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Gesundheit: Nobelpreise werden heute durch Teamarbeit errungen - die Förderung von einzelnen Genies reicht nicht

Es scheint, als sei den Deutschen kein Sieg ohne Wermutstropfen mehr vergönnt. Für die Fußball-Europameisterschaft haben sie sich mit einem peinlichen 0 : 0 gegen die Türkei gerade noch qualifiziert.

Es scheint, als sei den Deutschen kein Sieg ohne Wermutstropfen mehr vergönnt. Für die Fußball-Europameisterschaft haben sie sich mit einem peinlichen 0 : 0 gegen die Türkei gerade noch qualifiziert. Schumis sportliche Geste in Malaysia soll wegen eines zu großen Windabweisers umsonst gewesen sein. Und jetzt wollen böse Buchhalterseelen auch noch den Medizin-Nobelpreis des Günter Blobel nicht dem deutschen Konto gutschreiben, nur weil er den Großteil seines Lebens in den USA geforscht hat.

Doch Deutschland hat es nicht besser verdient, zumindest was den Nobelpreis angeht. Blobel hat seine bahnbrechenden Arbeiten an der Rockefeller-Universität in New York gemacht. Wie die meisten international herausragenden Naturwissenschaftler deutscher Abstammung hat er sein technisches und intellektuelles Handwerkszeug großenteils in Amerika erworben. Der Titel "i. A. g." - in Amerika gewesen - ist immer noch einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für deutsche Forscherkarrieren. Der stetig sinkende deutsche Anteil an international zitierten Publikationen und wirtschaftlich relevanten Patenten unterstreicht: Hier zu Lande ist vieles überholungsbedürftig.

Über die Diagnose sind sich die Experten einig. Die Vorstellungen über die richtige Therapie gehen dagegen auseinander. Zweifelsohne hat der Zweite Weltkrieg zum Ende der glorreichen Zeit beigetragen, in der die Deutschen in den Naturwissenschaften weltweit tonangebend waren und die Einstein, Heisenberg, Hahn, Koch, Bosch und Butenandt in Stockholm die begehrten Preise abräumten. Ein halbes Jahrhundert nach dem Exodus der jüdischen Wissenschaftselite reicht dies aber nicht mehr aus als Begründung für den amerikanischen Vorsprung. Deutschlands Problem ist: Die Methoden der Wissenschaft haben sich fundamental geändert und ändern sich weiter, das deutsche Wissenschaftssystem aber ist in weiten Teilen das alte geblieben.

In den USA arbeiten längst kleine, dynamische Arbeitsgruppen in vernetzten Instituten, die von einem professionellen Manager und einem - oft unter 40-jährigen - wissenschaftlichen Direktor gemeinsam geleitet werden. Wer eine gute Idee hat, kann innerhalb kürzester Zeit die Größe und Ausstattung seiner Forschungsgruppe vervielfachen; an der kommerziellen Verwertung der Forschungsergebnisse verdienen die Wissenschaftler kräftig mit. Im Gegensatz zu den Zeiten von Otto Hahn und Lise Meitner ist es nicht mehr die Verfügbarkeit von Spezialgeräten, etwa für die Untersuchung der Kernspaltung, die den wissenschaftlichen Vorsprung sicher. Heute können sich in den meisten Disziplinen viele ein erstklassiges Forschungslabor einrichten. Mit einem guten Team ist die Konkurrenz dann oft schnell abgehängt. Deshalb sind in amerikanischen Spitzenlaboratorien neben der fachlichen Qualifikation neuerdings soziale Eigenschaften wie die Fähigkeit zur Teamarbeit oder Organisationstalent gefragt.

Dagegen basiert unser deutsches System noch auf dem überalterten Prinzip, einen einzelnen Genius möglichst komfortabel mit Personal und Laboren auszustatten und ihn dann lebenslang in Ruhe zu lassen. Um eines Tages vielleicht in den Kreis der unantastbaren Max-Planck-Direktoren und C-4-Professoren aufgenommen zu werden, müssen Doktoranden und Habilitanden zunächst einmal ein Jahrzehnt ihrer kreativsten Lebenszeit in wissenschaftlicher Unselbstständigkeit, beruflicher Abhängigkeit und wirtschaftlicher Armseligkeit verbringen. Wer dann mit Vierzig bei der - alles andere als objektiven - Vergabe der begehrten Lebenszeitstellen leer ausgeht, hat aufgrund der geringen horizontalen Durchlässigkeit des Systems kaum noch Chancen, in der Industrie einen guten Posten zu bekommen.

Angesichts dieser Aussichten nimmt es nicht Wunder, dass viele hochbegabte Wissenschaftler ins Ausland abwandern oder ihre Karriere ganz abbrechen, um sich als gut bezahlte Unternehmensberater oder Manager ein Umfeld zu suchen, in dem auch ihre soziale Kompetenz belohnt und gefördert wird. Verübeln kann man ihnen diese Entscheidung nicht, auch wenn Deutschland damit der eine oder andere Nobelpreis verloren geht.Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Alexander S. Kekulé

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