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Gesundheit: Moas: Die Ahnen der Riesenstrauße

Vögel haben sicherlich nur einmal das Fliegen gelernt. Zumindest einige ihrer Nachfahren aber haben es sich später offenbar wieder anders überlegt: Sie gaben just jene Eigenschaft wieder auf, die einst ihren evolutiven Erfolg bestimmte.

Vögel haben sicherlich nur einmal das Fliegen gelernt. Zumindest einige ihrer Nachfahren aber haben es sich später offenbar wieder anders überlegt: Sie gaben just jene Eigenschaft wieder auf, die einst ihren evolutiven Erfolg bestimmte. So haben etwa Straußenvögel ihre Flügel im Verlauf der Evolution zu Stummeln reduziert. Ein tödlicher Irrtum der Evolution, könnte man vermuten, wenn man sich das Schicksal der ausgestorbenen Moas ansieht: Vor 700 Jahren starben diese riesigen, flugunfähigen Strauße auf Neuseeland aus.

Wenngleich Moas damit Geschichte sind, gelang es einem internationalen Team von Vogelkundlern und Molekularbiologen jetzt, das komplette Genom der in den Mitochondrien gespeicherten Erbinformation der Moas zu entziffern. Damit ebnet die Molekularbiologie diesmal zwar nicht den Weg zur Börse. Sie öffnet aber einmal mehr ein Fenster zur Evolutionsforschung.

Dank des entschlüsselten Moa-Genoms wird nicht nur die bisherige Vorstellung zur Verwandtschaft sämtlicher Straußenvögel korrigiert - und die Frage beantwortet, wie flügellose Moas und die ebenfalls flugunfähigen Kiwis einst nach Neuseeland gelangten. Zugleich erlaubt der umfangreiche Datensatz aus dem Genom von Moa, Kiwi und Strauß auch Einblick in die ungewöhnliche Welt auf dem Urkontinent Gondwana am Ende der Kreidezeit, als auch Dinosaurier noch nicht Geschichte waren.

Die bis zu fünf Meter großen Moas von Neuseeland sind nicht die einzigen flugunfähigen Giganten. Auf Madagaskar kamen einst bis zu drei Meter große und vermutlich etwa 500 Kilo schwere flugunfähige Riesenstrauße vor. Schon Eier wogen bis zu 10 Kilo. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts starben diese Riesenstrauße aus.

Die Madagaskar-Strauße wurden zusammen mit den Moas von Neuseeland lange für die nächsten Verwandten der ebenfalls auf Neuseeland lebenden, hühnergroßen Kiwis gehalten. Während die Moas ausstarben, überlebten die nachtaktiven Kiwis - das Wappentier der Neuseeländer.

Knochen der mächtigen Moas hatte man zunächst in Höhlen entdeckt. Weitgehend unbeachtet verstaubten sie in zahlreichen Museumssammlungen, bis Alan Cooper sie zu neuem Leben erweckte. Cooper gelang es, aus bis zu 3000 Jahre alten Moa-Knochen Erbmaterial zu gewinnen. Da die Überreste der Moas in trockenen Höhlen auf natürliche Weise mumifizierten, wurde in den Knochen auch die sehr empfindliche Nukleinsäure konserviert.

Erstmals 1992 konnte Cooper, damals noch an der Universität in Wellington, kleine Fragmente der mitochondrialen Erbsubstanz DNS ausgestorbener Moas isolieren und deren Sequenz bestimmen. Für eine sichere DNS-Analyse reichten diese Bruchstücke noch nicht aus. Also machte Cooper sich auf die erneute Suche.

Die wissenschaftliche Detektivarbeit steht in einem breiten Kontext. Zoologen glaubten lange, dass die Moas nahe mit dem afrikanischen Strauß, dem Nandu oder Rhea der südamerikanischen Pampa sowie den australischen Laufvögeln Kasuar und Emu verwandt sind. Aufgrund ihres Knochenbaus im Schädel und eines fehlenden Brustbeinkammes werden die Straußenvögel unter der Bezeichnung "Ratiten" zusammengefasst. Einige Forscher vermuteten, dass die Ahnen der Ratiten erst vor 50 bis 60 Millionen Jahren gelebt haben. Andere hielten Straußenvögel für Ur-Opas und schätzten sie auf mehr als 80 Millionen Jahre.

