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Gesundheit: Land für Land

Posen und Budapest 1956, Prag 1968, Danzig 1980: Überall stehen die Bürger gegen die Sowjets auf. Dann rollen die Panzer – aber am Ende siegte das Volk

Proteststurm in Posen

Wir wollen essen“, schrieben die Posener Arbeiter im Juni 1956 auf ihre Transparente. Der erste große Volksaufstand nach dem 17. Juni 1953, der auch auf andere polnische Städte übergriff, begann mit wirtschaftlichen Forderungen und antisowjetischen Manifestationen – und führte im Oktober zu einem Umsturz in der polnischen KP und damit zu einer Liberalisierung des Systems: Die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde gestoppt, die Zensur gemildert, ein Dialog mit der katholischen Kirche begonnen und politische Gefangene freigelassen, darunter der künftige Parteichef Wladyslaw Gomulka. „Dem Aufstand folgte eine Tauwetterperiode – im Gegensatz zur DDR, wo es zu Verschärfungen kam“, sagt die Krakauer Soziologin Grazyna Skapska. Den Zusammenhang mit den „konterrevolutionären“ Unruhen in Posen jedoch tabuisierte die neue, national und kommunistisch orientierte Regierung. Für die Bevölkerung aber blieb der Juni 1956 ein großer Gedenktag des Widerstandes gegen den ungeliebten Kommunismus. Als die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc 1981 zum 25. Jahrestag in Posen ein Denkmal für den Aufstand errichtete, tolerierte die Regierung das. Aber sechs Monate später rief sie das Kriegsrecht aus, das den polnischen Traum von der Freiheit noch einmal um acht Jahre zurückwerfen sollte.

Krieg in Budapest

Die Ungarn zahlten einen sehr hohen Preis für ihren Aufstand vom Oktober und November 1956. Sie gingen auf die Straße, um die vom neu gewählten reformsozialistischen Ministerpräsidenten Imre Nagy verkündete parlamentarische Demokratie und die Neutralität Ungarns mit Waffengewalt zu verteidigen. Sowjetische Panzerverbände rückten gegen die Aufständischen und Teile der Armee vor. Über 1000 Ungarn fielen im Kampf oder wurden zum Tode verurteilt, darunter auch Nagy. Für das Hamburger Institut für Sozialwissenschaften ist der Ungarn-Aufstand deshalb ein „Krieg“ zwischen Ungarn und der UdSSR. Der Charakter der Revolution ist indes umstritten. Sie sei „mitnichten ein antikommunistischer Aufstand“ gewesen, sagte kürzlich der Schriftsteller Peter Nadas in Berlin. „Sie war der Aufstand, bei dem ein bestehendes kommunistisches Regime tatsächlich gestürzt wurde“, betont dagegen Leonid Luks, Historiker an der katholischen Universität Eichstätt. Die ungarische Rechte wiederum reklamiert den Oktober 1956 heute für sich, als „nationalen Aufstand“. Jan Foitzik, Historiker am Institut für Zeitgeschichte (München / Berlin), sagt voraus: Zum 50. Jahrestag 2006 werde sich der „historische Stellenwert stabilisieren“ – nach dem Muster des deutschen 17. Juni.

Panzer in Prag

Der Prager Frühling von 1968 ist der legendäre Versuch eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. Seine Niederschlagung durch die sowjetische Armee und der weitgehend friedliche Widerstand gegen die russischen Panzer in Prag, Bratislava und andernorts war ein Modell für die „samtenen“ Revolutionen von 1989. Die Ereignisse zwischen dem Januar und dem August ’68 haben bis heute einen mythischen Klang. Aber nur im Westen, sagt der Historiker Jan Foitzik. Im öffentlichen Bewusstsein der Tschechen dagegen spiele die „gescheiterte Reform einer kommunistischen Partei“ keine große Rolle. Die gesellschaftlichen Kräfte, die 1989 die Wende vollzogen, verstünden sich „nicht im geringsten als Nachfolger der Reformatoren von ’68“, sagt auch der Presseattaché der tschechischen Botschaft, der Historiker Zdenek Aulicky. „Ideologischer Unsinn“, widerspricht der Historiker Michal Reiman, 68er und Emeritus der Freien Universität Berlin. Die Bedeutung des Prager Frühlings werde „durch parteipolitische Auseinandersetzungen verdrängt“. Die Tschechen hätten Demokratie, Souveränität und marktwirtschaftliche Prinzipien gefordert – angesichts der sowjetischen Bedrohung weitgehende Ziele. Und die Demonstrationen von 1988, die zur samtenen Revolution führten, begannen am 20. Jahrestag der Intervention.

Solidarnosc in Danzig

Die Aufstände von 1956 waren nur der Anfang einer Kette polnischer Revolutionsversuche. Mit den „Klubs der katholischen Intelligenz“ hatten sich damals oppositionelle Keimzellen gebildet, die virulent blieben. Nachdem 1970 eine Welle von Unruhen an der Ostseeküste zum Sturz des KP-Führers Gomulka geführt hatte, gelang Danziger Werftarbeitern 1980 eine politische Sensation. Das Streikkomitee mit dem Elektriker Lech Walesa an der Spitze erzwang das „Danziger Abkommen“ mit der kommunistischen Regierung. Sie sicherte das Streikrecht, das Recht zur Gründung unabhängiger Gewerkschaften zu und weitete die Meinungsfreiheit aus. Die Unterzeichnung am 31. August 1980 sei das wichtigste Datum der Demokratiebewegung, sagt die Soziologin Grazyna Skapska. Im September 1981 jedoch verhängte Partei- und Staatschef Jaruzelski das Kriegsrecht; die im Dezember 1980 gegründete Gewerkschaft Solidarnosc wurde verboten, Oppositionelle wurden verhaftet oder emigrierten. Danach kämpften sie im Untergrund weiter, bis sie die Regierung 1988 an den „Runden Tisch“ brachten. Aus den Wahlen im Juni ’89 ging der Solidarnosc-Kandidat und Mitbegründer der „Katholischen Klubs“, Tadeusz Mazowiecki, als Ministerpräsident hervor.

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