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Gesundheit: „Lieber keine abschreckenden Gebühren“

Richard von Weizsäcker zur Humboldt-Universität, zum Elitewettbewerb – und zu Günter Grass

Herr Bundespräsident, Sie sind ins Kuratorium der Humboldt-Universität gewählt worden. Was verbindet Sie mit dieser Hochschule?

Die Humboldt-Universität ist und bleibt für mein Verständnis ein Selbstanspruch und Vorbild für das, was eine Universität in Deutschland darstellen sollte. Erste Kontakte habe ich im Jahre 1990 geknüpft, bei einer Jubiläumsveranstaltung der Humboldt-Universität. Zu der Feier in der Staatsoper in Berlin-Mitte lud ich die Präsidenten der Freien Universität und der Technischen Universität ein. Ich wollte, dass sie gemeinsam mit mir einen Willkommensgruß und ein Zeichen der Verbundenheit und der Förderungsabsicht zum Ausdruck zu bringen. Damals gab es ja die Absicht der FU und der TU, die Humboldt-Universität zu kolonialisieren, und das wollte ich verhindern helfen. Und das ist dann ja auch gelungen.

Was könnten Sie heute für die Humboldt-Universität tun?

Mein Wunsch ist, die Humboldt-Universität weiter zu ermutigen und zu fördern – in dem ganz bescheidenen Ausmaß, in dem ich dazu in höchst vorgerücktem Alter beitragen kann.

Haben Sie erwogen, an der Berliner Universität zu studieren, als Sie 1937 am Bismarck-Gymnasium in Berlin-Wilmersdorf Abitur machten?

Bei meinem Abitur war ich noch nicht ganz 17, und danach besuchte ich noch eine Schule in Bern. Von dort aus hatte ich die Möglichkeit, je ein halbes Jahr im Ausland zu studieren. Ich ging nach Oxford und Grenoble. Mich vor dem fälligen Arbeits- und Militärdienst hier an einer Universität einzuschreiben, habe ich nicht erwogen.

Sie sind als Jugendlicher zum Militär gekommen, haben bis 1945 am Zweiten Weltkrieg teilgenommen. Wie hat Sie die späte Offenbarung von Günter Grass berührt, in einer Division der Waffen-SS gedient zu haben?

Ich habe den Krieg als Mitglied eines Potsdamer Infanterieregiments miterlebt. Und wenn an der Front gelegentlich ein Verband der Waffen-SS auftauchte, dann stellten wir fest, dass er besser ausgerüstet war als wir. Darüber hinaus habe ich keine Beobachtungen gemacht. Was Günter Grass betrifft, so finde ich, dass die Steinewerfer gegen ihn unterwegs sind, wofür er die Verantwortung trägt. Gleichzeitig finde ich, dass sich an der Kraft seiner Literatur und seiner prägenden Beiträge zur Herstellung eines neuen guten polnisch-deutschen Verhältnisses gar nichts ändert.

Kurz nach dem Krieg wurden Sie Student. Wie sehen Sie die Studierenden heute?

Aus dem Krieg heil nach Hause gekommen zu sein, war überraschend. Ich wurde mit 26 an der Universität zugelassen, in einem Alter, in dem man auf der einen Seite viel zu wenig von der Welt wusste, auf der anderen Seite Erfahrungen hinter sich hatte, die zum Glück junge Studenten normalerweise nicht haben müssen. Das war eine aufregende und bis heute prägende Zeit.

Sie haben dann wahrscheinlich sehr zielstrebig studiert?

Wir waren schon von der Sorge geprägt, uns beeilen zu müssen, weil wir sonst keinen Arbeitsplatz finden. Aber wir wollten uns wirklich ein Bild von der Welt und ihren Leistungen, Herausforderungen und Künsten machen. Mein juristisches Studium habe ich im Wesentlichen bei Repetitorien abgeleistet, im Übrigen habe ich historische, literarische und theologische Vorlesungen besucht. Man war ausgetrocknet wie ein Schwamm.