Als sicher gilt, dass Moas und Kiwis dank der Insellage ähnlich geschützt vor Konkurrenz und Feinden waren, wie die Beuteltiere in Australien. So konnten sich auf Neuseeland mehr als elf verschiedene Moa-Arten entwickeln. Ihre Bestände schrumpften und verschwanden schließlich ganz, als Neuseeland von den Ureinwohnern, den Maori, besiedelt wurde. Um der Geschichte der Moas noch ein weiteres Rätsel hinzuzufügen: Es gilt als umstritten, ob die Maori tatsächlich wesentlich zum Aussterben der Moas beitrugen oder ob diese evolutiv bereits auf dem absteigenden Ast waren.

Das Team von Alan Cooper analysierte jetzt das mit 16 997 Basenpaaren komplette ringförmig angeordnete Genom der Mitochondrien der beiden ausgestorbenen Moas Emeus crassus und Dinornis giganteus. Diese verglichen sie mit einer etwa 1000 Basenpaare umfassenden Sequenz der auf Madagaskar ausgestorbenen Riesenstrauße und mit der Erbsubstanz aller heute lebenden Straußenvögel. Das Ergebnis: Kiwis sind nicht so eng mit den Moas verwandt, wie man lange dachte. Vielmehr stehen die kleinen Schnepfenstrauße den australischen und afrikanischen Straußen näher.

Dagegen haben sich die Moas schon recht früh in der Evolution von den altweltlichen Laufvögeln getrennt. Am ursprünglichsten erscheint der südamerikanische Nandu oder Rhea: Seine Ahnen müssen sich vermutlich vor 90 Milionen Jahren auf dem einstigen Südkontinent von allen übrigen Straußenvögeln isoliert haben.

Hinter dieser Familienchronik verbirgt sich ein bewegendes Kapitel Erdgeschichte. Heute wissen Biogeografen und Geologen, dass sich der Atlantik vor rund 120 Millionen Jahren zwischen den Kontinenten Afrika und Südamerika von Süden her zu öffnen begann. Ähnlich wie bei einem Reißverschluss wanderte diese Öffnungszone aufgrund von plattentektonischen Vorgängen im Laufe der späteren Erdgeschichte immer weiter nach Norden.

Der Atlantik wurde so im Erdmittelalter allmählich zu einem Ozean. Die Kontinente, die zuvor noch in der großen Landmasse namens Gondwana zusammenhingen, entfernten sich voneinander. Geologen nehmen an, dass zuletzt vor 80 Millionen Jahren noch eine Landverbindung zwischen Afrika und Südamerika bestand. Danach waren die landlebenden Tiere beider Kontinente endgültig voneinander getrennt.

Durch das Aufbrechen der Landmasse Gondwana könnten auch die südamerikanischen Nandus und die afrikanischen Strauße den evolutiven Kontakt zueinander verloren haben. Wie viele andere Tier- und Pflanzenarten beidseits des neuen Ozeans auch, durchliefen die Straußenvögel fortan auf jedem Kontinent ein ganz unterschiedliches evolutives Schicksal - was sich noch heute in ihrer Erbsubstanz widerspiegelt.

Wenn aber auch Moas und Kiwis gar nicht so nahe miteinander verwandt sind, wie bislang angenommen, dann dürften flugunfähige Vögel gleich mehrfach unabhängig voneinander die Inseln Neuseelands besiedelt haben. Demnach hätten sowohl die Ahnen der Moas als auch der Kiwis zweimal unabhängig voneinander ihr Flugvermögen erst auf Neuseeland verloren.

Moas repräsentieren dabei auf Neuseeland eine frühe Besiedlungswelle vor über 80 Millionen Jahren, während die Kiwis erst in geologisch jüngerer Zeit - vor etwa 65 bis 72 Millionen Jahren - dorthin gelangt sind. Kiwis wären demnach Spätankömmlinge. Ihre vermutlich durchaus noch flugfähigen Vorfahren könnten die Insel auf dem Luftweg erreicht haben. Und nicht etwa Afrika, sondern die Region des heutigen Australiens ist demnach die Urheimat der Straußenvögel. Cooper vermutet, dass sowohl der afrikanische Strauß als auch die Riesenstrauße von Madagaskar von ur-australischen Ahnen abstammen.

Auf Neuseeland haben inzwischen vom Menschen eingeschleppte Ratten oder Hunde die Kiwis an den Rand des Aussterbens gebracht. Zumindest langfristig erweist sich die Reduktion der Flügel und die Aufgabe der Flugfähigkeit als keine dem Überleben sonderlich förderliche Entwicklung. Wer unter den Vögeln die Flügel ablegt, so scheint es, den bestraft die Naturgeschichte - wenn auch spät.

Matthias Glaubrecht

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