Das beginnt schon in jungen Jahren. „Es gibt kaum ein Gebiet in der Zahnheilkunde, mit dem man so gut Vorbeugung betreiben kann wie in der Implantologie speziell für Jugendliche“, sagte Georg Watzek, Implantologe an der der Medizinischen Universität Wien. Denn bei drei bis zehn Prozent der Kinder sind zu wenig bleibende Zähne angelegt.

Meist ist das ein Fall für den Kieferorthopäden, der kleinere Lücken mit Zahnspangen zu schließen versucht. In seiner Uniklinik hat Watzek jedoch in den letzten Jahren mehr als 300 junge Patienten im Alter zwischen sechs und 15 Jahren behandelt, bei denen mehr als sechs Zähne fehlten. Die Folgen nicht angelegter Zähne sind oft Zahnfehlstellungen: Zähne drehen oder verschieben sich.

„Das Fehlen der Zähne hat aber auch Auswirkungen auf die Gesichtsbildung, das Kauen und Sprechen kann behindert sein, ganz abgesehen von der psychischen Belastung“, erläuterte Watzek. All das sind Gründe für ein frühes Eingreifen. Doch ab wann sind Implantate möglich? Als wichtiges Kriterium dafür gilt der Abschluss des Knochenwachstums. „Alle diese Kinder und Jugendlichen möchten aber natürlich möglichst schnell Zähne haben“, sagt Watzek.

Im Einzelfall, etwa wenn man sonst mit der Kieferorthopädie nicht beginnen könnte, plädiert er für Lösungen, bei denen notfalls später die künstlichen Wurzeln nochmals verlagert werden müssen. Trotzdem gelte grundsätzlich die Devise „so spät wie möglich“, ergänzte Heiner Weber von der Uni Tübingen.

Pragmatisch denken die Implantologen auch bei der Behandlung von Senioren. Ein Viertel aller über 65-Jährigen trage eine Vollprothese, sagte Hubertus Spiekermann von der Uni Aachen. Auch sie kann durch Implantate gestützt werden. Neben der Stabilität ist dann das große Plus, dass keine Gaumenplatte nötig ist. Spiekermann plädierte dafür, an die Erweiterbarkeit zu denken und „strategische Pfeiler“ im Kiefer zu setzen.

„Natürlich wollen alle eine schnelle Versorgung vor allem an den sichtbaren Stellen“, sagte Henning Schliephake von der Uni Göttingen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie. Ob man eine Lücke so schnell schließen kann, hänge allerdings von der Beschaffenheit des Knochens und des Zahnfleischs ab. Schliephake warnte vor unerwünschtem Gewebeumbau, vor Überlastungen und Einbrüchen der Konstruktion. Aber auch wenn nicht jede Neuentwicklung für jeden Patienten in Frage kommt: Goethe wäre aus dem Staunen nicht herausgekommen.

Adelheid Müller-Lissner

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