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Homosexualität in der Psychotherapie.

© picture alliance / dpa

Psychotherapie: Problemfall Homosexualität

Homosexualität gilt längst nicht mehr als Krankheit. Doch manche Ärzte haben immer noch Vorurteile. Beratungsstellen helfen Schwulen und Lesben bei der Suche nach dem richtigen Therapeuten.

Britta D. wurde von ihrem Onkel sexuell missbraucht, als sie noch ein Kind war. Die Familie gab ihr die Schuld dafür. Später bekam sie schwere Depressionen, manchmal Selbstmordgedanken. Im Alter von 17 Jahren sucht sie Rat und Unterstützung bei einem Schulpsychologen – auch, weil sie sich ihres Lesbischseins bewusst wird. Sie will ihre Geschichte aufarbeiten und lernen, mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen, weil sie Angst vor Stigmatisierung hat. Der Psychologe aber verwirrt und verunsichert sie mit klischeehaften Theorien: „Er fragte mich, ob ich mich für Frauen interessiere, weil ich schlechte sexuelle Erfahrungen mit Männern gemacht habe“, erzählt die heute 41-Jährige. Dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat, sei ihr damals nicht klar gewesen.

„Auch wenn bei den meisten Ärzten und Therapeuten Konsens darüber besteht, dass Homosexualität keine Erkrankung ist, existieren bei vielen Unsicherheit oder ambivalente Gefühle“, sagt die Oberärztin für Psychatrie und Psychotherapie Lieselotte Mahler von der Charité, die auch stellvertretende Vorsitzende des Referates „Sexuelle Orientierung in Psychiatrie und Psychotherapie“ in der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde ist. Besonders im therapeutischen Kontakt könne dies eine zutiefst verunsichernde Erfahrung für Patienten sein.

Erst 1990 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten gestrichen. 1992 stellten die „American Psychological Association“ und die WHO fest: „Gleichgeschlechtliche Sexualität ist weder eine Geisteskrankheit noch moralisch verwerflich (...) Versuche, die soziosexuelle Orientierung zu ‚reparieren’, stellen nichts anderes als psychologisch verbrämte soziale Vorurteile dar.“ Das Problem bestünde jedoch darin, dass nach dieser Erkenntnis ein offener Diskurs gefehlt habe, sagt Mahler. „So ist ein Vakuum entstanden, das die Grundlage für neue Diskriminierung geschaffen hat.“

Darüber, wie viele Schwule und Lesben betroffen seien und welche Erfahrungen sie machten, gebe es in Deutschland keine Untersuchungen, sagt Mahler. Doch komme es auch heute noch vor, dass schwule und lesbische Klienten in der Therapie mit Vorurteilen und homophoben Einstellungen konfrontiert würden, sagt die Psychologin Margret Göth, Vorstand im Verband von Lesben und Schwulen in der Psychologie (VLSP), der aus 126 Mitgliedern besteht. „Es gibt Fälle, in denen Therapeuten beispielsweise ihre Denkweise und Vorurteile auf ihre Patienten übertragen haben.“ Auch Fredi Lang, Referent des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen, glaubt, dass es unter den aufgeklärten Therapeuten auch solche mit homophoben Einstellungen gibt. „Wie häufig, und ob sich das auf die Therapie auswirkt, lässt sich nicht sagen. Es kommt beispielsweise darauf an, ob die sexuelle Orientierung und das seelische Problem des Klienten in der Therapie in Verbindung stehen und somit auch die Einstellung des Therapeuten eine besondere Rolle spielt.“

