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MEDIZIN Männer: Selbst Bismarck fürchtete ihn

ERNST SCHWENINGER Otto von Bismarck ächzt. Es ist das Jahr 1879, gerade hat der Kanzler mit Österreich auf die Allianz gegen Russland angestoßen, da bringt er sein Rekordgewicht von 257 Pfund auf die Waage.

ERNST SCHWENINGER

Otto von Bismarck ächzt. Es ist das Jahr 1879, gerade hat der Kanzler mit Österreich auf die Allianz gegen Russland angestoßen, da bringt er sein Rekordgewicht von 257 Pfund auf die Waage. Rheuma, Schlaflosigkeit und Verdauungsstörungen plagen ihn. Der Münchner Naturmediziner Ernst Schweninger, der Bismarcks ebenfalls schwer übergewichtigen Sohn Wilhelm kuriert hat, kommt da gerade recht. Schweningers zweite Karriere beginnt, sie wird ein hartes Stück Arbeit. Bismarck senior ist der Albtraum von einem Patienten: besserwisserisch, launisch, stur. Nach kurzer Zeit fährt er Schweninger an, er verbitte sich die vielen Fragen. Der antwortet lakonisch: Wenn Bismarck einen Arzt haben wolle, der keine Fragen stellt, solle er sich an einen Viehdoktor wenden. Bismarck schätzt diese Geradlinigkeit. Und fürchtet sie. Der Arzt verordnet einen geregelten Tagesablauf und strikte Diät. „Ich esse nur noch, was er will“, klagt Bismarck über den stets dunkel gekleideten „schwarzen Tyrannen“. Bei jedem Fehltritt droht Schweninger mit Abreise. 1884 wiegt der Kanzler nur noch 100 Kilo. Ohne Schweninger könne er nicht gesund leben, schreibt er, „wenn er weggeht, muss ich nach München ziehen“. Welcher aufrechte Preuße möchte das schon?

Der Minister setzt den Arzt also an die Spitze der Hautklinik. Die Charité-Ärzteschaft fühlt sich hintergangen, und Schweninger muss beweisen, dass er den Posten verdient. Seine diätetische Behandlung bei Ekzemen wird belächelt. Er bleibt Außenseiter und wendet sich immer vehementer gegen jene akademische Ärzteschaft, die ihn nicht haben will. „Die Wissenschaft des Arztes tötet seine Humanität“, schreibt er. Weil das auch einflussreiche Patienten so sehen, wird er Direktor des neuen Krankenhauses Groß-Lichterfelde, will eine „neue Schule“ etablieren und „Schablonenärzte“ bekämpfen. „Nur die Natur heilt“, wird sein Credo. Vor seinem Tod 1924 kehrt Schweninger nach München zurück. Die prominenten Patienten bleiben ihm treu, ebenso wie seine Feinde an den Universitäten.

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