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Gesundheit: Pille oder Couch

Wie lassen sich Angststörungen und Depressionen am besten behandeln? Experten streiten

Was hilft besser bei krankhaften Verstimmungen wie Depressions- und Angstzuständen: Arzneimittel oder Psychotherapie? Pille oder Couch – zwei verschiedene Ansätze stehen den Ärzten zur Verfügung, um einer Seele in Not zu helfen.

Das Für und Wider beider Therapiemethoden diskutierten nun in Berlin Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen. Das Streitgespräch fand bem 25. Europäischen Kongress für psychosomatische Forschung statt.

Dabei hat die Erforschung der Seele in den letzten Jahrzehnten einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht. Einerseits begreift man die Mechanismen des Zusammenwirkens von Körper und Psyche immer besser. So hat man herausgefunden, auf welchen Wegen Stress und Ärger das Herzinfarktrisiko steigern. Wie Andrew Steptoe (University College London) berichtete, werden bei psychischer Dauerbelastung entzündungsfördernde Zytokine vermehrt ausgeschüttet, die Durchblutung wird gestört, die Neigung zur Blutgerinnung nimmt zu.

Zum anderen werden Studien, in denen man die Wirksamkeit verschiedener Behandlungen untersucht, methodisch immer strenger – so streng, dass Ärzte schon Kritik daran üben: Sie seien derart artifiziell und schematisch, dass die Ergebnisse sich auf grundverschiedene Patienten gar nicht anwenden ließen. Auch dem Disput zwischen den beiden Psychosomatikern Giovanni A. Fava (Universität Bologna) und Ulrik F. Malt (Universität Oslo) lagen mehr oder weniger gut fundierte Ergebnisse solcher Therapiestudien zu Grunde.

Fava verwies auf viele wissenschaftliche Belege, die für Gleichwertigkeit von Arzneimittel- und Psychotherapie bei der Behandlung akuter Depressions- und Angstzustände sprechen. Nun fühlt sich ein seelisch Leidender nach jeder Behandlung erst einmal besser. Nur kommt es darauf an, dass der Erfolg auch anhält. „Aber über die Langzeitwirkungen der Psychopharmakabehandlung solcher Störungen wissen wir noch viel zu wenig“, sagte Fava und erwähnte, dass Arzneimittelstudien bei ungünstigem Ergebnis öfters nicht veröffentlicht werden.

Die Ärzte hatten sich viel von einer Kombination „Arzneimittel–Psychotherapie“ versprochen. Die Ergebnisse sind nach Fava aber widersprüchlich und bescheiden – außer in besonders schweren Fällen. Günstig ist auch, wenn man eine Depression in der akuten Phase mit Medikamenten behandelt und anschließend eine Psychotherapie folgen lässt. Die antidepressiven Mittel können nun allmählich zurückgestuft werden.

Bei Angststörungen dagegen erwies sich die Psychotherapie als klar überlegen. Platzangst zum Beispiel lässt sich mit kognitiver Verhaltenstherapie auf Dauer heilen: Man lernt Stück für Stück, dass die angstauslösende Situation nicht gefährlich ist. Würden die Patienten aber mit Medikamenten behandelt, kam es nach dem Absetzen häufig zu Rückfällen. In mehreren Studien zeigte die Arzneitherapie später sogar negative Effekte.

Hierzu muss klargestellt werden, dass es auf diesem Kongress um psychische und psychosomatische Störungen ging, die von schweren psychotischen Krankheiten zu unterscheiden sind. Viele Schizophreniekranke beispielsweise lägen ohne Psychopharmaka noch heute schreiend und ans Bett gefesselt lebenslang in den „Anstalten“. Ärzte, die das noch erlebt haben, warnen vor undifferenzierter Verteufelung solcher Medikamente.

Auch Favas Kontrahent Malt sah das Problem differenziert. Er stellte nach kritischer Analyse sämtlicher veröffentlichter Studien fest, dass die meisten von ihnen noch immer methodisch unzulänglich sind. Deshalb lässt sich bisher nicht wissenschaftlich fundiert sagen, ob seelisch Leidenden Psychotherapie oder Psychopharmaka mehr nützen.

Beides wirkt, aber beides nur mäßig. Das ist bei chronischen psychischen Störungen nicht anders als bei chronischen körperlichen Krankheiten: Heilung ist selten, Linderung und Stillstand sind schon ein Erfolg. Als Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung bezeichnete Malt die ärztliche Erfahrung und Urteilsfähigkeit. Medikamente allein genügten nur selten. Die Patienten bräuchten vielmehr immer psychologische Unterstützung und Hilfe beim Lösen ihrer Probleme.

Diese Hilfe muss aber sachgemäß und kompetent sein. Es war Fava, der darauf aufmerksam machte, dass auch Psychotherapie ernste Nebenwirkungen haben kann, in Schwere und Häufigkeit etwa vergleichbar denen der Betablocker bei manchen Hochdruckkranken. „Aber das wird nie publiziert!“

Für jeden Patienten muss der Arzt ganz individuell die richtige Behandlung auswählen. Wie wichtig eine sorgfältige Untersuchung ist, zeigte ein Vortrag von James J. Strain (Mount Sinai Medical Center New York). Er unterscheidet fünf verschiedene Arten von Depressionen, darunter die „somatoforme“, also sich nur in körperlichen Beschwerden ausdrückende Depression. Je nachdem, welche Form er bei einem Patienten feststellt, verordnet er Psychotherapie, Medikamente oder beides. Malt wies darauf hin, dass Psychotherapie und Psychopharmaka verschiedenartig wirken.

Das ist mehr als eine bloße Annahme – man kann es bereits mit Hilfe moderner bildgebender Verfahren sehen: Verhaltenstherapie und medikamentöse Therapie aktivieren unterschiedliche Hirnregionen.

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