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Gesundheit: Reisen

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Während ich an einem Schreibtisch in einem der ältesten Studentenwohnheime einer der ältesten Universitäten Europas sitze – dem collegio ungarico der Universität Bologna –, denke ich über das Reisen nach. Dass es sich dabei um eine Wertsache handelt, ist scheinbar unstrittig; das weiß schon der Volksmund, wenn er den Bildungswert des Reisens betont und auf die Möglichkeit aufmerksam macht, nach Reisen viel zu erzählen.

Aber ganz so einfach ist es mit dem Reisen dann offenkundig auch wieder nicht. Man kann nämlich viel falsch machen dabei. Die parteiamtliche Pekinger Volkszeitung hat deswegen vor einigen Tagen „Leitlinien für chinesische Bürger auf Auslandsreisen“ veröffentlicht. Manche dieser Leitlinien könnten wahrscheinlich auch als Ratgeber für deutsche Touristen gedruckt werden. So ist beispielsweise die Aufforderung, auf Reisen bei Tisch leise zu sein, ganz gewiss nicht nur für Chinesen nützlich. Auch der Hinweis auf angemessene Kleidung, den sich die „Arbeitsgruppe für zivilisiertes Verhalten“ bei der Parteiführung zusammengereimt hat, hätte manchen Leichtbekleideten Kummer vor Kirchentüren in südlichen Ländern erspart.

Vor Fehlern auf Reisen ist freilich niemand gefeit – vollkommen unabhängig vom jeweiligen Bildungsniveau, wie man an einem in dieser Kolumne gern bemühten Dichter und Politiker aus einem sehr kleinen Kleinstaat des alten Reiches sehen kann. Der hielt sich ausweislich seines Reisetagebuchs 1787 zwei Wochen in Palermo auf, fand aber an dem großen Normannendom von Monreale, der heute im Stadtgebiet von Palermo liegt und über herrliche byzantinische Mosaike verfügt, nichts Berichtenswertes. Nur das „sehr gute Essen“ der Benediktinermönche des Ortes war dem Reisenden einen Eintrag wert. Ob damals tatsächlich die Qualität der Speisen die der byzantinischen Mosaike vollkommen in den Schatten stellte, kann man heute kaum mehr entscheiden, weil das Kloster in der Säkularisation untergegangen ist. Aber auch ohne ein Probeessen im Kloster kann man wissen, dass Goethe einen Fehler machte, als er Monreale offenkundig für wenig bemerkenswerte Architektur hielt.

Nun muss man aus solchen Problemen beim Reisen nicht gleich den Schluss ziehen, dass jener Bundesminister recht hat, der uns im Sommer riet, „im Zweifel auf eine Urlaubsreise zu verzichten“. Im Gegenteil: Je mehr wir verreisen, desto besser wissen wir, wo man bei Tisch besser leise sein sollte und wo die schönsten Kirchen stehen.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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