Am deutlichsten wird das Problem bei Therapeuten, die sogenannte Konversions- oder „reparative“ Therapien anbieten. Die Verwendung des Begriffs „Therapie“ ist hierbei missverständlich. Eher handelt es sich um Versuche von zum Teil selbst erklärten, aber auch zertifizierten Therapeuten, Sozialarbeitern oder religiösen Verfechtern, Homosexualität von Klienten in asexuelles oder heterosexuelles Verhalten umzuwandeln. Die weltweit führenden psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften lehnen solche Versuche ab und stufen sie als unwirksam und potenziell gefährlich für die Ratsuchenden ein. Das stellte 2008 auch die Bundesregierung fest. Offiziell verboten sind die Konversationstherapien jedoch nicht. Vor allem in den USA boomt die sogenannte „Ex-Gay-Bewegung“, und auch in Deutschland verbreiten religiös fundierte Umpolungsorganisationen wie „Wüstenstrom“ ihre Agenda. Größeren Protest erregte beispielsweise 2009 ein von evangelikalen Christen veranstalteter Psychotherapiekongress an der Uni Marburg, bei dem zwei Referenten Homosexualität für eine Krankheit erklärt hatten.

„Ein Problem ist, dass in den Lehrbüchern und in der Fortbildung das Thema sexuelle Orientierung bis heute keine wirkliche Rolle spielt“, sagt Lieselotte Mahler von der Charité. „Heterosexualität gilt in den deutschen Fachgebieten noch immer als Norm.“ Auch deshalb hat die Fachärztin im vergangenen Jahr das erste Kapitel eines psychiatrischen Lehrbuchs verfasst, das auf die Facharztprüfung für Psychiatrie und Psychotherapie vorbereiten soll. Das von ihr geschriebene Kapitel befasst sich mit dem Thema sexuelle Orientierung. In Berlin soll im Rahmen regelmäßiger Fortbildungsreihen zum Thema ein Netzwerk von kooperierenden, freien Therapeuten aufgebaut werden. Dazu bietet die Schwulenberatung im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle Fortbildungen an, die von der Psychotherapeutenkammer zertifiziert werden.

Für Bereiche wie sexuelle Vielfalt und besondere Lebenswelten seien Spezialkenntnisse erforderlich, die geschult werden müssten, sagte Fredi Lang vom Berufsverband. „Die muss sich der Therapeut selbst aneignen, doch gibt es heute auch mehr Wege für Klienten, den passenden Arzt zu finden.“ Inzwischen existieren in größeren Städten einige Beratungsstellen, die Hilfesuchende an Therapeuten mit positiver Grundhaltung und ausreichendem Wissen über lesbisch-schwule Lebensweise vermitteln. „Dort wird ihre sexuelle Orientierung nicht infrage gestellt, sondern das Konzept der affirmativen Therapie verfolgt, die die sexuelle Orientierung nicht ignoriert, sondern Menschen darin bestärkt und bestätigt“, sagt Margret Göth. Die therapeutische Situation müsse ein geschützter Raum sein, in dem sich die Patienten voll und ganz angenommen fühlen. Außerdem sei es für die Klienten wichtig zu wissen, dass ihre sexuelle Orientierung nicht beeinflussbar ist, ergänzt Mahler. „Insbesondere dann, wenn eine Ambivalenz der eigenen Homosexualität gegenüber vorliegt, muss der Therapeut dem Patienten mit Klarheit und Akzeptanz begegnen.“

Auch Britta D. hatte mithilfe des VLSP einen Therapeuten gefunden und gelernt, sich in einer Therapie fallen lassen und Fragen stellen zu können, die vorher nie angetastet wurden. „Heute ist mir klar, dass die Gewalterfahrung in der Kindheit und die fehlende Unterstützung meines Umfelds mir die Möglichkeit genommen hatten, Vertrauen und damit Bindungen aufzubauen“, sagte die 41-Jährige. Ihre Therapie hat sie abgeschlossen. „Ich hatte mir einmal vorgenommen, mich erst auf eine Beziehung einzulassen, wenn ich sicher bin, dass ich auf meinem ureigenen Acker unterwegs bin. Das habe ich geschafft“.

Mehr Informationen: www.vlsp.de

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