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Gesundheit: Los Alamos: Die Lücke im Luftspalt - Warum die Atomgeheimnisse nie sicher sein werden (Kommentar)

Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil reden Wissenschaftler für ihr Leben gern - sofern es um die Ergebnisse ihrer Forschung geht. Je verdruckster ein forschender Eierkopf im normalen Leben daherkommt, desto wichtiger ist für ihn der Ego-Gewinn beim Fachsimpeln mit Kollegen und beim Publizieren der wissenschaftlichen Ergebnisse.

Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil reden Wissenschaftler für ihr Leben gern - sofern es um die Ergebnisse ihrer Forschung geht. Je verdruckster ein forschender Eierkopf im normalen Leben daherkommt, desto wichtiger ist für ihn der Ego-Gewinn beim Fachsimpeln mit Kollegen und beim Publizieren der wissenschaftlichen Ergebnisse.

Der Drang zur - natürlich selten zugegebenen - Selbstdarstellung ist so groß, dass man, wenn ein Wissenschaftler einmal schweigt, ernsthaft vermuten darf, dass er dafür bezahlt wird.

Die am höchsten dotierten Schweiger der Welt arbeiten im sagenumwobenen nationalen Atomlabor der USA in Los Alamos. Am Rand der Wüste von Neu Mexiko, hermetisch abgeschirmt vom Rest der Forscherwelt, wurde in den 40er Jahren im "Manhattan-Project" die erste Atombombe entwickelt. Ausgerechnet im Allerheiligsten des Atomtempels, der für die Waffenentwicklung zuständigen "Division X", wurden kürzlich zwei Computer-Festplatten gestohlen. Auf ihnen ist eines der bestgehüteten Staatsgeheimnisse der USA gespeichert: Die Anweisung zur Entschärfung nuklearer Sprengköpfe amerikanischer, französischer, russischer und chinesischer Bauart.

Seit der Entdeckung des Diebstahls am 7. Mai wurde jeder Quadratzentimeter der gigantischen Atomanlage, in der etwa 8000 Menschen arbeiten, von Spezialtrupps durchsucht. Doch die heißen Platten blieben verschwunden - bis sie vergangenen Freitag zufällig hinter einem Kopiergerät wieder aufgetaucht sind.

Für Los Alamos war das der zweite große Skandal in wenigen Monaten. Erst im Dezember war der in Taiwan geborene Atomforscher Wen Ho Lee, jahrelanger Projektleiter in der "Division X", vom FBI in Handschellen abgeführt worden. Seit 1992 war man Hinweisen auf einen Verrat der Bauanleitung des "W-88", des in Los Alamos entwickelten modernsten Atomsprengkopfes der USA, an China nachgegangen. Lee wird das unerlaubte Kopieren von Geheimdaten vorgeworfen.

Jetzt fordert die Opposition, angeführt von Präsidentschaftskandidat George Bush jun., noch strengere Sicherheitsmaßnahmen. Der Versuch, die Atomgeheimnisse hundertprozentig zu sichern, scheitert jedoch daran, dass die beiden Hauptakteure des nuklearen Versteckspiels, Computer und Wissenschaftler, sich nicht an die Spielregeln halten.

Computernetze wie das in Los Alamos werden nach dem "air gap"-Prinzip geschützt: Das geheime Netz ist an keiner Stelle physikalisch mit der Außenwelt verbunden, also immer durch einen "Luftspalt" vor Eindringlingen geschützt. Doch auch dieser "perfekte" Schutz wird immer wieder durchbrochen: wie zuletzt durch den Diebstahl zweier ausgebauter Festplatten, die für Notfälle in einem Koffer aufbewahrt wurden.

Noch schwerer lässt sich das Sicherheitsrisiko "Wissenschaftler" unter Kontrolle bringen. Bereits Leslie Groves, Direktor des Manhattan-Projekts, hatte Chefwissenschaftler Oppenheimer und seinen Kollegen verbieten wollen, privat über ihre Arbeit zu sprechen. Die Forscher weigerten sich - und wurden mit Abhöraktionen, Hausdurchsuchungen und Verhören am Lügendetektor drangsaliert. Nach dem Verrat der A-Bombe an die Sowjets 1944 wurde Oppenheimer wegen seiner Freizügigkeit sogar - erfolglos - der Beihilfe zur Spionage beschuldigt.

Wegen der Erkenntnis, dass Wissenschaft auf Kommunikation angewiesen ist und dass die benötigten Spitzenköpfe durch das militärische Schweigegebot abgeschreckt werden, hat man seit den 60er Jahren beschränkte Kontakte zu anderen Forschungseinrichtungen zugelassen. Anfang der 90er Jahre wurde ein Großteil der bis dahin als "streng geheim" eingestuften Forschungsergebnisse sogar zur Publikation freigegeben.

Nach den jüngsten Ereignissen ist jedoch zu befürchten, dass die Wissenschaftler von Los Alamos ihre mühsam errungene Freiheit wieder verlieren. Kritiker wollen die engen administrativen und wissenschaftlichen Verbindungen zur Universität von Kalifornien kappen, weil die angeblich zu den Sicherheitsmängeln beigetragen haben sollen. Die altbekannten Lügendetektoren wurden wieder ausgepackt: Zwei Forscher der "Division X" sollen bei den Befragungen des FBI bereits "verdächtige Antworten" gezeigt haben.

Der Autor ist Direktor des Institutes für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Alexander S. Kekulé

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