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Gesundheit: Nur noch per Sonde

Wenn schwer verwirrte Patienten nicht mehr essen und trinken wollen

Ines Meyer steht vor einer schwierigen Entscheidung: Soll sie ihre Zustimmung dazu geben, dass bei ihrer 85-jährigen Mutter eine Magensonde gelegt wird? Die Mutter ist zunehmend geistig verwirrt und liegt seit einem eigentlich harmlosen Sturz in einem Pflegeheim im Bett. Doch dann begann sie, schon nach wenigen Bissen mit dem Essen aufzuhören. Das Trinken vergaß sie immer wieder. Nun will sie überhaupt nicht mehr essen und trinken.

Frau Meyer ist seit zwei Wochen vom Gericht als Betreuerin ihrer Mutter eingesetzt. Nun konfrontieren sie Ärzte und Pflegepersonal mit der Frage, ob sie einer „perkutanen endoskopischen Gastrostomie“ (PEG) zustimmen würde. Der Eingriff ermöglicht es, Sondennahrung per Schlauch direkt von außen in den Magen einzuführen. Das stört weniger als eine Sonde, die durch Nase oder Mund eingeführt wird, deshalb kann die PEG länger liegen bleiben. Zahlreiche Patienten mit Schluckstörungen, aber auch Menschen, die im Wachkoma liegen, werden heute auf diese Weise versorgt. Sind die Betroffenen selbst nicht zustimmungsfähig, muss der bestellte Betreuer dem Eingriff zustimmen.

Eines ist sicher: Ohne Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen, könnte auch die alte Dame nicht lange leben. Darf man das zulassen? Kann das ausgerechnet ihre Tochter verantworten? Andererseits fragt sich die Tochter auch, ob ihre Mutter mit der Weigerung, Nahrung zu sich zu nehmen, nicht trotz ihrer Verwirrtheit ihren eigenen Willen zum Ausdruck bringt, den man ernst nehmen muss. Die Ärzte erzählen ihr außerdem, dass verwirrte Patienten sich die Sonden immer wieder unwillig herausreißen.

Sollten Alzheimerkranke und andere Demenzpatienten mit einer PEG versorgt werden? Ärzten und Angehörigen, die sich mit dieser heiklen Frage herumschlagen, könnten die Ergebnisse einer Studie nun bei der Entscheidung helfen. Ernährungsmediziner des Veterans Affairs Medical Centers in Washington haben herausgefunden, dass verwirrte Patienten, denen eine PEG gelegt wurde, danach nicht länger leben als eine andere Gruppe, bei der das nicht geschah. Sie veröffentlichten diese Beobachtung kürzlich in den „Archives of Internal Medicine“.

Die Mediziner verfolgten für ihre Untersuchung das Schicksal von 41 schwer Demenzkranken von dem Zeitpunkt an, an dem eine PEG in Betracht gezogen wurde. Bei 23 Kranken wurde die Sonde gelegt, in 18 Fällen lehnten die Betreuer dies ab. Bei beiden Gruppen betrug die durchschnittliche Überlebenszeit zwei Monate. „Künstliche Ernährung scheint das Leben von Demenzkranken nicht zu verlängern", schließen die Forscher.

Nur ein Patient starb bald nach dem Legen der Sonde an einer schweren bakteriellen Infektion. Doch es gibt bei künstlicher Ernährung andere Komplikationen: Zum Beispiel passiert es, dass den im Bett liegenden Patienten die Nahrung, die oft reichlich fließt, aufstößt. Wenn sie in die Atemwege gelangt, steigt die Gefahr einer Lungenentzündung. Diese Erkrankung ist ohnehin eine der hauptsächlichen Todesursachen in einem schweren Stadium der Demenz.

Für Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige erscheint es oft unannehmbar, hilflos zuzusehen, wie ein Kranker verhungert. Und das, obwohl die moderne Medizin technische Möglichkeiten bereitstellt, um diesem Zustand abzuhelfen. Doch schon länger wird diskutiert, ob der Begriff „Verhungern“ überhaupt eine Situation zutreffend beschreibt, in der ein Mensch ohne Schluckbeschwerden oder andere Hindernisse die Nahrungsaufnahme verweigert. Denn es ist unwahrscheinlich, dass er zu diesem Zeitpunkt überhaupt Hungergefühle empfindet. Die neue Studie belegt nun erstmals, dass eine gängige Maßnahme zur künstlichen Ernährung bei schwer Demenzkranken ihrem Zweck nicht dient.

Eine ganz andere Frage ist aber, ob zuvor wirklich genug Anstrengungen unternommen wurden, um die Patienten zum Essen und Trinken zu bewegen. Die Zeit, die man braucht, um geduldig zu füttern oder persönliche Vorlieben zu ermitteln, können sich Pflegekräfte in den Heimen angesichts der dünnen Personaldecke oft nicht nehmen. Dabei kann man im Einzelfall einiges tun, um Kranke zum Essen zu verlocken. Auf einer spannenden Internetseite kritisiert der Pfleger und Buchautor Christian Kolb, dass künstliche Ernährung oft zu schnell als bequemer Ausweg gewählt wird, der das Gewissen von Angehörigen und Pflegern beruhigt.

Die Namen der Patientin und ihrer Tochter wurden von der Redaktion geändert.

Die Internetseite des Pflegers Christian Kolb ist zu finden unter:

www.nahrungsverweigerung.de

Sein Buch „Nahrungsverweigerung bei Demenzkranken“ (84 Seiten, 12Euro90) ist im Mabuse-Verlag erschienen.

Adelheid Müller-Lissner

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