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Gesundheit: "Mir": Ein roter Stern fällt vom Himmel

In Australien blicken Menschen besorgt zum Himmel: Werden demnächst rund 50 Tonnen Weltraumschrott auf den fünften Kontinent regnen? Voraussichtlich Mitte März wollen die Russen ihre Raumstation Mir "gezielt" zum Absturz bringen - irgendwo über dem Pazifik zwischen Australien und Südamerika.

Von Rainer Kayser, dpa

In Australien blicken Menschen besorgt zum Himmel: Werden demnächst rund 50 Tonnen Weltraumschrott auf den fünften Kontinent regnen? Voraussichtlich Mitte März wollen die Russen ihre Raumstation Mir "gezielt" zum Absturz bringen - irgendwo über dem Pazifik zwischen Australien und Südamerika. Die Australier haben bereitsihre Erfahrungen mit Weltraumschrott: 1979 stürzten Teile des amerikanischen Raumlabors Skylab über dem Kontinent ab. Damals sollten die Überreste der Raumstation im Südatlantik landen. Kann man den Russen heute wirklich mehr zutrauen als damals den Amerikanern?

Ein Blick in die Vergangenheit mahnt zur Skepsis. So stürzte 1978 ein sowjetischer Spionagesatellit ab, und es regnete radioaktive Trümmer über Nordkanada. Im Februar 1991 fielen Teile des Mir-Vorgängers Saljut 7 über Argentinien vom Himmel. Fünf Jahre später ging eine fehlgeleitete russische Marssonde in den südamerikanischen Anden nieder - bis heute fehlt von den wiederum radioaktiven Trümmern jede Spur.

Im Taumel

Auch die jüngsten Pannen an Bord der russischen Uralt-Station sind alles andere als beruhigend. So brach über Weihnachten 21 Stunden lang der Funkkontakt zur Mir ab. Unkontrolliert taumelte die Station durchs All. Viel hätte nicht gefehlt, und die Solarzellen der Station hätten sich von der Sonne weg gedreht. Dann wäre die Stromversorgung zusammengebrochen, der Absturz der Station nicht mehr zu steuern gewesen. Ein gefährliches Szenario: Die Trümmer der Mir könnten irgendwo zwischen dem 52. Breitengrad Nord und dem 52. Breitengrad Süd niedergehen - eine Region, in der 85 Prozent der Weltbevölkerung leben.

Dabei gilt die sowjetisch-russische Mir eigentlich als Erfolgsmodell. Sie ist bis heute das größte künstliche Objekt im Weltraum. Erst die Internationale Raumstation (ISS)soll, mit russischer Hilfe, den Rekord brechen. Mit den Erfahrungen von insgesamt sechs "Saljut"-Stationen bestens gewappnet, begann die Sowjetunion 1986 mit dem Aufbau der Mir. Erstmals wurde damit eine Raumstation in der Umlaufbahn aus mehreren Modulen zusammengebaut. Insgesamt fünf Bauteile mit wissenschaftlichem Gerät fügten sich bis 1996 aneinander.

Rund 23 000 Experimente machten die Kosmonauten im Verlauf von 14 Jahren an Bord der Mir. Das Spektrum reichte von Versuchen zum Wachstum von Kristallen und zur Herstellung von Halbleitermaterialien über Experimente mit Proteinen, Viren und Bakterien, medizinischen Tests mit Kosmonauten als Versuchskaninchen bis hin zu astrophysikalischen Beobachtungen kosmischer Röntgenquellen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges, dem die Mir als sowjetisches Prestigeobjekt letztlich ihre Existenz verdankt, öffnete die Sowjetunion die Raumstation auch für westliche Forschungsprojekte - gegen harte Devisen für die marode russische Raumfahrtindustrie. Diese Investition habe sich gelohnt, meint Hans Gronert-Marquardt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Unsere Forscher waren mit den Ergebnissen ihrer Experimente in den Material- und Lebenswissenschaften sehr zufrieden." Befreit von der Schwerkraft konnten Versuche gemacht werden, die auf der Erde nur für jeweils wenige Sekunden in Falltürmen oder bei Sturzflügen in Spezialflugzeugen möglich sind. Und dem Westen stand bis zur Öffnung der Mir keine vergleichbare Plattform im All zur Verfügung.

So analysierten Wissenschaftler beispielsweise 1999 in deutsch-französischer Zusammenarbeit die Erstarrung von Metalllegierungen. Auf der Erde kommt es dabei durch die Schwerkraft stets zu einer störenden Entmischung leichter und schwerer Stoffe. Gerade dieser Versuch ist für DLR-Forscher Rainer Forke ein Beispiel dafür, wie nützlich die Anwesenheit von Menschen im All sein kann. "Der Versuchsofen befand sich insgesamt sechs Jahre im All. die Kosmonauten konnten Fehler beseitigen und das Experiment auf neue Anforderungen umstellen."

Stört der Mensch?

Doch trotz aller Erfolge der Mir verstummen nicht jene kritischen Stimmen, für die eine menschliche Besatzung nur ein Stör- und Kostenfaktor ist. Denn bemannte Raumflüge sind allein wegen der erheblich höheren Sicherheitsstandards wesentlich teurer als automatische Missionen. "Viele Sachen lassen sich natürlich automatisieren", gesteht Gronert-Marquardt ein. "Doch wenn mal etwas schief geht, dann ist der Mensch gefragt."

Wie im irdischen Labor, so musste auch beim Experimentieren an Bord der Mir nicht jede Einzelheit im Voraus geplant werden: Abhängig von den Ergebnissen konnten gezielt Umbauten an den Versuchseinrichtungen vorgenommen werden. Die regelmäßigen Versorgungsflüge machten es außerdem möglich, ohne großen Planungsaufwand neue Zusatzgeräte oder Ersatzteile für Experimente nachzuliefern. Kein Wunder, dass die Menschen in Russland stolz auf die Mir-Station sind und ihrem Ende mit gemischten Gefühlen entgegen sehen.

In einer Fernsehdiskussion Anfang Februar mahnte der ehemalige Kosmonaut Georgy Gretschko energisch, zumindest Teile der Station abzukoppeln und bei der ISS wiederzuverwenden. Und am 21. Februar forderte das russische Parlament Präsident Putin mit überwältigender Mehrheit auf, die Zerstörung der Mir zu stoppen. Doch wie nicht zuletzt die zahlreichen Pannen in den letzten Jahren gezeigt haben, ist die Mir überaltert. Eine Reparatur käme teurer als ein kompletter Neubau der Station.

Daran aber ist nicht zu denken. Das knappe Budget der russischen Raumfahrtbehörde reicht kaum aus, um den Verpflichtungen beim Bau der ISS nachzukommen. So wird die Mir wohl in einigen Wochen mit den Antriebsdüsen einer im Januar angekoppelten Progress-Rakete aus ihrer Umlaufbahn geschoben und in die Atmosphäre bugsiert.

130 Tonnen wiegt die Raumstation. 80 Tonnen davon verglühen, haben die Experten errechnet. Die restlichen 50 Tonnen fallen auf die Erde - darunter vermutlich Stücke von der Größe eines Autos. Angepeilt ist ein Gebiet von 5000 Kilometern Länge und 500 Kilometern Breite - genauer geht es nicht, denn durch die Sonnenaktivität kann die Dichte und damit die Reibung in der Atmosphäre auf wenig vorhersehbare Weise schwanken. Erst während des Absturzes wird es deshalb Klarheit darüber geben, wo die Trümmer wirklich herunter kommen.

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