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Gesundheit: „Personenkult wie in Japan“

Wissenschaftler aus aller Welt tourten durch Deutschland und beobachteten den Bundestagswahlkampf

Von Juliane von Mittelstaedt

Sie sind Beobachter. Sie haben Schröder gesehen, auch Stoiber, Fischer und Westerwelle, mit dem Wahlforscher Jürgen Falter diskutiert und Beethovens Fidelio gehört. Sie sind kreuz und quer durch die Republik gereist, von Bonn nach Berlin, von der Frauenkirche bis zur Bayrischen Staatskanzlei, von Hartz nach Hamburg, von der „Zeit" bis zur „Süddeutschen Zeitung". Sie haben alle Parteiprogramme gelesen und prominenten Politikwissenschaftlern gelauscht. Kurz: Sie haben sich informiert wie kaum ein Wähler, werden aber nicht selbst wählen.

Die Rede ist von zwölf Deutschland-Experten aus aller Welt, von Polen bis Indonesien. Zum achten Mal seit 1976 lud der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ausländische Wissenschaftler ein, um zwölf Tage lang die Bundestagswahl „mit dem Blick von außen" aufs Korn zu nehmen. Ein Blick, der nicht durch die rot-grüne oder schwarz-gelbe Brille fällt, sondern sachlicher abschätzen und werten soll. Distanziert und gleichzeitig dicht dran. Die Externen waren für zwölf Tage mitten im Wahlkampf und lernten Diskurse, Bedürfnisse, Probleme sowie Parteien in Deutschland kennen. Dieses Bild nehmen sie mit nach Hause.

Und was sah und hörte die Expertengruppe auf ihrer Deutschlandtour? Wenig Unterschiede, wenig Neues, noch weniger Visionen. So fasst es Ignas Kleden, bekanntester Soziologe und reformerischer Vordenker Indonesiens zusammen. „Mehr Schein als Substanz", bescheinigt er dem Kanzler wie dem Herausforderer. „Besonders vermisse ich, dass im Wahlkampf kein einziges Wort zum Nord-Süd-Verhältnis gesagt wurde." Im Zeitalter der Globalisierung habe er mehr erwartet als eine traditionelle Tinktur.

Auch der Politikwissenschaftler und Germanist an der Universität Tokio, Yuichi Morii, wundert sich – vor allem darüber, dass man im bevölkerungsreichsten Mitgliedsstaat der Europäischen Union von dieser Union nicht spricht: „Es ist komisch, dass die Zukunft der EU und die Osterweiterung gar keine Rolle im Wahlkampf gespielt haben." Er hört in Deutschland eine antiamerikanische Tonlage, die das Erbe der „uneingeschränkten Solidarität" antritt. Als rot-grünen Stimmenfang, beurteilen Morii und die anderen Beobachter das.

Parteien und Programme haben dagegen aus ihrer Sicht eine geringere Rolle gespielt als erwartet. „Aber Personalisierung findet hier genauso statt wie in Japan, wo wir unsere Kandidaten direkt wählen." Negativ sehe er das nicht. Während in Deutschland Personenkult und Spaßkultur eher im Ruf des geistig-politisch Seichten stehen, sei dies in Japan Voraussetzung für den Wahlerfolg. Anders in den Niederlanden, berichtet Ton Nijhuis, wissenschaftlicher Direktor des Amsterdamer Deutschland-Instituts: „Bei uns gibt es mehr Programm-Wahlkampf." Sein Eindruck ist, dass „sehr viel gestritten wird, aber keiner weiß: worum eigentlich". In den Niederlanden werde mehr sachlich und technokratisch diskutiert. Man suche die Gemeinsamkeiten. „Aber in Deutschland werden schon die kleinsten Unterschiede zu einer unüberbrückbaren Kluft aufgebauscht." Unterschiedlicher Stil bei thematischer Tuchfühlung, schildert es der Politologe Leonid Ionin. „Schröder ist populistischer, Stoiber kompetenter."

Ob dem Regierungswechsel auch ein Politikwechsel folgen würde? Keinesfalls, schüttelt Nijhuis den Kopf. „Die Umsetzung von Themen in konkrete Vorschläge fehlt beiden Seiten völlig." Daher erwarte man in den Niederlanden wenig vom Reformgetöse des Nachbarn: „Es wird sich nichts ändern, egal ob Schröder oder Stoiber Kanzler ist." Denn beide hätten im Wahlkampf schmerzfreie Veränderungen suggeriert, aber: „Wir Holländer wissen, das funktioniert nicht." Froh ist er, dass die Zuwanderung im Wahlkampf nicht polemisch ausgeschlachtet wurde.

Klarer Favorit Schröder

Zum Wahlbeobachterprogramm gehörten auch die Rededuelle zwischen Kandidat und Kanzler. Erkenntnisgewinn: Überschaubar. Sieger Schröder? Nijhuis wundert sich und hätte eher auf Stoiber getippt. Auf Wahlkampfveranstaltungen hat der Amsterdamer den Kandidaten und den Kanzler kennen gelernt. Stoiber wirke distanzierter, Schröder jovialer, urteilt er. Wählen würde er – vielleicht auch deswegen – Schröder, da ist er sich mit seinen asiatischen Kollegen einig. Auch Soledad Loaeza, Publizistin und Professorin für Internationale Beziehungen aus Mexiko, findet Schröder sympathischer. „Aber meine ganz große Entdeckung ist Joschka Fischer", sagt sie mit leuchtenden Augen. Er repräsentiere ein frisches, modernes Deutschland, ganz im Gegenteil zu Edmund Stoiber. Der verkörpere eher den stereotypen Deutschen, wie ihn sich die Mexikaner vorstellen: bieder, fleißig, korrekt.

Während fast alle zwölf Wahlbeobachter Gerhard Schröder favorisieren, verteidigt Leonid Ionin dessen Widersacher. Für ihn hat Stoiber die besseren Karten, während Schröder durch über vier Millionen Arbeitslose, Konjunkturflaute und Reformstau niedergedrückt werde. „Die Zeit spielt für Stoiber." Würde erst in einer Woche gewählt, dann hätte der Bayer die Nase vorn. Flut vergessen, Frust wieder da. Aber egal, wie es ausgeht: „Das deutsch-russische Verhältnis wird sich nicht ändern, deswegen interessiert sich bei uns auch kaum jemand für den hiesigen Wahlkampf."

Einen Tipp haben die Wahlbeobachter und die Organisatoren vom DAAD bereits letzten Mittwoch abgegeben: Zwölf zu drei für Gerhard Schröder. Aber wetten will, wie immer in diesem Wahlkampf, keiner.

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