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Gesundheit: Nach dem Studium wartet der Schuldenberg

BAFöG-Empfänger sind von den Eltern unabhängig.Aber immer weniger kommen in den Genuß dieses zinslosen Staats-DarlehensVON JOSEFINE JANERTNein, eine Schnäppchenjägerin ist Anja Schmidt (Name von der Redaktion geändert) nicht.

BAFöG-Empfänger sind von den Eltern unabhängig.Aber immer weniger kommen in den Genuß dieses zinslosen Staats-DarlehensVON JOSEFINE JANERTNein, eine Schnäppchenjägerin ist Anja Schmidt (Name von der Redaktion geändert) nicht."Wenn ich mir einen Pullover für zwanzig Mark kaufe und der läuft bei der ersten Wäsche ein, dann habe ich dabei gar nichts gewonnen", sagt sie, nippt am billigen Mensa-Kaffee und erläutert ihr Finanzkonzept.Von den 905 Mark BAFöG gehen schon 400 Mark für die Miete drauf.Sechs Stunden pro Woche jobbt Anja, die an der Humboldt-Universität Jura studiert, als Mädchen für alles in einer Rechtsanwaltskanzlei.Die 200 Mark pro Monat, die sie zur Prüfungsvorbereitung in ein Repetitorium investiert, bekommt sie von ihren Eltern."Sie bezahlen es von meinem Kindergeld", sagt sie."Mehr können sie mir wirklich nicht geben.Extraausgaben für ihr Hobby, die Malerei, muß sie auf die Zukunft verschieben.Auch der letzte Urlaub liegt schon zwei Jahre zurück.Ein schöner Abend mit Kino, Konzert und Kneipe ist nur ein paar Mal pro Monat drin."Ich leiste mir eigentlich zuviel", sagt sie traurig."Es fällt mir schwer, das Geld einzuteilen." Rund drei Mark pro Tag fürs Mensaessen, Umweltkarte im Abonnement, Kino möglichst nur am Kinotag.Und doch reicht es hinten und vorne nicht. Anja Schmidt gehört zu einer Spezies, die Deutschland-weit im Aussterben begriffen ist.Diese tapferen Lebenskünstler nennen sich BAFöG-Empfänger und machen in Berlin rund 18 Prozent der Studenten aus."Die Förderungsquote ist in Ost-Berlin insgesamt höher", sagt Andreas Brickwell vom Amt für Ausbildungsförderung.Landesweit liegt sie bei 15 Prozent, in westdeutschen Großstädten wie Frankfurt am Main nur noch bei 7,5 Prozent.Laut einer Befragung des Deutschen Studentenwerks erhielten noch 1994 rund die Hälfte der in Ost-Berlin und knapp 23 Prozent der in West-Berlin Immatrikulierten Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz.1991 waren es in Ost- Berlin sogar 92 Prozent. Daß die Zahl der BAFöG-Empfänger so dramatisch gesunken ist, hängt auch mit den Tücken des Gesetzes zusammen.Und die kapiert so schnell keiner."Das Leben ist teurer geworden", sagt Beate Kammer von der unabhängigen BAFöG-Beratung beim AStA der Freien Universität."Die Freibeträge für das Einkommen der Eltern sind so niedrig." Obwohl die Zahl der BAFöG-Empfänger in Berlin zurückgegangen ist, wird die BAFöG-Beratung der Studentenvertretung häufig in Anspruch genommen.Viele Studenten wollen sich mehrfach rückversichern, bevor sie mit dem Amt verhandeln.Ist die Begründung für den Studienfachwechsel korrekt formuliert? Gefährde ich mein BAFöG mit einer bestimmten Angabe im Antrag? Beate Kammer sagt, daß sie "viel mehr Aufbauarbeit als früher" leisten muß: "Viele haben Schuldgefühle, weil ihr Studium so lange dauert", berichtet sie."Aber sie können nichts dafür, weil die Seminare einfach überfüllt