Das Hörgeld in der Bundesrepublik wurde 1969 abgeschafft. In sieben Bundesländern werden jetzt Studiengebühren eingeführt. Sollte Berlin mitziehen?

Zahlreiche junge Leute kommen gern zum Studium nach Berlin, weil es als eine lebendige, interessante und jugendoffene Stadt gilt. Wenn ein weiteres Motiv die Flucht vor Studiengebühren in anderen Bundesländern wäre und Berlin sich ohnehin mit einer kaum zu bewältigenden Zahl von Studienanfängern auseinanderzusetzen hat, dann bedarf es eines Ausgleichs für Berlin. Lieber keine abschreckenden Studiengebühren, sondern andere Formen der Unterstützung der Berliner Universitätslandschaft durch jene Bundesländer – das mögen die Sachverständigen miteinander verhandeln.

Bund und Länder haben einen Elitewettbewerb unter den deutschen Universitäten ausgelobt. Glauben Sie, dass deutsche Hochschulen international bald wieder in der ersten Liga mitspielen?

Ohne Zweifel. Das gilt für das Verhältnis von Deutschland zur übrigen Welt und für das Verhältnis von West und Ost in Deutschland. Ich finde, dass bei diesem Auswahlverfahren wirklich an das Zusammenwachsen zwischen Ost und West gedacht werden muss. Natürlich kann ich nicht behaupten, dass eine Universität deswegen förderungswürdig ist, weil sie zum Beispiel an der Nordostecke des vereinigten Deutschlands sitzt. Dennoch ist mit dieser Exzellenzunterstützung doch auch zweierlei gemeint. Nämlich Belohnung dessen, was erreicht ist und Ermutigung dessen, was im Begriff ist zu werden. Dass bisher aus ganz Ostdeutschland kein einziger Kandidat für würdig befunden wird, deutet auf eine sehr sachtrockene Bewertung hin.

Wie sehen Sie den Traditionsstreit zwischen Humboldt-Universität und Freier Universität, die sich beide als Nachfolgerinnen der Berliner Universität verstehen? Sollten sie das 200-jährige Jubiläum im Jahr 2010 gemeinsam begehen?

Ich finde einen solchen Streit unsinnig. Die Gründungszeiten sind gänzlich unvergleichbar. Die Universitätsziele, die heute von der HU und der FU angestrebt werden, sind kein Anlass zu Streit, sondern zu gegenseitiger Bestätigung. Beide müssen sich anstrengen, den Grundprinzipien der Humboldt-Universität aus dem Jahr 1810 treu zu bleiben, das ist schwer genug.

Meinen Sie die Einheit von Forschung und Lehre?

Ja, beides zusammenzuhalten ist schwer, besonders, wenn man an die gerade wieder wachsende Zahl von Studierenden denkt. Jetzt sind wir dabei, den Lecturer einzuführen. Das mag notwendig sein. Die Gefahr, dass schließlich an Universitäten die Lehrstühle teils von Forschern, teils von Lehrern besetzt werden, widerspricht dem Humboldtschen Ziele der Zusammengehörigkeit von beidem und ist ein bedenkliches Unterfangen.

Die Professoren vernachlässigen die Lehre häufig, weil nur Leistungen in der Forschung honoriert werden.

Solange die Professoren Studenten vernachlässigen, werden sie es zu wirklichen Eliteuniversitäten nicht bringen können. Die Offenheit für wirklich interessierte und zur Forschung auch befähigte Studenten gehört dazu. Es ist eine Anforderung an einen verantwortlich forschenden Professor, dass er sich als zugänglich erweist. Das ist vernachlässigt worden, und das ist auch ein großer Unterschied zwischen den Verhältnissen in Deutschland und zum Beispiel denen an den Eliteuniversitäten in Amerika. Da ist die Tür des Professors offen. Aber natürlich können wir materiell auch gar nicht mit solchen fabelhaften Universitäten konkurrieren.

Das Interview führten Amory Burchard und Anja Kühne.

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