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Gesundheit: Mein Mannheim

Studenten stehen für einen Platz an der kurpfälzischen Universität Schlange – obwohl die Stadt kein besonderes Flair verströmt

Studententräume sehen anders aus: Mannheim hat kein pulsierendes Großstadt-Flair, keine florierende Partyszene und auch sonst wenig Attraktionen. Trotzdem stehen Deutschlands Abiturienten Schlange für einen Studienplatz an der Uni Mannheim. Denn die sichert sich seit zwei Jahren Spitzenplätze in Rankings. Dafür nehmen die Studenten viel in Kauf: Zum echten Studentenleben müssten sie Abend für Abend pendeln – ins 30 Kilometer entfernte Heidelberg.

In der schwarzen Hochglanz-Broschüre der Uni steht davon nichts. Stattdessen schwärmt der Werbetext in englischer Sprache vom „Baroque Palace“, der die Uni beherbergt: „One of the largest in the world!“ Wer daraufhin tatsächlich bis nach Mannheim vordringt, sieht statt barocker Pracht nur die ernüchternde, deutsche Hochschul-Wirklichkeit. Glasbausteine lassen fahles Licht in die Eingangshalle des Uni-Schlosses fallen, die Schritte der Studenten hallen verloren nach auf dem Steinfußboden – die fünfziger Jahre lassen grüßen.

Diese Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigt das Dilemma der Mannheimer Uni: Exzellenz wolle er erreichen, verkündet Rektor Hans-Wolfgang Arndt, mit St. Gallen müsse man sich vergleichen können. Das Geld von der Landesregierung in Stuttgart allerdings reicht nicht einmal dafür aus, die Wände weiß streichen zu lassen. Es ist schwierig, im Balanceakt zwischen großen Versprechen und klammen Kassen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Überraschung aber ist: In Mannheim scheint der Spagat tatsächlich zu klappen, unter Deutschlands Studenten und Professoren ist die Uni ausgesprochen beliebt – zumindest in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.

Den Weg dorthin hat der Rektor allerdings mit dem Holzhammer freigeschlagen. Um diese beiden Fachbereiche zu stärken, wurden die Fächer Geologie, Geographie, Theologie, Archäologie und Slawistik gestrichen. Eine Methode, die man bislang vor allem von der Sanierung maroder Unternehmen kennt. Auch dort heißen die Schlagworte: Konzentration auf die Kernkompetenzen, internationale Positionierung, Effizienzsteigerung.

Bemerkenswert immerhin ist, dass der radikale Uni-Umbau in Mannheim keine Protestwelle hervorrief. Alle Entscheidungen fielen mit breiter Mehrheit, nicht einmal die Studenten gingen auf die Straße. Denn den Karrieren hat der Kurs der Uni bislang nicht geschadet – im Gegenteil. „Die Uni Mannheim im Lebenslauf öffnet manche Türen“, hat Anna Lutterbach erfahren, die 21-jährige Fachschaftsvorsitzende der Ökonomen.

Einer der Gründe liegt darin, dass Mannheim für seine strenge Prüfungspraxis bekannt ist. Die Durchfall-Quote in den ersten Semestern liegt zwischen 40 und 50 Prozent. Wer sich trotzdem durchkämpft, hat einen guten Wissensstandard: „Inhaltlich verlangen wir den Studenten schon einiges ab“, sagt BWL-Dekan Martin Weber. Und gute Zensuren bekommt sowieso niemand nachgeworfen, die Abschlussnoten liegen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. „Eine drei ist befriedigend, und das meinen wir auch so“, sagt Weber. Bei den Arbeitgebern kommt das gut an und mittlerweile auch in akademischen Kreisen. Gerade erst kam Mannheim bei einem Vergleich aller europäischen MBA-Programme auf den ersten Platz in Sachen Preis-Leistungsverhältnis.

Wird aber eine Universität nicht automatisch zur Business-School, wenn sie bewusst auf Humboldts Lehre von der Breitenbildung verzichtet und alles auf die BWL-Karte setzt? „Wir sind immer noch viel breiter aufgestellt als jede Business-School“, beschwichtigt Rektor Hans-Wolfgang Arndt. Kunst und Kultur hätten nach wie vor einen großen Stellenwert an seiner Uni – „aber das muss ja nicht von einem C4-Professor kommen!“ Stattdessen setzt Arndt auf Kooperationen mit dem örtlichen Kulturverein, auch eine Aktionswoche mit der Akademie der Künste hat es schon gegeben. Dass solcherlei Löschversuche einen intakten geisteswissenschaftlichen Zweig nicht ersetzen, ist ihm aber auch klar: „Dann müssen die Studenten eben nach Heidelberg gehen.“

Dafür sei Mannheim in den Sozialwissenschaften Spitze. Dass soll Thomas Gschwend beweisen, ein Vorzeige-Forscher. Sogar der Kanzler legt auf seinen Rat Wert – seit Gschwend das Bundestags-Wahlergebnis von Rot-Grün auf die Nachkommastelle genau vorhergesagt hatte, gilt er als ausgemachter Experte in Sachen Wahlprognostik. Der Mannheimer hat eine komplizierte Formel entwickelt, in die nicht nur Meinungsumfragen, sondern auch Werte wie das Stammwähler-Potenzial einer Partei und die Abnutzungserscheinungen einer Regierung einfließen. Für solche Grundlagen-Projekte ist Mannheim in Deutschland die erste Adresse, wenn man Gschwend glaubt: „Unser sozialwissenschaftliches Zentrum hier ist schon unvergleichlich!“

Das betrifft vor allem die Räumlichkeiten: Nagelneu und ganz aus Glas, Stahl und Beton ist das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES). Damit die ganze Uni irgendwann so aussieht, wie der Werbeprospekt es schon verspricht, müssen Sponsoren ran. Vor allem für die Hörsäle hat die Uni schon Millionen gesammelt. Dafür heißen die Räume jetzt KPMG oder Röchling, die kleine Aula ist zum Fuchs-Petrolub-Festsaal geworden. Bei soviel Kommerz hört aber selbst für Mannheimer Studenten der Spaß auf: Der Asta hat Protest-Flugblätter verteilt – und dann mit sarkastischem Humor reagiert: Ihren Versammlungsraum mit den staubigen Sofas haben die Studenten kurzerhand in „Rudi-Dutschke-Saal“ umbenannt.

Kilian Kirchgeßner

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