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Gesundheit: Rache tut gut

Was passiert im Kopf, wenn wir Vergeltung üben? Auf der Spur eines dunklen Gefühls

Er hatte sie betrogen. Sie nahm daraufhin den Schlüssel von seinem Porsche an sich, fuhr zum Flughafen, stellte den Wagen ab, „und konnte sich anschließend dummerweise nicht mehr daran erinnern, wo sie den Wagen gelassen hatte“, erzählt Christian Riesen.

Rache ist süß – das Sprichwort kann der Schweizer Gastronom aus Solothurn nur bestätigen. Fünf Jahre lang sammelte der Mann Polizeiprotokolle, Presseberichte und Anekdoten rund um die Rache. Fünf Jahre verfolgte er dieses Gefühl, das, wie er sagt, „so alt sein muss wie die Menschheit“. Nun hat er seine Erkenntnisse in einem Buch niedergeschrieben: „Das Schwarzbuch der Rache“ (Eichborn 2004, unter dem Pseudonym „John Punisher“) liefert nicht nur über 300 kleine Rachegeschichten, sondern auch 20 Tipps für all jene, die es ihrem Erzfeind mal so richtig heimzahlen möchten. Riesens Credo: „In jedem steckt ein kleiner Rächer.“

Das kann die Forschung nur bestätigen. In den letzten Jahren sind Neurobiologen, Verhaltensforscher und Psychologen den Rachegefühlen immer mehr auf die Schliche gekommen. In einem Experiment, veröffentlicht letzte Woche im US-Fachmagazin „Science“, haben die Wissenschaftler – auch diesmal Schweizer – das dunkle Gefühl bis auf seinen Entstehungsort zurückverfolgt, das Gehirn. Ihre Erkenntnis: Schon ein kleiner Racheakt bringt die Lustzentren unseres Denkorgans auf Hochtouren, wie sonst nur Sex oder Essen.

Dominique de Quervain und seine Kollegen von der Universität Zürich ließen Probanden in Zweierteams um Geld spielen. Jeder bekam 10 Geldeinheiten. Dann sollte einer von beiden entscheiden, ob er seine Geldstücke mit seinem Partner teilt – oder für sich behält. Verschenkte er sein Geld, vervierfachten die Forscher die Summe, der Beschenkte war nun mit insgesamt 50 Geldstücken ausgestattet. Jetzt war er am Zug: Er konnte sein Vermögen entweder mit dem anderen teilen oder aber ganz für sich einstreichen. Entschied er sich für Letzteres, bekam der, der leer ausgegangen war, die Gelegenheit, sich zu rächen: Er hatte die Möglichkeit, seinen „Partner“ ein Bußgeld zahlen zu lassen.

Der Clou: Während dieser Strafaktion beobachteten die Forscher mit Hilfe eines Scanners die Hirnaktivität des Rächers. Was, so die entscheidende Frage, passiert in unserem Kopf, wenn wir es jemandem heimzahlen?

Es zeigte sich: Bei einer Racheaktion leuchten im Scanner die Areale auf, die sich sonst auch erregen, wenn wir etwas tun, das uns höchste Lustgefühle bereitet. „Unser Befund untermauert die Hypothese, dass Menschen Genugtuung empfinden, wenn sie Verstöße gegen die Norm bestrafen“, so das nüchterne Fazit der Forscher.

Manchen scheint dabei die Vergeltung einen größeren Kick zu geben als anderen: Im Schweizer Experiment leuchteten die Lustareale einiger Probanden besonders stark auf.

In einer zweiten Variante des Versuchs mussten die Testpersonen für das Bußgeld selber Geld zahlen. Aufschlussreich dabei: Diejenigen, bei denen während der ersten Strafaktion das Lustareal am stärksten aufgeleuchtet war, zahlten nun am meisten. „Anhand der Lustaktivität ließ sich also vorhersagen, inwieweit die Testpersonen später bereit sein würden, für ihre Strafaktion Kosten in Kauf zu nehmen“, sagt Urs Fischbacher, einer der Autoren der Studie.

Wovon es abhängt, dass manche von uns rachsüchtiger sind als andere, untersucht der Psychologe Mario Gollwitzer von der Universität Trier. „Menschen, deren Selbstwertgefühl stark schwankt, sind besonders sensibel dafür, wenn sie herablassend behandelt werden“, sagt der Experte. „Von allen dürsten sie am meisten nach Rache.“

Dabei ist wohl keinem Menschen das Gefühl von Rache vollkommen fremd. „Menschen suchen Rache, weil sie davon überzeugt sind, dass es ihnen danach besser geht", sagt Brad Bushman von der Universität von Michigan in Ann Arbor. In einem Versuch ließ der US-Psychologe Probanden von einem Mitarbeiter kritisieren und beleidigen. Danach bekamen die Leute die Möglichkeit, sich zu rächen. Zuvor gab der Forscher einem Teil der Testpersonen eine kleine Tablette, die, wie er behauptete, ihre Gefühle für eine Stunde abstumpfen lassen würde (in Wahrheit handelte es sich um eine Vitamin- B6-Kapsel).

Das verblüffende Resultat: Probanden, die dachten, sie würden keine Befriedigung aus dem Racheakt ziehen, waren weniger aggressiv. Wenn keine Lustgefühle in Aussicht stehen, warum sollte man sich dann noch rächen?

Was die Frage nach dem Sinn der Rache aufwirft. Wer einen Rüffel verteilt, riskiert schließlich selbst eine dicke Lippe. Warum nehmen Menschen diese Gefahr auf sich? Warum bereitet sie ihnen gar Lust?

Anthropologen sagen: Rache ist eine Reaktion auf erlittene Ungerechtigkeit. „In archaischen Gesellschaften hatte Rache die Funktion, Gerechtigkeit wieder herzustellen“, sagt der Rechtsphilosoph Gerhard Robbers von der Universität Trier. „Heute gibt es dafür in vielen Gesellschaften einen Dritten, den Staat.“

Ein Rechtsstaat macht die Fehde oder Vendetta überflüssig – rein juristisch gesehen. Aber was ist mit den kleinen Ungerechtigkeiten im Alltag? Der Chef, der einen immer übergeht, trotz 100-prozentigem Einsatz? Der BMW, der einem mit der Lichthupe im Nacken sitzt und drängelt? Auch in der modernen Welt kann man das Gefühl der Rache nicht einfach als archaisches Überbleibsel abtun. Nach wie vor hat es die Funktion, dass wir uns nicht gegenseitig hemmungslos unterbuttern.

Etwa in der Liebe. „Die meisten Berichte, auf die ich gestoßen bin, waren Beziehungskisten“, berichtet der Rache- Autor Riesen. Wie etwa bei den zwei Frauen, die es auf den gleichen Burschen in der Blaskapelle abgesehen hatten. Beide Damen spielten Trompete, „die eine war zwar etwas faul, eroberte aber den Mann“, sagt Riesen. Sauer versteckte die Rivalin in der Trompete ihrer siegreichen Konkurrentin einen toten Fisch, der bald von Maden übersät war. Riesen: „Es muss richtig eklig gewesen sein. Soviel ich weiß, hat die arme Frau nie wieder ein Blasinstrument angerührt.“

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