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Gesundheit: Pullover statt Krawatten - würdelose Uni?

Kein Wunder, daß Arnulf Baring auf die "68er" nicht gut zu sprechen ist.Der damalige wissenschaftliche Assistent am Otto-Suhr-Insitut war für die rebellierenden Studenten offenbar ein rotes Tuch.

Kein Wunder, daß Arnulf Baring auf die "68er" nicht gut zu sprechen ist.Der damalige wissenschaftliche Assistent am Otto-Suhr-Insitut war für die rebellierenden Studenten offenbar ein rotes Tuch.Als CIA-Agent habe man ihn beschimpft und mit nächtlichen Drohanrufen tyrannisiert, erinnerte sich Baring auf einer Diskussion über "1968 - Traum oder Albtraum?" am Donnerstag abend in der Freien Universität.Damals habe die Universität ihre Würde verloren und sie bis heute nicht wiedergewonnen, so der für seine provokanten Thesen bekannte Historiker."Noch heute dominieren in den Studentenzeitungen Fäkalsprache und Verleumdungen."

Einer Kulturrevolution gleich habe die damalige Studentenbewegung alte Normen hinweggefegt und damit "bleibenden Schaden" angerichtet, konstatierte Baring.Die "Proletarisierung der Werte" macht er auch an der Veränderung der Kleiderordnung fest."Bis 1968 erschienen die Studenten mit Krawatte in der Universität, danach waren es Pullover." Dies sei ein Teil der "moralischen Verwahrlosung".Kein Wunder, daß man heute den Absolventen das Diplom "quasi nur noch unter der Tür durchschiebt".

Gesine Schwan, heute Professorin am Otto-Suhr-Institut, hat als damalige Studentin ihre anfänglichen Sympathien für ihre aufmüpfigen Kommilitonen schnell verloren."Diese aggressiven, persönlich diffamierenden Angriffe auf den politischen Gegner waren einfach nur abstoßend." Erst viel später habe sie die Gründe für diese Feindschaft verstanden.Die meisten der Aktivisten seien aus einem "verkorksten Elternhaus" mit Nazi-Vergangenheit gekommen."Die führten an den Hochschulen Stellvertreterkriege - im Grunde ihres Herzen kämpften sie gegen ganz andere", resümierte die Politologin.

Tilman Fichter, damals ein Aktivist im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und heute Jugendreferent beim SPD-Bundesvorstand in Bonn, sieht einen Grund für die Radikalität der 68er in deren Anspruch, stellvertretend für die Gesellschaft die Nazivergangenheit aufarbeiten zu wollen."Unser Hauptfehler war, daß wir die Bundesrepublik mit dem Dritten Reich gleichsetzten." Noch heute sei das ein bei den Linken weitverbreiteter falscher Ansatz.

Dabei hätte es doch jedem klar sein müssen, daß die Bundesrepublik nicht die Reinkarnation des Nationalsozialismus war, wunderte sich Gesine Schwan schon Ende der 60er.Daß die Linken damals dagegen blind waren, liege jedoch nicht an deren mangelnden intellektuellen Fähigkeiten.Schwan vermutet vielmehr eine "psychologische Sperre".Diese Generation sei von allen staatlichen Instanzen verlassen und von der Scheinheiligkeit der ausgehenden 60er Jahre schockiert gewesen."Die waren süchtig nach moralischer Integrität." Das moralische Loch sei nicht, wie von Baring vemutet, das Ergebnis sondern im Gegenteil die Voraussetzung für die Radikalität dieser Zeit wesen.

Nicht nur die Studenten, auch die "Gegenseite" sei radikalisiert gewesen, meinte Arnulf Baring."Jeder sah in dem Kontrahenten das Dritte Reich wieder aufleben." Keiner habe die andere Seite verstanden."Wir konnten nicht nachvollziehen, wieso die Studenten so antiamerikanisch waren.Die USA waren doch unsere Schutzmacht gegen die Bedrohung durch die UdSSR und ihren Satelliten DDR."

Die Studenten behaupteten damals, nur wer anti-antikommunistisch sei, sei ein wahrer Demokrat, berichtete Gesine Schwan."Das habe ich nie kapiert.Ich halte Antikommunismus durchaus für eine Facette demokratischen Denkens."

"Wir waren keine Stalinisten", widersprach Fichter.Die Studenten hätten die tschechischen Reformkommunisten sogar gegen die 1968 in Prag einmarschierenden Truppen des Warschauer Paktes unterstützt."Mit unseren West-Berliner Privat-PKW haben wir deren Funkgeräte transportiert, bis die Russen merkten, daß wir keine harmlosen Touristen waren und uns auswiesen." Die Ursache für den strammen Antiamerikanismus sei der Vietnamkrieg gewesen."Bis dahin galten uns die Vereinigten Staaten als demokratisches Vorbild.Das war durch den Vietnamkrieg völlig zerstört", so Fichter.Und die Professoren seien nicht bereit gewesen, gleich den Studenten mit den USA zu brechen: "Das haben wir ihnen verübelt und deshalb so radikal reagiert."

"Die 68er waren ganz sicher keine hinreißende Generation", so Fichter.Aber auf eines sei er stolz."Wir haben damals die deutschen Geistesgrößen, deren Bücher die Nazis 1933 auf dem Opernplatz verbrannt hatten, diskutiert und damit dem Vergessen entrissen - sonst hätten die Nazis hier doch noch gesiegt." Und die Verwahrlosung der Universitäten, die Baring konstatiere, sehe er als Ergebnis der jetzigen Sparpolitik."Eine Universität, die ihre Bibiotheken nicht mehr beschützt, ist ein Ort der Verwüstung."

Doch dagegen anzugehen, liegt wohl nicht mehr in den Händen der jetzigen "Alt-68er".Die, die 1997 gestreikt haben, hätten sich gegen die Ratschläge von so manchem Altlinken verwahrt, schlug der Moderator der Diskussion, Gerhard Bauer, den Bogen in die Gegenwart."Die 97er akzeptierten nicht, daß die Antiautoritären von 68 sich nun als Autoritäten präsentierten."

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