sind." Anja Schmidt, die demnächst ihr erstes Staatsexamen ablegen will, sieht sich mitten in der Prüfungsvorbereitung mit dem baldigen Ende der Förderungshöchstdauer konfrontiert.Sie erwägt, nach dem Ablauf der BAFöG-Zahlungen ein Bankdarlehen in Anspruch zu nehmen.Das ist seit einigen Monaten möglich, bringt aber weitere Schwierigkeiten mit sich.Wer sich ein Jahr lang den aktuellen Höchstsatz von 995 Mark auszahlen läßt, steht danach mit mehr als 12 000 Mark Schulden da.Im Unterschied zum normalen BAFöG, das erst Jahre nach dem Studienabschluß unverzinst abgegolten wird, muß das Bankdarlehen schon sechs Monate nach dem Examen zurückgezahlt werden - zu einem Zinssatz von 4,55 Prozent und in monatlichen Raten von 200 Mark.Und wer hat schon ein halbes Jahr nach dem Abschluß einen so gut bezahlten Job, daß er derartige zusätzliche finanzielle Belastungen locker bewältigen kann? Beate Kammer hat beobachtet, daß das Bankdarlehen vor allem von Ausländern und anderen sozial benachteiligten Menschen in Anspruch genommen wird.Laut Andreas Brickwell greifen gegenwärtig zwischen 600 und 800 Berliner Studenten auf diese Form der Abschlußfinanzierung zurück.Die Alternative besteht im zeitraubenden Nebenjob oder einer Finanzspritze von anderer Seite. Oder in einem Lottogewinn.Silke B., die an der Technischen Universität Musikwissenschaft studiert, bekommt vom BAFöG-Amt knapp 600 Mark.Ihre Eltern, die beide als Landwirte tätig sind, bezahlen ihr das Zimmer in der Wohngemeinschaft.Es kostet 530 Mark, "aber dafür wohne ich gleich neben der Uni und spare die Ausgaben für die Umweltkarte." In der Stadt ist sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs.Zum letzten Wintersemester wechselte Silke von Oldenburg nach Berlin.Ihr BAFöG-Antrag, den sie im Oktober beim hiesigen Amt abgegeben hatte, wurde erst zu Weihnachten positiv beschieden.Es dauerte etliche Wochen, bis die Akte aus Norddeutschland nachgeschickt wurde und alle Nachfragen beantwortet waren.In der Zwischenzeit lebte sie von dem, was ihr die Eltern liehen, und vom Geld, das sie durch ihre Jobs sparen konnte.Laut Andreas Brickwell dauert die Bearbeitung eines BAFöG-Antrags vier bis sechs Wochen - wenn alle Unterlagen rechtzeitig vorliegen.Einmal pro Jahr muß mit den aktuellen Einkommensnachweisen ein neuer Antrag gestellt werden."Das kostet Zeit", kritisiert Silke."Warum reicht es nicht, wenn ich den Steuerbescheid meines Vaters einreiche und dem Amt mitteile, daß ich umgezogen bin?" Statt dessen füllt sie immer aufs neue einen wahren Wust an Formularen aus.Unter ihren Kommilitonen gilt sie damit als Exotin."Ach, du kriegst noch BAFöG?", bekommt sie dann zu hören.Bei den Protesten gegen die Hochschulmisere spielten die Probleme der BAFöG-Empfänger kaum eine Rolle.Sie habe schon oft überlegt, ob es nicht "von Nachteil ist, mit einem Schuldenberg ins Berufsleben zu starten.Ich bin froh, daß ich von meinen Eltern finanziell halbwegs unabhängig bin." Das BAFöG-Amt in der Behrenstraße 40 (Telefon 202 450) ist dienstags 10 bis 13 Uhr, donnerstags 13 bis 16 Uhr und im ersten Monat nach Semesterbeginn zusätzlich freitags 10 bis 13 Uhr geöffnet.

JOSEFINE JANERT

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