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MEDIZIN Männer: Kämpfer gegen Karies

WILLOUGHBY DAYTON MILLER Frühjahr 1895, Spandauer Damm: Ein Mann mit mächtigem, zerzaustem Vollbart starrt konzentriert zu Boden, holt aus, schlägt ab – und ein kleiner Ball entschwindet den Blicken der Eingeweihten, die sich hinter ihm versammelt haben. Ehrfürchtiges Raunen.

WILLOUGHBY DAYTON MILLER

Frühjahr 1895, Spandauer Damm: Ein Mann mit mächtigem, zerzaustem Vollbart starrt konzentriert zu Boden, holt aus, schlägt ab – und ein kleiner Ball entschwindet den Blicken der Eingeweihten, die sich hinter ihm versammelt haben. Ehrfürchtiges Raunen. Willoughby Dayton Miller ist der unbestrittene König der Berliner Golfszene.

Das Golfen hat Miller aus Edinburgh, Schottland, mitgebracht. Eigentlich wollte er dort die Naturwissenschaften vertiefen, das Studium der Mathematik und Chemie hatte er in den USA beendet. Doch der Bankrott der Bank, bei der er nahezu seine gesamten Ersparnisse angelegt hatte, kam dazwischen. Mit dem Mut der Verzweiflung macht sich Miller auf den Weg nach Berlin. Gerne würde er hier weiterstudieren, Berlins naturwissenschaftliche Fakultäten genießen einen exzellenten Ruf. Aber zunächst braucht Miller einen Job, was sich als Ausländer im börsenkrachgeschüttelten Berlin als schwierig erweist. Mithilfe der kleinen britisch-amerikanischen Diaspora in Berlin gelingt es dennoch. Frank Abbot, ein amerikanischer Zahnarzt, verhilft Miller zu einer Stelle als Übersetzer und als Lehrer für seine Tochter Caroline. Kurz darauf ist Miller mit Caroline verlobt. Eine Hochzeit, das stellt der Schwiegervater in spe aber klar, wird es nur geben, wenn Miller Zahnmedizin studiert.

Mit 24 Jahren kehrt er deshalb in die USA zurück und macht in Windeseile seinen Doktor. Zwei Jahre später zurück in Berlin sattelt er den deutschen Dr. med. drauf, veröffentlicht Fachartikel und wird an das Zahnärztliche Institut der Charité berufen. Als erster Ausländer in Deutschland erhält Miller eine Professur.

Gebannt verfolgt er die Forschungen des Kollegen Koch, der gerade den Tuberkuloseerreger entdeckt hat. Miller findet Bakterien auf Zähnen und beschreibt seine bahnbrechenden Entdeckungen in „Die Mikroorganismen der Mundhöhle“: Der Stoffwechsel von „Mikrokokken und Bacillen“ sei für die Bildung von Säuren verantwortlich, die wiederum den Zahnschmelz entkalken und für Bakterien angreifbar machen – so entstehe Karies. Die Theorie ist bis heute gültig. Ein ziemlich blutiges Randgebiet der Medizin bekommt durch den Chemiker Miller eine neue Ausrichtung.

Trotz seines Erfolges wird Miller in Berlin nie ganz heimisch. 1907 zieht die Familie nach Ann Arbor, Michigan, um. Er wird die Stelle an der dortigen Universität nicht mehr antreten. Kurz nach der Ankunft stirbt er an den Folgen eines Blinddarmdurchbruchs. Auf seine Forschungen geht der spätere Siegeszug der Zahnbürste zurück. Aber auch Zahnschmerzgeplagte begegnen seinem Namen noch heute: Wenn der Zahnarzt bei der Wurzelbehandlung die Miller-Nadel verlangt.

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