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Gesundheit: Medizin-Nobelpreis: Mehr Hirn! - Bei den Nobel-Preisen werden Mediziner und Biologen immer wichtiger

Die Nobelpreiswochen haben begonnen. Und es hat sich etwas verändert, im Gegensatz zu, sagen wir mal, 1993.

Die Nobelpreiswochen haben begonnen. Und es hat sich etwas verändert, im Gegensatz zu, sagen wir mal, 1993. Erinnern Sie sich noch? Nelson Mandela bekam den Friedensnobelpreis. Damals, als die Welt noch hauptsächlich damit rang, Demokratie und Freiheit unter die Leute zu bringen. Arafat, Peres und Rabin bekamen ihn im Jahr darauf. Der Kalte Krieg war zu Ende, nach und nach kehrte auch auf seinen Nebenschauplätzen Entspannung ein. Sogar Nordirland und Südafrika ließen sich anstecken. Und nun ist mit Serbien in Europa die letzte Bastion der Diktatur gefallen. Das große politische Thema, Frieden zwischen den Großmächten und in Europa, ist also leidlich bearbeitet. In der Politik geht es jetzt weniger um die großen Entwürfe als um das Koordinieren und Moderieren. Wen interessiert da der Friedensnobelpreis?

Und was ist mit einem anderen großen Preis, dem für Literatur? Es wurde immer heftig gestritten, wenn es um die Ehrung des Mannes oder der Frau ging, die die Konflikte der Welt, die innere Zerrissenheit des Einzelnen in Worte fassen konnten. Auch da tun sich nun Lücken auf. Die letzten Preisträger, von Günter Grass über José Saramago aus Portugal und Dario Fo aus Italien bis Wislawa Szymborska aus Polen, sind alle in den 20er Jahren geboren. Gibt es etwa einen Mangel an guten, jungen Erzählern? Nein, eher fehlt es an den großen Konflikten, an großen gemeinsamen Erfahrungen, ohne die es keine Romane gibt, die alle angehen.

Heute, bei der ersten Bekanntgabe eines Nobelpreises in diesem Jahrhundert, scheint sich das Hauptinteresse auf etwas anderes zu richten, etwas, das alle eint: der Körper. Und damit: die Medizin. Die Spannung, mit der die Bekanntgabe des Medizin-Nobelpreises gestern in Stockholm erwartet wurde, lässt ahnen: Hier hat sichein Akzent verschoben. Vor die politischen und kulturellen Erfahrungen schiebt sich das Interesse am allen gemeinsamen Bauplan des Lebens.

Wer war in den letzten Monaten in den Medien der westlichen Welt denn auch präsenter als etwa Craig Venter? Welches Thema hat eine heißere Konjuktur als Genetik und Hirnforschung? Von wem erhoffen wir uns die größte Einsicht und Selbsterkenntnis? Die Jahrzehnte der Psychologie, gar der Psychoanalyse, verblassen, jetzt wollen uns Hirn- und Genforscher erklären, wer wir sind. Es geht heute weniger darum, dass die Menschen sich umständlich selbst erkennen, um auf diese Weise zu einem besseren Leben zu finden. Heute will man sein Leben nicht tiefgründiger leben, sondern vor allem länger und gesünder. Der Weg dahin führt für viele nicht mehr über die Ideologieoder die Feinanalyse komplizierter Psychen, sondern über die Biologie. Und die setzt dabei immer häufiger direkt am Hirn an.

So auch die diesjährigen Medizinnobelpreisträger. Die drei Hirnforscher Arvid Carlsson, Paul Greengard und Eric Kandel haben sich um die Funktionsweisen des Gehirns gekümmert. Carlsson hat die Substanz entdeckt, deren Fehlen Parkinson hervorruft. Greengard hat sie erforscht, sodass ein wirksames Medikament dagegen entwickelt werden konnte. Und Kanel hat die Effektivität der Synapsen im Gehirn untersucht und herausgefunden, wie sich das Lern- und Erinnerungsvermögen verändern lässt.

Das Jahrhundert der Ideologie ist vorbei, das der Biologie hat offenbar begonnen.

Kerstin Kohlenberg

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